Comeback der Kultur

Dabeisein ohne Bildschirm: Nach schier endlosem Shutdown fährt das kulturelle Leben in Köln endlich wieder hoch. Auch wenn sich die Kulturszene direkt seit Beginn der Pandemie kreative Wege suchte, um den Kölner*innen auch weiterhin Kultur anzubieten — an ein Live-Erlebnis kommen selbst ausgefallenste Streaming-Formate nicht heran. Unsere Kulturredakteur*innen skizzieren die lang ersehnte Wiedereröffnung der Branche und geben einen Überblick über die coronakonformen Highlights des Kölner Kultursommers: Konzerte, Theaterperformances, Lesungen, Ausstellungen, Film-Previews — nichts wie hin! 

 
Indie.Cologne.Fest

Konzert. Wohl keine Musikszene hat unter dem Lockdown so sehr gelitten wie die Indie-Szene. Sie hat schlicht keine Lobby, schon vor der Krise war es für viele Musiker schwierig, über die Runden zu kommen. Andererseits ist diese Szene solidarisch, fast familiär, »Unkraut vergeht nicht« lautet für viele ihrer Protagonisten die stolze Selbstzuschreibung. Zu den unverwüstlichen Beständen der Szene gehört das Indie.Cologne.Fest, das der Musiker und Entrepreneur Markus Sangermann seit Jahr und Tag in Odonien organisiert. Die Atmosphäre ist entspannt und freundlich, die musikalische Bandbreite überraschend groß und die Musiker sind stets gut aufgelegt. Jetzt feiert das Fest sein Comeback: mit Angelika Express, die gerade ihren dritten oder vierten Frühling feiern und immer noch Elektrorock und Postpunk perfekt kombinieren, und The Schmackes & Pinscher // Sænder Experience, einer Allstar-Combo der Indie.Cologne.Fest-Ausgaben. Durch den Abend führt Suzie von Klee.
Felix Klopotek

StadtRevue präsentiert: Sa 3.7., Odonien, ab 18 Uhr

 

Green Room

Konzert. Jazz, Freie Improvisation und experimentelle Musik, Singer/Songwriter und Folk, Club Sounds, Artists Talks: Die Sommerpause fällt aus, das kann man als Motto des Green Room bezeichnen. An fünf Tagen in der Woche wird hinter dem Stadtgarten-Konzertsaal Programm stattfinden. Für die Tom Tom Listening Sessions, die Kölner Disco-Produzenten und DJs vorstellt, ist der Eintritt sogar frei (immer donnerstags). Highlight im Juli: Die Performance von Sonae und Gregor Schwellenbach am 12.7. Sonae hat sich in den letzten Jahren als eine der profiliertesten Produzentin elektronischer Musik etabliert, ihr Sound ist so geschliffen wie provokant. Mit dem Komponisten und Multiinstrumentalisten Gregor Schwellenbach an ihrer Seite sind Höhenflüge zu erwarten. Mehr: Indie-Pop und dekonstruierte Songs mit The Kasper Collusion (8.7.), »Talking Kaput« gehostet von Stadtrevue-Autor Thomas Venker (15.7.).
Felix Klopotek

Green Room, hinter der Stadtgarten-Location, Infos unter stadtgarten.de

 

Centre Court Festival

Klangkunst. Liefert Klangkunst den eindringlichsten musikalischen Kommentar zur Corona-Krise? Wenn der Komponist und Festival-Kurator Rochus Aust verspricht, mit einer »zwölf Meter langen Pinocchio-Trompete die pandemischen Vorgaben und Einschränkungen durch den Kampf- und Propagandabegriff Aerosol zu demontieren, dekonstruieren und dekomponieren«, dann ist alles möglich: Provokation, Sarkasmus, subtile Zwischentöne. Aust hat in den letzten Jahren in der Lutherkirche, genauer gesagt: im Kirchturm, ein Zentrum für Klangkunst etabliert, das seinen jährlichen Höhepunkt mit dem international besetzten Centre Court Festival feiert — dieses Jahr bricht das Festival auch in den Volksgarten auf. Zu erwarten sind u.a.: eine elektro-akustische Fahrradtour, Tretbootkonzerte, ein vierfach synästhetisches Synthesizer-Konzert und nicht zuletzt Austs Autokino für »Solo-PKW«. Musik, um die Nachbarn zu erweitern und die eigenen Hörgewohnheiten zu ärgern — oder umgekehrt.
Felix Klopotek

