Wo es grün wird Mit dem Rad ins Umland

Auch im Hochsommer bei sinkenden Inzidenzen und erfolgreicher Impfkam­pagne bleibt das Leben kompliziert: Sitzplatzreservierungen, vorzulegende Testergebnisse, digitale Impfausweise, fortgesetzte Maskenpflicht. Aber man will doch nur ein Konzert hören! Wir haben uns für dieses Sommer-Special auf etwas Unkompliziertes gestürzt: Einfach raus aufs Fahrrad und losgeradelt.

Wir haben uns fünf Radtouren ausgesucht, die alle meistern können — gerne auch mit Familie im Anhang. Köln kennen wir: unsere Wege, unsere Lieblingsveedel und Lieblingsparks. Aber hinter der Stadtgrenze und manchmal auch davor beginnt der Dschungel: überraschende Naturereignisse und kuriose post-urbane Räume. Wir haben ihn zwischen Kölnberg und Autobahnzubringer, ­Militärring und Baggersee entdeckt.

Unsere Fotografin Jennifer Rumbach experimentierte für die Bilderstrecke mit alten, manchmal fehlerhaften Polaroidfilmen.

 

Tour 1 – Die Bergische Tour

Aufs Dach der Stadt

Jan Lüke bricht von Holweide nach Bergisch Gladbach auf

Am Bahnhof Holweide steigen wir aus der S 11 und schlängeln uns, vorbei an der baufälligen Schweinheimer Mühle und am Krankenhaus, durch das vorstädtisch-biedere Veedel in Richtung Süden. Über den Dellbrücker Mauspfad erreichen wir einen Waldweg, der an der Südseite entlang des Ostfriedhofs vorbeiführt. Rhododendron und Mammut­bäume im Friedhofsgarten zur Linken, freies Feld zur Rechten — schon nach wenigen Minuten scheint die Stadt das erste Mal fern. Doch das Rauschen der A4, die wir wenige Minuten später queren, erinnert daran, dass wir dem urbanen Trubel noch nicht weit entkommen sind.
Trotz frischer Beine steht die erste Rast nach knapp acht Kilometern an. Die Gelegenheit ist günstig: Am Wildgehege Brück gibt es schattige Plätzchen für Mensch und Tier. In getrennten Gehegen leben Rehe und Hirsche sowie Wildschweine mit ihren Frischlingen, um deren Gunst man mit Futterboxen aus dem Automaten (1 €) werben kann —mit wechselhaftem Erfolg. Das Wildgehege ist das Einfallstor in den Königsforst, der uns mit erfrischender Waldluft unter den schattigen Baumkronen empfängt. Die Wege sind gut befestigt und das Wegesystem übersichtlich. Wir folgen dem Brück-Forsbacher Weg, haben dabei allerdings den einen oder anderen Anstieg zu überwinden. Kein falscher Ehrgeiz: Wer sein Rad liebt, der schiebt, etwa hinauf zum Monte Troodelöh. Der mit 118 Metern höchste Berg Kölns liegt in Rath/Heumar. Der Alpenverein Köln weist den Troodelöh hier oben als Dach der Stadt aus. Die Aussicht reicht allerdings nur bis zum nächsten Baumstamm.
In den Höhenlagen des Königsforsts werden wir Zeugen einer Folge des Klimawandels. Um den Troodelöh tun sich Waldlichtungen auf, die hier nicht sein sollten. Erst kamen die Unwetter, dann die Borkenkäfer. In den vergangenen Jahren ist der Baumbestand im Herzen des Königsforsts um mehr als 40.000 Bäume zurückgegangen. Die mickrigen Jungbäume auf den kahlen Flächen lassen erahnen, wie viele Jahrzehnte vergehen werden, bis sich hier wieder prachtvoller Wald auftürmt. Uns scheint mitten im Königsforst die Sonne auf den Kopf.
