»Keine angemessene Beachtung«: Sondermüllverbrennungsanlage in Leverkusen-Bürrig, Foto: Currenta

»Kritischer Betrieb«

Nach der verheerenden Explosion im Leverkusener Chempark bleibt die Politik seltsam still

Am Morgen des 27. Juli steht nach einer Explosion im Chempark Leverkusen stundenlang eine Rauchsäule über der Stadt. Sieben Menschen sterben, etliche sind teils schwerverletzt. Die Ursache für das Unglück in der Sondermüllverbrennungsanlage des Betreibers Currenta ist noch ungeklärt. Die Behörden gaben mittlerweile Entwarnung bei der Belastung durch Giftstoffe. Aber Umweltinitiativen wie BUND und Greenpeace haben daran nach eigenen Proben Zweifel. Dennoch: Der Rauch scheint sich auch im übertragenen Sinne verzogen zu haben.

Die Vorsitzende des Kölner Umweltausschusses, Denise Abé von den Grünen, mag sich nicht äußern. Auch kein anderer Kölner Grüner mag sprechen. Eine Anfrage an die Leverkusener Grünen bleibt unbeantwortet. Zwar ist die Kölner Bezirksregierung für sogenannte Störfallbetriebe zuständig, doch die Stille nach der Explosion verwundert. Schließlich hat auch Köln Störfallbetriebe, etwa Shell in Godorf.

Immerhin meldet sich der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Norwich Rüße. Er kritisiert das NRW-Umweltministerium, die  Bezirksregierung Köln und das Landesumweltamt. Es habe zu lange gedauert, bis sie Informationen für die Bevölkerung bereitstellten. »Nach dieser verheerenden Explosion in einer so dicht besiedelten Region ist das für mich komplett unverständlich.« Zudem seien »Informationen zu den in den Tanks gelagerten Stoffen im vorliegenden Fall erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung beschafft worden.«

Auch Benedikt Rees von der Klimaliste im Rat der Stadt Leverkusen kritisiert den Chempark-Betreiber Currenta, weil Informationen zu den Inhaltsstoffen der Tankanlagen erst auf Drängen der Behörden veröffentlicht worden seien. »Entweder die wussten es zum Zeitpunkt der Explosion wirklich nicht, oder sie wollten es nicht sofort offenlegen — beides wäre beunruhigend und empörend zugleich.« Dass es nur Stichproben gebe, was genau an Chemieabfällen zur Verbrennung angeliefert werde und oft allein die Vorlage der Frachtpapiere ausreiche, sei ihm von Mitarbeitern berichtet worden. Und auch, dass es bereits am Wochenende vor dem Unglück Probleme mit der Temperatur in den Tanks gegeben habe. Auch diesen Sachverhalt müsse nun die Staatsanwaltschaft Köln überprüfen, so Rees.

Erhard Schoofs wohnt nur zwei Kilometer vom Unglücksort entfernt. »Den Knall habe ich gehört und auch alles gesehen und gerochen«, sagt der Sprecher der Bürgerliste im Leverkusener Stadtrat. Die Politik sei abhängig von den Konzernen. Man habe die Gewerbesteuer abgesenkt, um Bayer und seine Tochterunternehmen zu halten oder anzusiedeln. Die Politik sei in einer schwachen Position.

Benedikt Rees von der Klimaliste betont, wie eng Politik und Verwaltung der Stadt Leverkusen mit dem Bayer-Konzern verwoben sind, der Currenta im Jahr 2019 an einen australischen Finanzinvestor verkaufte. Bereits früher sei der städtische Haushalt zuerst Bayer und dann erst dem Stadtrat zur Genehmigung vorgelegt worden. »SPD, CDU und auch die Grünen verfolgen hier gleichermaßen eine unkritische industriefreundliche Politik. Immer noch ist ein großer Teil der Bevölkerung beruflich eng mit dem Bayer-Konzern verbunden.« Nun aber seien viele Bürger über die schlechte Informationspolitik von Currenta empört. »Die Menschen lassen nun lieber Greenpeace Proben nehmen als Currenta«, sagt Rees. Die Konzernleitung beunruhige das. »Die Fraktionen und Gruppen des Stadtrats sind von Currenta bereits zu Gesprächen eingeladen worden — allerdings einzeln. Die wollen testen, wie groß der Rückhalt in Politik und Bevölkerung noch ist und gegebenenfalls gegensteuern.« Die ­Klimaliste plant nun eine eigene ­Bürgerinformationsveranstaltung mit BUND und Greenpeace.

Warum ruft das Unglück nicht die Kölner Politik wach? Zumal Norwich Rüße von den Grünen im Landtag sagt: »Gerade die Raffinerie in Godorf ist ein gutes Beispiel dafür, dass die derzeitige Situation unbefriedigend ist. Dabei geht es weniger um fehlende Gesetze als vielmehr um den Vollzug und die Kontrolle bestehender Vorgaben«. Für Rüße ist die Landesregierung verantwortlich. »Die Umwelt­verwaltung in NRW wurde von Schwarz-Gelb in der Vergangenheit massiv ausgehöhlt.« In vielen Bereichen fehlten nun die entsprechenden Fachleute oder einzelne Abteilungen seien überlastet.

Aber gibt es nicht auch einen blinden Fleck im Engagement für die Umwelt? Die Wählergruppe GUT im Kölner Rat stellt zumindest fest, dass viele Störfälle und Umweltbelastungen keine angemessene Beachtung fänden. »Auch seitens von Umweltinitiativen und NGOs nimmt man zu vielen dieser Themen kaum mal lokales Engagement wahr«, sagt Ratsfrau Karina Syndicus. Sie fordert außerdem »federführend durch die zustän­digen Bezirksregierungen, dringend eine intensivere interkommunale Zusammenarbeit in ­diesem Bereich«.

Für »kritische Betriebe«, sagt Norwich Rüße von den Grünen im Landtag, müsse es »häufigere und häufiger unangekündigte Kontrollen geben«. Die letzte unangekündigte Kontrolle bei Currenta datiert aus dem März 2018. Es wurden keine Mängel festgestellt.