28–31.7., Lutherkirche / Volksgartenweiher / Volksgarten, detailliertes Programm unter ltk4.de

 

Short Story Night

Lesung. Eigentlich ist der Sommer Ödland für Literaturfans — also zumindest für diejenigen, die nicht nur gerne live Bücher im Park lesen, sondern sich diese Bücher auch gerne live auf der Bühne vorlesen lassen. Der Literaturverein »Land in Sicht« hat ein Herz für sie. Im Rheinauhafen, dort wo sonst Kinofilme über die Leinwand flirren, veranstaltet er Ende August zum zweiten Mal die »Short Story Night«. Der Name macht keine falschen Versprechungen: Fünf Autor*innen lesen fünf Kurzgeschichten, denn pointiertes Erzählen hat in einer Zeit, wo langes Aufeinanderhocken nicht immer die beste Idee ist, noch mal besondere Vorzüge. Karosh Taha beschreibt in ihren Texten die Identitätskonstruktionen deutsch-kurdischer Frauen im Ruhrgebiet und reflektiert diese in einem meta-diskursiven Stil. Kamala Dubrovnik persifliert in »Kunst hat mein Leben zerstört« aus post-migrantischer Perspektive den männlichen Geniekult, der in Memoiren seinen Ausdruck findet. Leif Randt übt sich im nonchalanten Erzählen über eine Generation, die irgendwie was will, aber irgendwie nicht weiß, wie. Sven Heuchert erzählt mit der Sensibilität eines Pulp-Liebhabers über kernige Typen aus dem rheinischen Hinterland. Hinzu kommt noch ein »Stargast«, der bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt gegeben werden konnte. Moderiert wird der Abend von Miriam Zeh.
Christian Werthschulte

25.8., Rheinauhafen, 19 Uhr

 

atelier mobile — travelin’ theatre

Theater, Perfomance. Dass man GPS-Koordinaten braucht, um an einen Spielort zu gelangen, ist selten. Kann aber ein erster Hinweis auf die Abenteuer sein, die einen dort erwarten. So wie beim »atelier mobile«, dem »travellin’ theatre« von Jens Kuklik. Mit seinem blauen Oldtimer-Bus und einem Kuppelzelt bespielt er außergewöhnliche Orte in Köln, etwa die Drehbrücke am Deutzer Hafen, die Indianersiedlung in Zollstock oder — brandaktuell! — die Poller Wiesen am Rheinufer. Hier hat sich das Theater für die kommenden Sommermonate niedergelassen, ein bisschen Punk, ein bisschen Dreck inklusive. Gezeigt werden Produktionen der Off-Theaterszene, etwa vom 2. bis 4. Juli die Musik-Performance von Regisseurin Frederike Bohr (20 Uhr, weitere Termine im September). »Von Mitläufern und Widerstand« ist eine Hommage an den »Ton Steine Scherben«-Musiker Rio Reiser, immerhin feiert die Band in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum. Frederike Bohr erzählt anhand von Zitaten, Tagebucheinträgen und der Autobiografie des Musikers von vergangenen und gegenwärtigen Protestbewegungen. »Macht kaputt, was euch kaputt macht!«: Kann die Fridays for Future-Bewegung mit dieser politischen Haltung überhaupt noch etwas anfangen? Oder sind die Ideale der 68er längst überholt?
Philippa Schindler

Poller Wiesen, am Weidenweg auf Höhe des Ruder- und Tennis-Klubs Germania e.V., Corona-kompatible Outdoor-Veranstaltung

 