In Richtung Norden wird der Königsforst dichter, wir überqueren die Bensberger Straße, nehmen den teilweise steilen Tütbergweg und biegen links den Lehmbacher Weg ab, an dessen Ende uns das Waldcafé Steinhaus erwartet. Um Enttäuschungen vorzubeugen: Die Gastronomie im Innenhof des Fachwerkhauses wird nur donnerstags bis sonntags bespielt. Auf einer Tageskarte gibt es kleine Mahlzeiten und Kuchen. Der Espresso kostet 2 Euro, der halbe Liter Weizen 3,80 Euro und ein Kräutertee mit dem verlockenden Namen »Power« 2,90 Euro. Wir spüren unsere Beine und fühlen uns daran erinnert, warum das Bergische Land seinen Namen trägt.
Gestärkt verlassen wir den Königsforst. Aus dem natur­nahen Raum auf der einen Seite der A4 geht es in einen naturfernen Raum auf der anderen Seite der A4: Wir fahren durch den Technologiepark Bergisch Gladbach, vorbei an einem überdimensionierten Klotz von Porsche-Autohaus. Für einen kurzen Moment scheint es attraktiv, in Moitzfeld links nach Bensberg einzufahren und den Rückweg nach Köln anzutreten. Wir bleiben standhaft und lassen zunächst einige triste Ortschaften hinter uns — Voislöhe, Herkenrath und Asselborn. Immerhin auf ordentlich befestigten Radwegen entlang der Landstraße 289. Ab und an werden wir überholt von »Wupsi«, den Bussen der Verkehrsbetriebe Wupper und Sieg. Kurz hinter Asselborn biegen wir nach Westen ab Richtung Herrenstrunden. Die Gegend wird beschaulicher, ländlicher und ruhiger. Doch das große Showgeschäft ist nah: Die Hundeschule von Entertainer und Hundeflüsterer Martin Rütter liegt am Weg. Sie trägt den einfallsreichen Namen »Dogs«. Wir erreichen Herrenstrunden. Im schönsten Örtchen auf unserer Tour kehren wir nicht in einer der Gaststätten am Platz ein, sondern rasten am Weiher vor Burg Zweiffel. Der ehemalige Adelssitz bietet eine schöne Kulisse für ein Picknick im Schatten. Die wenigen hundert Meter hoch zur Kuppe der Romaneyer Höhe schieben wir die Räder, queren die Landstraße 506, um die Aussicht zu erreichen, für die sich alle Höhenmeter gelohnt haben. Die namenlose Verlängerung der Oberborsbacher Straße bietet einen herrlichen Panoramablick über Köln. Aus der Dunstglocke über der Stadt ragen die Domspitzen und der Colonius heraus. Luftlinie 15 Kilometer. Den Blick teilt man mit wenigen anderen Radlern und vielen Kühen, die für Nachschub an der Milch­tankstelle »Büchel’s Blick« sorgen. Der Liter kostet einen Euro. Lactosefreie Produkte stehen nicht hoch im Kurs. Wer noch Platz in den Satteltaschen hat: Essers Hofladen und die Landmetzgerei Schmitter bieten sich für Mitbringsel an.
Die Abfahrt hinunter nach Köln ist für die Beine eine Wohltat. Es rollt gut auf den passablen Wegen entlang der Odenthaler Straße und der Landstraße 506, die uns durch Thielenbruch und Dellbrück zurück nach Holweide führt. Die Möglichkeiten, wie und wo man zum Abschluss der bergischen Schleife regeneriert, sind zahlreich. Ein Sprung ins Waldbad Dünnwald oder eine kalte Erfrischung in einem der Gasthäuser in Dellbrück sind nur zwei Alternativen.

 

