Wo die wilden Kerle wohnen: Neusser Platz im Agnesviertel

Siena im Agnesviertel

Die Grünen wollen den Neusser Platz autofrei machen. Ist das ein Grund zur Panik?

Am Neusser Platz vor der Agneskirche ist es fünf vor zwölf — zumindest, wenn man der IG Neustadt-Nord glauben darf. Um eben diese Uhrzeit hatte sie an einem Samstag Anfang August zu einer Infoveranstaltung vor die Agneskirche geladen. Dort sollten Anwoh­ner*innen mit Politiker*innen von CDU, SPD, FDP und den Grünen sowie mit Ratsmitglied Karina Syndicus ins Gespräch kommen. Der Anlass: die Idee der Grünen, den Neusser Platz umzugestalten.

Im Juni waren die Grünen mit ihrem Konzept an die Öffentlichkeit gegangen. Die Neusser Straße soll rund um die Agneskirche für den Autoverkehr gesperrt werden, Fahrräder sollen dort weiter fahren dürfen. Die Fläche des Platzes würde sich verdoppeln, die Aufenthaltsqualität steigen, so die Grünen.

Martin Herrndorf, der für die Grünen in der Bezirksvertretung sitzt, hatte sogar einen Vergleich parat. Ein wenig wie die berühmte Piazza del Campo in Siena könne der Neusser Platz werden. Okay, Pferderennen und das ausgezeichnete Eis der Familie Nanini gibt es im Agnesviertel nicht, außerdem steht eine große Kirche in der Mitte des Platzes. Aber sonst?

Bei den von der Initiative versammelten Anwohner*innen kam der Vergleich nicht so gut an. »Wer das sagt, war wohl noch nie in Siena«, meinte eine. Eine andere fand, dass man den Platz vor einer Kirche eh nicht verändern dürfe, eine dritte nutzte die Gelegenheit, sich endlich mal über Radfahr­er*innen auf dem Bürgersteig echauffieren zu können. Dass die Veranstaltung immer mehr einem Facebook-Kommentar-­Thread ähnelte, war auch IG-Vorstand und CDU-Mitglied Reinald Korte zu verdanken, der mit aufgesetzter Empörung moderierte.

Erkenntnisreich war es dennoch. Denn im Laufe des nieseligen Samstagmittags stellte sich heraus, dass die anwesenden Anwohner*innen weniger der Autoverkehr als ein anderes Thema umtreibt: Sie wollen nicht, dass ihr 6000-Euro-pro-Quadratmeter-­Viertel wie ein anderes 6000-Euro-pro-Quadratmeter-Viertel werden könnte: »Wir wollen hier keinen zweiten Brüsseler Platz«, war immer wieder zu hören. Damit ist weniger die rund um den Platz angesiedelte Außengastronomie gemeint, als diejenigen, die den Neusser Platz nutzen, weil er öffentlicher Raum ist: Menschen, die sich dort auch abends treffen, um sich zu unterhalten und Bier zu trinken. Die waren an diesem Samstagmittag zwar weitgehend abwesend, wurden aber von den Anwesenden eindeutig als diejenigen identifiziert, die dort Müll oder Körperflüssigkeiten hinterlassen. Diese Menschen sollten doch besser den Ebertplatz nutzen, so war es immer zu hören, da würden sie nicht stören.

Ist damit der grüne Traum von Siena im Agnesviertel ausgeträumt? Nicht unbedingt. Vielleicht ist es aber besser, kleiner zu träumen. Seit 2015 gehören die Grünen einem Mehrheitsbündnis in der Bezirksvertretung Innenstadt an, seit 2016 im Rat der Stadt Köln. Für den Rad- und Fußverkehr rund um die Agneskirche hat sich seitdem nichts geändert.