Nur noch nach den eigenen Regeln: Hanitra Wagner. Foto: Anna Jaissle

Die Agenda ist das Uneindeutige

Bislang eher im Hintergrund, stellt sich Hanitra Wagner mit ihrem Projekt Vaovao jetzt ins Rampenlicht. Ein Interview pünktlich zum Solodebüt

Vaovao – ist das eigentlich dein Soloprojekt? Musikalisch ist es ja ein Duo…

Vaovao ist als Duo mit Oliver Bersin im Spätsommer 2018 entstanden. Wir waren damals auf Lanzarote im Haus von seiner Tante, als quasi der musikalische Grundstein gelegt wurde. Im Haus selbst gab es eine Gitarre, mehrere Rasseln und Windspiele, wir hatten ein Midi-Keyboard, ein Mikrofon und Laptop dabei. An einem Tag nach dem Frühstück haben wir einfach angefangen, drauf los zu klimpern und so sind zwei Songs entstanden. Im weiteren Verlauf haben wir vergangenes Jahr im ersten Lockdown die Platte zuhause komplett aufgenommen, beide an allen möglichen Instrumenten aktiv. Auch das Arrangement haben wir zusammen gemacht. Oliver hat aber irgendwann für sich beschlossen, lieber nur hinter den Kulissen zu agieren. Da das Konzept Soloprojekt für mich auch neu und aufregend war, haben wir entschieden,dass ich Vaovao bin.

Bislang bist du in Bands wie Die Heiterkeit oder Oracles als Frau eher im Hintergrund in Erscheinung getreten.

Bei der Heiterkeit war es eine wertvolle Erfahrung, mit anderen weiblichen Personen Musik zu machen und Freud und Leid des Tourlebens zu teilen. Irgendwann kam es aber zum Bruch. Bei Oracles war ich die einzige Frau und dann noch dazu nicht-weiß. Da wurde ich dann oft (fehl-)identifiziert als Fahrerin oder Merch-Frau, selten als aktive Musikerin. Eigentlich bin ich sehr müde, dass immer wieder thematisieren zu müssen. Aber als rassifizierte Frau stehst du immer irgendwie anders da als weiße Menschen. Das war in allen Konstellationen, in denen ich gespielt habe, immer irgendwie Thema, dass ein Außen da gerne etwas Exotisches in mir sehen oder mir eine gewisse Rolle zuweisen wollte. Ich habe beschlossen, mich als migrantisch-gelesene Frau aus der irgendwie konstant über mir hängenden Exotismus-Käseglocke zu befreien. Jetzt mache ich meine Regeln und ich bestimme darüber, was das Außen von mir mitbekommt und was nicht. Eine Art Self-Empowerment, wenn man so will.

Wie entwickelt ihr mit Vaovao eigentlich die Stücke, die ja irgendwo zwischen Song und Track changieren?

So gut wie alle Songs von Vaovao sind Resultat diverser Skizzen, loser Ideen und Jams, die irgendwann zusammengefunden haben. Weder Oliver noch ich sind Songschreiber*innen im klassischen Sinn. Viel passiert intuitiv. Man dudelt so rum, hat einen coolen Beat oder findet ein Sample, das ewig auf irgendeiner Festplatte gelegen hat. Das schnappt man sich, dudelt weiter, irgendwann entsteht ein Gerüst, worauf aufgebaut wird. Der Text kommt meist ganz zum Schluss, als Produkt unterschiedlicher Skizzen und loser Ideen.

Die Texte wirken eher assoziativ und beiläufig, wie ein Stream of Consciousness. Ungewöhnlich für deutsche Texte. Gibt es da eine Agenda?

Bei Vaovao geht es inhaltlich um nichts Spezifisches — eher ist es der in Text gebrachte Versuch, sich selbst als kleines Element im Universum zu fühlen. Sinneseindrücke, Wahrnehmungen oder Gefühle, die in unterschiedlichen Situationen entstehen. Die Agenda ist das Uneindeutige. Für mich war von Anfang an klar, dass Vaovao deutschsprachig wird — die Sprache und mich verbindet eine ewige Hassliebe. Englisch habe ich gelernt, um mich international ausdrücken zu können. Persönlich ist Englisch aber nicht meine Kunstsprache, dafür ist zwischen ihr und mir gefühlt zu viel Distanz.

Euer Sound klingt extrem nach Vintage-Elektronik und 80er-Jahre Drumcomputern. Habt ihr einen richtigen Instrumentenpark oder produziert ihr vor allem am Rechner?

Wir sind Hardware-Freaks. Der physische Korpus eines Instruments ist mir total wichtig. Wir haben ein Heimstudio mit diversen schönen Instrumenten und Drumcomputern, wo man sich austoben kann. Wir arbeiten natürlich auch mit Computern und Software-Plug-ins, aber das Besondere am Musizieren ist am Ende doch immer das physische Instrument.

Habt ihr euch vor Produktionsbeginn eine Art ästhetischen Leitfaden erstellt?

Vieles ist bei uns und unserer Art, Musik zu machen, sehr assoziativ. Da geht es dann eher um den Vibe des Songs und darum, welche Emotionen ausgelöst werden. Oliver als Kind der 80er Jahre kennt natürlich die Sounds und Techniken der Zeit. Ich, als Kind der 90er, habe einfach eine große Liebe für die musikalische 80s-Ästhetik. Besonders spannend fanden wir es, diese eher elektronische Ästhetik mit meinem klassischen musikalischen Hintergrund zu verbinden, ohne in Pop-meets-Klassik-Klischees zu verfallen.

Du hast aufgrund deiner Bandvergangenheit Einblick in die Musikszenen verschiedener deutscher Popmetropolen. Wie ist dein Verhältnis zur Kölner Szene und wieso arbeitest du hier?

Ich lebe und arbeite gerne in Köln, auch wenn mir in regelmäßigen Abständen die Decke auf den Kopf fällt. Köln hat diese Pop-Bubble, in die man eingesogen wird, wenn man entweder etabliert oder cool genug ist. Es gibt viele kreative und engagierte Menschen, die Köln als Pop-Standort repräsentieren. Aber: Die Kölner Szene ist hauptsächlich weiß. Was Köln — im Vergleich mit zum Beispiel Berlin — fehlt, ist eine etablierte QT-BI*PoC-Szene in Kunst und Musik und ihre Sichtbarkeit. Da hat Köln klar Nachholbedarf, allen Lebensrealitäten gerecht zu werden, auch innerhalb der Kölner Pop-Szene.

Album

Vaovao — Vaovao
erschienen auf Staatsakt/Bertus/Zebralution