Tour 2 – Die Seentour

In 84 Stunden um den Bleibtreusee

Felix Klopotek schlängelt sich um die Seen im Naturpark Rheinland

Eine Viertelstunde vom Bahnhof West oder zwei Stunden Anreise mit dem Rad zum eigentlichen Ausgangspunkt der Tour? Die Wahl fiel nicht schwer, und so begann unsere Tour mit einer Bahnfahrt. Joachim, der in Bliesheim lebt, schwärmt schon seit Jahr und Tag von seiner Seentour durch die Ville, und die wollten wir jetzt auch mal radeln.
An Vorschlägen für Touren in dieser Gegend mangelt es nicht. Auf dem beliebten Wander-, Ausflugs-, Radportal Komoot haben bereits zahlreiche User ihre Radwege durch den Naturpark Rheinland verzeichnet. Wir wollten es in einem seltenen Anflug von Obrigkeitshörigkeit aber ganz offiziell machen — und sind der Empfehlung der Stadt Köln gefolgt, die wiederum auf einem Tourenbuch von Norbert Schmidt (»Mit dem Fahrrad durch die Ville und den Kotten­forst«) fußt. Was freilich nicht geklappt hat, denn es war uns unmöglich, die auf koeln.de verzeichnete Strecke zu importieren. Wir haben sie schließlich auf Komoot »nachgebaut«: Man gibt dort die einem wichtig erscheinenden Tourenpunkte an, die App findet dazu die geeigneten Strecken. Really? Zunächst wurde uns eine Strecke von 84 Stunden Fahrtzeit angezeigt, denn der Bleibtreusee, den die App — immer noch: Startpunkt Bahnhof Erftstadt! — zuerst gefunden hat, liegt in Österreich. Alles klar!
Im Prinzip ist das alles nicht dramatisch, denn die Gegend ist gut ausgeschildert, und als Faustregel gilt: immer rund um die B 265 und die Bahntrasse Köln-Eifel. Ob man dann einen der zahlreichen Seen verpasst, oder den Bleibtreusee nördlich oder südlich umrundet, ist eigentlich egal. Wer schon mal in der Ville war und ein bisschen Orientierungssinn hat, kann sich auf eigene Faust seine Wege suchen.
Es ist das erste richtig warme Mai-Wochenende, wir kommen am Bahnhof Erftstadt an — und es ist nahezu menschenleer. Auf der Strecke selbst werden wir später vielen Fahrradfahrern begegnen, sie sind offensichtlich nicht mit dem Zug aus Köln gekommen. In der Gegend
gibt es drei Strandbäder (Liblarer See, Bleibtreusee, Heider Bergsee), da verteilen sich die Leute, nie wirkt es voll, die Stimmung an den Seen ist freundlich und entspannt. ­Hoffentlich ist das auch noch nach sechs oder acht Sonnenwochen der Fall.
Was so grün-wuselig und waldig-hügelig abwechslungs­reich ist, ist menschengemacht. Bis 1986 war hier das Süd­revier des rheinischen Braunkohletagebaus. Im Dreieck Erftstadt-Brühl-Hürth, das ist im Prinzip unsere Fahrradtour, lagen zahlreiche Gruben — die heutigen Seen. Kein Boden ist natürlich geschichtet und gewachsen, die Wälder, die hier gedeihen, sind darauf angelegt, schnell zu wachsen, die Bäume sind Flachwurzler. Das erinnert an die kuriosen Angaben auf Nahrungsmittelverpackungen: enthält »naturidentische Geschmacksstoffe«.
Richtig surreal wird es in Fischenich. Das Dorf, ein Stadtteil von Hürth, wirkt wie ausgestorben. Dann ein Fetzen menschlicher Stimme — aus einem Fernseher: »Osnabrück ist abgestiegen«. Relegationsspiel 2. Bundesliga. Fischenich liegt auf einem Höhenzug, der für rheinländische Verhältnisse steil abfällt. Wie von einem Kommandostand aus schauen wir auf Köln und bilden uns ein, dass es brummt und summt und die Metropole ein gigantischer Energieapparat ist — bewacht von mächtigen Burgen und Wächtertürmen am Stadtrand: Das ist der Kölnberg, der Herrscher über das Panorama von Fischenich.
Wir haben die Hälfte der Strecke hinter uns, da fahren wir schon zum Weilerhof hinauf, nebenan eines der rheinischen Wasserschlösser. Prächtig. Wie auf Bestellung fährt ein Porsche vor, sein Fahrer stilecht mit Gelfrisur, rasierten Waden und aufgestelltem Polohemdkragen. Der Hund, den er zum Spaziergang motivieren will, ist eine irische Spezialzüchtung, 20.000 Euro das Exemplar. Vermuten wir. Der Porschist ist aber freundlich, lobt den Biergarten der Eventlocation und befürchtet, dass wir erst nach der siebten Impfung wieder gemeinsam trinken und schunkeln dürfen.
Wir sind jetzt in den Ausläufern von Brühl — und wir bringen es tatsächlich efrtig, am Kaiserbahnhof vorbeizufahren! Über einen verschwiegenen Seitenweg, auf dem Kinder im Winter Schlittschuh fahren, schlängeln wir uns zurück. Der Kaiserbahnhof ist imposant. Groß, wuchtig, ein bisschen düster, mit einem schönen, schattigen Park davor. Das war mal das Rheinland — Herz der deutschen Bourgeoisie. Wir rollen herab zum Heider Bergsee, danach — sorry Norbert Schmidt, sorry Komoot — Freestyle. Munter kurven wir zwischen den Seen. Nun, nicht immer munter: »Hier rechts!«, »Nein, links!«, »Egal!«, »Guck verdammt noch mal auf Dein Handy!« Wichtigste Investition für den Sommer: Handyhalter fürs Fahrrad.
Zwischendurch kleine Herausforderungen: Man biegt im Wald um eine Kurve und hat plötzlich eine Steigung von gefühlt 80 Prozent vor sich — alter Abraumhaldencharme! Alle Wege führen zum Bahnhof Erftstadt. Der Zug hat standesgemäß Verspätung und ist für die vielen Fahrradfahrer, die jetzt doch eintrudeln, viel zu kurz. Aber der Naturpark Rheinland ist toll! Gerade weil er so wenig »Natur« ist — und weil es den Routenfüchsen gelungen ist, durch diese von Straßen und Trassen zerschnittene Gegend sanfte, ruhige und wirklich grüne Strecken zu finden.