Westwind Festival 2021

Theater, Performance. Es gilt als eines der renommiertesten Theaterfestivals für junges Publikum und wird jedes Jahr von einem anderen Theater in NRW ausgerichtet. 2021 ist das Comedia Theater in der Kölner Südstadt Gastgeber für das Westwind Festival und hier, im Roten Salon, findet auch die feierliche Eröffnung statt. »Wer spricht für wen?« ist die zentrale Frage, mit der sich das Festival in diesem Jahr beschäftigt — und die auch die zehn von der Jury ausgewählten Produktionen übertitelt. Etwa das Stück »W.H.A.M.« der Kölner Gruppe c.t.201 (21.8, 14 & 17 Uhr), das unter der Regie von Tim Mrosek den Begriff des »Weißen Heterosexuellen Alten Mannes« auseinander nimmt: Bei Mrosek reicht eine Kategorie, um als Protagonist*in auf der Bühne in Frage zu kommen. Mit »Boys don’t dance« (nur digitale Vorstellung) liefert Choreograf Takao Baba eine tänzerische Forschungsreise hin zu einer neuen Körpersprache jenseits von Genderklischees. Das Kom’ma Theater aus Duisburg erzählt in seinem Dokumentartheaterstück von der Loveparade-Katastrophe und den Wunden, die noch immer in der Stadt klaffen. Dazu gibt es Gesprächsformate über hierarchische Strukturen im Theater, Workshops und kolonialkritische Stadtrundgänge durch Köln.
Philippa Schindler

19.–25.8., Comedia Köln, westwind-festival.de

 

Stadtgeschichte in anderen Bildern

Ausstellung. Köln-Bücher und Köln-Fotografien gibt es in verstörender Fülle und höchst unterschiedlicher, nun ja, Qualität. Von uninspiriert abgelichteten Lokalpatriotismen (Dom, Rhein, Karneval) bis hin zu den wunderbaren Fotografien eines Walter Dick oder die originellen Portraits der Stadt und ihrer Bewohner von Chargesheimer. Das scheinbar Vertraute neu sehen — dieses Erlebnis bietet auch die Ausstellung »Vor Ort: Fotogeschichten zur Migration« und ermöglicht mit bislang kaum bekannten privaten Fotomaterial aus der Zeit zwischen 1955 und 1989 einen spannenden Perspektivwechsel. Denn die Alteingesessenen schauten nicht nur neugierig bis misstrauisch auf die sogenannten Gastarbeiter*innen, die neuen Mitbürger*innen schauten auch zurück: Sie fotografierten die Stadt, sich selber, Freunde, ihren Alltag in der neuen Heimat. Heute erzählen diese Bilder von einem stetigen ge­­­­­­­sellschaftlichen Wandel, der bis in unsere Gegenwart und Zukunft reicht. Realisiert wurde die Ausstellung in Kooperation mit dem Archiv DOMiD e.V.
Melanie Weidemüller

»Vor Ort: Fotogeschichten zur Migration«, Museum Ludwig, 19.6.–3.10., mit Privatfotografien und Interviews von Yücel Aşçıoğlu, Tayfun Demir und vielen weiteren, kombiniert mit ausgewählten Fotografien, Filmen und Videos von Charges­heimer, Christel Fomm, Kurt Holl, Eusebius Wirdeier, aus dem Fordwerke- und dem GAG-Archiv, der Künstlerin Candida Höfer, Edith Schmidt-Marcello, David Wittenberg, Ulf Aminde

 

RESIST! Die Kunst des Widerstands

Ausstellung. In Ethnologischen Museen werden tausende geraubte Objekte aus Afrika, Asien oder der Südsee aufbewahrt, lange Zeit wurde ihre Geschichte kaum hinterfragt. Doch der Widerstand gegen die Auswirkungen des kolonialen Erbes im Hier und Jetzt wird lauter: Er zeigt sich in der scharf geführten Debatte um die Restitution der Benin Bronzen, der Zerstörung von Kolonialdenkmälern, der so rasant gewachsenen #BlackLivesMatter-Bewegung. Und so wurde die große Ausstellung »RESIST! Die Kunst des Widerstands« zwar mit Shutdown-Verspätung eröffnet, kommt aber zum richtigen Zeitpunkt, um historische Tiefenschärfe herzustellen. Sie beleuchtet mit Exponaten, Kunstwerken, Performances und interaktiven Formaten 500 Jahre Praktiken des antikolonialen Widerstands im Globalen Süden. Konsequenterweise setzt das Rautenstrauch-Joest-Museum dabei auf die Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus den Herkunftsländern seiner Sammlungsobjekte. Entstanden ist ein lebendiges Archiv des Widerstands, lehrreich und eine Art Trainingscamp für den aufrechten Gang.
Melanie Weidemüller