 

Tour 3 – Die Osttour

Idyllen an Auto­bahn­zubringern

Oliver Minck erkundet den Kölner Osten

Das Statement schockte: Ich habe keine Übersicht über den Kölner Osten, sagte der alte Freund, der seit Ende der 70er Jahre in der Stadt lebt. Tatsächlich zerfranst die Stadt schon direkt hinter Deutz: Der Osten ist zerschnitten von Eisenbahnlinien, Autobahnen und ihren Zubringern, Gewerbegebieten. Viele Veedel im Osten haben einen fast dörflichen Kern, der sich nicht so recht ins Großstadtbild inte­grieren will. Liegt Buchforst vor Buchheim oder ist es umgekehrt? Also auf ins Umland, das noch in den Grenzen der Stadt liegt! 
Durch die eigentümliche Infrastruktur des Ostens tun sich immer wieder zweckentleerte Zwischenräume auf, die sich oft als unwirtlich, manchmal aber auch als kleine Naturparadiese entpuppen. Mit dem Fahrrad sind einige dieser bizarren Oasen entlang einer ca. 15 Kilometer langen Route bestens erreichbar.
Wir starten rechtsrheinisch an der Deutzer Brücke und nehmen den Radweg in Richtung Poll. An der Drehbrücke geht es rechts ab zu den Poller Wiesen. Hier genießen wir die Weite des Rheins und das Stadtpanorama, und geben Acht, dass wir nicht von einem der vielen Lenkdrachen vom Fahrrad geschlagen werden. Hinter der Südbrücke verleitet uns die »Rheinlust«-Terrasse des VKC-Tennisclubs zu einer viel zu frühen Kaffeepause.
Weiter geht’s immer gerade aus. Wir unterqueren die Rodenkirchener Brücke, links liegt der Poller Kleingärtnerverein, rechts breitet sich die wunderschöne, aber lange Zeit mit Kampfmitteln belastete Westhovener Aue in Richtung Rhein aus.
Am Warnschild biegen wir nach links ab in Richtung unbekanntes Territorium. Nach Überquerung der tosenden Kölner Straße führt uns die Porzer Ringstraße über die Gleise des Güterbahnhofs Gremberg zum Gremberger Wäldchen, das wir über den links abzweigenden »Wanderweg Vingst« erreichen. Das Wäldchen wird zwar von der Östlichen Zubringerstraße und den vielen Auffahrten brutal zerschnitten, dennoch wirkt es wie verwunschen. Wir halten uns links, unterqueren den Zubringer und biegen auf der anderen Seite direkt rechts ab. Ein Schild weist den Weg Richtung Vingst/Kuthstraße.
Bevor es nach Vingst geht, biegen wir schräg rechts ab und bleiben auf dem Fahrradweg, der entlang des Vingster Rings führt. Nach einer Weile sehen wir eine Brücke, die den Vingster Ring überquert. Die Brückenauffahrt erreichen wir, indem wir kurz vor der Brücke links abbiegen. Nach Überquerung der Brücke sehen wir auch schon den Eingang zum Vingster Badesee, der mit klarem Wasser, hübschen Liegeflächen und einer kleinen Imbissbude zur längerer Rast einlädt.
Für die letzte Etappe überqueren wir wieder die Brücke und folgen dem Radweg entlang des Vingster Rings. Nach Kreuzung der Frankfurter Straße wird der Ring zum Nohlenweg, von dem aus ein Pfad in den Wald abzweigt. Rechts lohnt ein Abstecher zu dem aus Trümmerschutt aufgeschütteten Vingster Rodelberg, der heute als BMX-Parcours genutzt wird und dem alten Festungsfort X. Nachdem der Pfad die Olpener Straße gekreuzt hat, führt er direkt in die Merheimer Heide, die sich zärtlich ins Autobahnkreuz A3/A4 schmiegt. Das Getöse ist zwar nicht zu überhören, rein optisch kommt die Heide dem Ideal der perfekten Idylle jedoch sehr nah. Wir sind am Ziel: Ein feiner Ort zum Picknicken und Frisbee-Spielen.
Zurück geht es ganz profan über die Kalk-Deutzer-Straße, wer jetzt müde ist, nimmt an der KVB-Haltestelle Höhenberg Frankfurter Straße (direkt am Ausgang südlichen Ausgang der Heide) die Linie 1.

 

Tour 4 – Die Nordtour

Flucht vor dem Kölnjeföhl

Christian Werthschulte genießt die städtebaulichen Kontraste an der westlichen Stadtgrenze

Köln ist ein Jeföhl und dieses Gefühl kommt dem Verdruss oft ziemlich nahe — wenn der Radweg mal wieder im Nichts endet oder die stark renovierungsbedürftige Wohnung trotzdem viel zu teuer ist.
Am Wandelwerk in der Liebigstraße hat man keine Lust, sich mit so etwas abzufinden. In einem alten Autohaus ist ein Coworking-Space entstanden, in dem man darüber nachdenken kann, wie man in Köln die dringend erforderliche sozial-ökologische Wende voranbringen kann oder einfach nur auf alten Sofas abhängen. Aber in ein paar Wochen kommt die Zwischennutzung hier an ein Ende und das Grundstück wird seiner marktwirtschaftlichen Bestimmung zugeführt. Der Immobilienentwickler Bouwfonds will hier ein neues Stadtquartier mit rund 140 Wohnungen und 37 Stadthäusern hochziehen. Auch auf dem Alten Güterbahnhof baut die Firma im heute üblichen Fake-Bauhaus-Stil großer Investoren — für rund 5900 Euro pro Quadratmeter. Da ist es wieder, das Köln-Jeföhl.
3,5 km westlich vom Wandelwerk sieht man, wie’s besser geht. In den 1920er Jahren hat der Architekt Walter Riphahn hier die erste GAG-Siedlung gebaut: die Rosenhof-Siedlung. Schon das Flanieren durch die renovierten Häuser im Stil der neuen Sachlichkeit ist ein Vergnügen.
In ihrer Mitte befindet sich ein großzügiger Platz, auf dem die Bewohner*innen im Sommer sitzen können.
Entlang eines herrlich breiten Radwegs nördlich des Westfriedhofs gelangen wir in die nächste Siedlung. 1967 wurde der Grundstein für die Trabantenstadt Bocklemünd gelegt. Rund 3000 Wohnungen und 12.000 neue Bewoh­ner*innen machten aus dem Dorf eine kleine Stadt. Verantwortlich dafür war der Architekt Henrik Busch, dessen Terrassen-Häuser mit Raumschiffoptik am Hindemithweg den Fortschrittsoptimismus der 60er Jahre am besten widerspiegeln. Denn der Rest von Bocklemünd erlebte das Schick­sal vieler Siedlungen der damaligen Zeit. Eine Lage an der Peripherie und zu niedrige Investitionen führten dazu, dass der Hausbestand verfiel. Vor einigen Jahren wur­de das Viertel zum Sanierungsgebiet erklärt. Die Wohnbau-­Unternehmen fingen an, die Häuser zu sanieren und die Stadt investierte in den öffentlichen Raum.
Wir verlassen Bocklemünd nach Norden und fahren links in Richtung A1. Kurz vor der Autobahn ist auf einmal die Stadt zu Ende. Statt Enge und bröckliger Bausubstanz erblicken wir Wald, ausschweifende Parkflächen, viele kleine Schrebergärten. Knapp hinter der Autobahn beginnt das Naturschutzgebiet Stöckheimer Hof mit vielen kleinen Seen. In den dicht bewachsenen Ufern haben sich viele Vogelarten angesiedelt, etwa Alexandersittiche und Schwäne. Es lohnt sich, die Seen auf der Suche nach einem guten Platz für eine Pause zu umfahren. Aber Vorsicht: Im Naturschutzgebiet haben Flora und Fauna Vorrang. Das wusste offenbar auch der Schwan, der den Autor dieses Textes bei der Recherche von seinem gemütlichen Uferplatz vertrieben hat.