1.4.–5.9., Rautenstrauch-Joest-Museum — Kulturen der Welt

 

Cinepänz Sommerkino

Film. Das Kino ist für Kinder und Jugendliche von unschätzbarem Wert — als Ort der kollektiven Ausgeh- und Kulturerfahrung. Das jfc Medienzentrum, Veranstalter des Kölner Cinepänz Festivals, hat neue Räume im Clouth-Gelände bezogen und zeigt dort im Juli und August eine Auswahl der besten Cinepänz-Filme der vergangenen Jahre. Sommerkino für Kinder von vier bis zwölf Jahren — beziehungsweise für Jugendliche von zwölf bis 14 Jahren. Gezeigt wird unter anderem der 2014 für einen Oscar nominierte Animationsfilm »Ernest & Célestine« über die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen einer Maus und einem Bären. Die Verfilmung des Kinderbuch-Bestsellers »Anne liebt Philipp« von Vigdis Hjorth wirft die Frage auf, ob man sich auch mit zehn Jahren schon Hals über Kopf verlieben kann. Die Antwort ist klar! In »Mustang« von der Regisseurin Deniz Gamze Ergüven geht es um fünf Schwestern, die sich in einer von Männern geprägten Gesellschaft ihr Recht auf Selbstbestimmung erkämpfen. Man sollte betonen, dass die Filme natürlich für Erwachsene ebenso interessant sind.
Wolfgang Frömberg

Programm unter cinepaenz.de. Anmeldung unter Tel. 130 56 15-18 oder cinepaenz@jfc.info, Eintritt: 3 Euro Kinder/Erwachsene

 

Kinospuren

Kinoführung. Manche Kölner*innen werden sich noch daran erinnern, dass der Ring früher mal intensiv nach Popcorn roch. Dort reihte sich Kino an Kino. Auch in vielen Stadtteilen, die heute gänzlich ohne Kino auskommen müssen, gab es (oft mehr als ein) Lichtspieltheater. In Köln-Mülheim ist etwa gerade ein alter Kinosaal als Baustelle zu besichtigen. Das entsprechende Gebäude wird saniert, Filme werden dort jedoch auch zukünftig nicht wieder gezeigt (siehe dazu Seite 76). Mit »Köln im Film« kann man sich jetzt auf Kino-Spurensuche begeben. Der Sommerspaziergang beginnt am ehemaligen Residenz, das inzwischen Astor Film Lounge heißt, und führt über die ehemalige Kinomeile auf den Ringen — vorbei an den Adressen ehemaliger Lichtspielhäuser wie Astor, Apollo, Camera und Capitol. Die Kinogeschichte reicht bis in die 20er Jahre, als das heutige Rex unter dem Namen Lichtspiele des Westens eröffnet wurde. Das war 1928. Der Filmpalast (Cineplex) wiederum war seit den 30er Jahren lange Zeit der Ufa-Filmpalast — und am Rudolfplatz standen einst das Theater am Rudolfplatz sowie die von Wilhelm Riphahn entworfenen Hahnentor-Lichtspiele.
Wolfgang Frömberg

So, 11.7., 12 Uhr, Treffpunkt: 11.45 Uhr, Residenz, Kaiser-Wilhelm-Ring 30–32, Dauer ca. 1 ½ bis 2 Stunden, Ticket: 15 Euro, Reser­vierung unter mail@koeln-im-film.de Stichwort »Kinoführung« oder Tel. 22125306