Wer Sehnsucht nach dem Kölnjeföhl bekommt, kann in nordöstlicher Richtung nach Pesch fahren und die Route dort fortsetzen. Der Rest fährt westlich über die ­Felder in Richtung Pulheimer Stadtrand. Nichts lässt vermuten, dass die Stadtmitte gerade mal zehn Kilometer  entfernt ist. Dank Wald und Autobahn sind sogar Dom und Colonius unsichtbar. Es ist herrlich.
Bei Gut Pietschmühle biegen wir auf die Flaniermeile am Rande Pulheims: den Randkanalradweg. Am Wochenende entfaltet sich hier die gesamte Breite vorstädti­schen Lebens: beste Freundinnen an ihren Smartphones, Menschen, die ihre Hunde ausführen, Rentner*innen mit und ohne E-Bike. Auf der anderen Seite des Gewässers, das Abwasser aus dem Tagebauch Hambach leitet, schauen Reihenhausgiebel über Hecken hervor, an vielen Stellen kann man durch die labyrinthartigen Zonen des Pulheimer Stadtrands cruisen. Hier stehen sie, die »little boxes made of ticky-tacky«, die so vielen deut­schen Abiturient*innen vollkommen unbekannt sein sollen.
Wir aber fahren weiter nach Sinnersdorf. Auf Höhe des Fußballplatzes halten wir uns links in Richtung Hofladen, der in Wirklichkeit ein etwas größerer Marktstand ist. Hier können wir Käse, Obst und Limonade für eine ausgedehn­te Pause kaufen. Gefiederhipster könnte das etwas nördlich gelegene Vogelbiotop Sinnersdorf interessieren, wir fahren aber durch den Ortskern zum Gut Heinenhof, wo wir etwas Bier aus der lokalen Mikrobrauerei in die Satteltasche packen. Auf dem Weg dorthin tauchen Colonius, Media Park Tower und Dom am Horizont auf und genau dahin machen wir uns jetzt auf: über Felder und den Ortsrand von Pesch landen wir schließlich an der heimlichen Kölner Stadtgrenze: der Militärringstraße.
Nach dem Überqueren der Militärringstraße stellt sich das alte Feeling wieder ein. Ein Supermarkt und die Rück­seite der unter dubiosen Umständen gebauten MMC-Studios begrüßen uns. Wir fahren daran vorbei in Richtung Longerich und biegen kurz vor dem Kreisverkehr rechts in den Heckhofweg. Hier gibt es keinen Durchgangsverkehr, stattdessen üben Kinder dort Rollerskate-Fahren und Senioren gehen spazieren. An der Ecke Robert-Perthel-Straße ergibt sich eine typische Köln-Situation: Der Radweg ist nicht richtig eingezeichnet, man wird etwas unglücklich in den Autoverkehr.
Im Blücherpark ist das Kölnjeföhl dann etwas netter. Kaum ein Park vereint die Vielfalt der Bevölkerung so wie dieser. Es wird geschnackt, gespielt, und Kaffee getrunken. Und wenn die Pandemie mal vorbei ist, wird sicher auch wieder Musik an der Kahnstation aufgelegt. Da ist es dann auch egal, dass die Mieten in den umliegenden Mehrfa­milienhäusern vermutlich doch einen Tick zu hoch sind.

 

Tour 5 – Die Weihertour

Rund um die Weiher

Thomas Kehr bricht in den Kölner Westen auf und hat die Kinder im Gepäck

Wenn die kleinen Kinder im Anhänger quengeln und die etwas größeren auf ihren Rädern unruhig werden, wird es Zeit das Kulturdeck am Aachener Weiher in Richtung Clarenbachstraße zu verlassen, auch wenn die Erwachsenen (Gewachsenen) gerne noch den Elektrosounds gelauscht hätten, die gerade eine Wende zum chilligen nehmen.
Hier ist Köln großbürgerlich: An den Bächen (Rautenstrauchkanal) geht es durch die wunderbare alte Kastanien(baum)allee Richtung Gürtel, via Klosterstr. Schnatternde Enten, aggressive Schwäne und jede Menge Jogger verengen den Weg und am Gürtel stauen sich die Radfahrenden. Die Ampelphase erlaubt allerdings einer erklecklichen Menge die Überfahrt, auch die Kinder haben Zeit genug dieses »Hindernis« zu bewältigen . Im Stadtwald angekommen ziehen wir nach links auf die Kitschburger Straße um an der Ecke beim Pferdereiten die erste Pause einzulegen, am Kaffeestand mit Süßigkeiten.
Weiter geht es mit der Kitschburger über die Dürener in die Decksteiner, leicht bergan über Kreisverkehre Richtung Gleueler Straße. Kinder möchten geschoben werden, Erwachsene haben nicht so Lust dazu. Rechter Hand über den Friedhof Deckstein, eine wilde, kleine Grünanlage, mit zum Teil gruseligen Gräberresten eine stille Runde drehen und die Kinder schweigen ehrführchtig. 1869 entzündete der Friedhof einen Streit darüber, ob Evangelen wie auch Katholen dort beerdigt werden durften, worauf man sich schließlich einigen konnte. Seit hundert Jahren schon wird niemand mehr hier beerdigt.
Richtung Gleueler Straße geht die Fahrt, hinter der Bushaltestelle ziehen wir in die Kleingartenanlage Sülz und über den Sülzer Aquarienweg Richtung Beethovenpark, wo wir in der »Kletterrose« eine kleine Pause machen, lachen und weinen bei den Kleinen, die Großen trinken Kölsch. Zwei Mal rechts eröm Richtung Geißbockheim auf den Militärring, hier links, über die Luxemburger Richtung Am Eifeltor. Kurz rechts links rechts und schon geht es Richtung Kalscheurer Weiher über den Zollstocker Weg. Linker Hand liegt er dann idyllisch vor uns. Die Schwäne gleiten, die Boote schwimmen wie von Geisterhand geschoben übern See. Am Kiosk mit Bootsverleih gibt es Bockwurst, Eis oder Kaffee und Kuchen. angeblich gibt es hier den schönsten Sonnenuntergang der Domstadt, leider werden wir das heute nicht schaffen.
Die Kinder wollen bespaßt werden, mit Boot fahren und an den umliegenden Wiesen viel Platz für Federball, Fußball und einfach nur abhängen. Die Rückfahrt über Militärring Richtung Brühler Str., an der Ecker Leichweg über die neue Brücke Richtung Zollstock dem Radweg folgen. über die Markusstraße unter dem Raderthalgürtel her — eine der schönsten Radstrecken in Köln, einfach nur genießen. Parallel zur Vorgebirgsstraße durch den Vorgebirgspark, bis der Radweg plötzlich Ecke Vorgebirgsstraße/ Vorgebirgstor gegenüber vom Südstadion endet. Von hier rechts Richtung Volksgarten, den wir oberhalb passieren, um über Eifelwall Richtung Uni zu fahren, hinter der Mensa durch die Pappelallee zum Aachener Weiher — und Stopp.