»Ein Riesenleid«: Anno-Riegel in der Stollwerck-Siedlung

Südstadt im Ausverkauf

Die Verdrängung von Mietern geht weiter —vielen hilft die Milieuschutzsatzung nicht

Mitten in der Stollwercksiedlung, zwischen Severinstraße und Rheinufer, stehen Maschinen, die erahnen lassen, wie gigantisch einst die Schokoladenfabrik gewirkt haben muss. Nachdem das Unternehmen wegzog, standen die Hallen leer. Aktivisten besetzten sie, um Raum für Kunst und Kultur zu schaffen. Mit einer Modellwohnung wollten sie auch zeigen, dass hier günstiger Wohnraum entstehen kann.

Übrig ist davon heute noch der Anno-Riegel, eine in Mehrfamilienhäuser unterteilte und umgebaute Fabrikhalle entlang der Karl-Korn-Straße, die mit einem Rundbau an der Bottmühle abschließt. Ringsum entstand eine ganze Siedlung mit vielen Sozialwohnungen. Doch das angrenzende Severinsviertel, einst ein Sanierungsfall, ist längst heiß begehrt. Vieles spricht dafür, dass auch der Siedlung Aufwertung und Verdrängung drohen. Die Mietpreisbindungen von immer mehr Sozialwohnungen laufen aus. Familien wie die Weisers spüren die Folgen bereits unmittelbar.

Seit 2010 wohnen die beiden Krankenpfleger mit ihren vier Kindern in einer Sozialwohnung, 115 Quadratmeter im Erdgeschoss des Anno-Riegels, Warmmiete 1000 Euro. Das Haus, in dem sich ihre Wohnung befindet, wurde im ersten Halbjahr 2020 verkauft. Die Preisbindung endet mit diesem Jahr. Die Bewohner müssen beim Einzug dann keinen Wohnberechtigungsschein mehr vorweisen. Die neuen Eigentümer meldeten nach wenigen Monaten Eigenbedarf an. Sie wollen mehrere Wohnungen zusammenlegen. Dafür müssen fünf der fünfzehn Parteien ausziehen. Das geht aus den Kündigungsschreiben hervor.

Die Weisers haben Sorge, nicht nur ihr Viertel, sondern gleich die Stadtgrenzen hinter sich lassen zu müssen. Eines ihrer Kinder hat eine Behinderung, den Elfjährigen träfe der Umzug in eine fremde Umgebung besonders hart. Auf rund zwanzig und damit auf alle halbwegs in Frage kommenden Wohnungsinserate hat sich Monika Weiser, 47, in den vergangenen Wochen gemeldet. »Ich habe keine einzige Antwort erhalten«, sagt sie.

Der neue Eigentümer ist eine Familie, die sich für den Kauf zu einem Unternehmen zusammengeschlossen hat. Auf Anfrage per E-Mail meldet sich ein bekannter Kölner Medienanwalt, beauftragt mit der »presserechtlichen Beratung«.

Er teilt schriftlich mit: »In die zusammengelegten Wohnungen soll ein schwerbehindertes Familienmitglied mit seiner Lebensgefährtin und drei Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren einziehen. Der Mandant lebt derzeit mit seiner Familie in einer nicht behindertengerechten und viel zu kleinen Wohnung unter dem Dach und schläft dort im Wohnzimmer.« Dieser ist ebenfalls Rechtsanwalt.

Die Verdrängung seiner Mieter bedauert er: »Er weiß, dass es für die gekündigten Mieter sehr schwer sein wird, in ihrem Veedel günstigen Ersatzwohnraum zu finden. Ihm tut dies auch — wirklich — leid für die Menschen. Aber er hat angesichts seiner persönlichen Situation keine andere Wahl.« Perspektivisch sollen weitere Verwandte in das Haus einziehen, darunter zwei mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Aus ihrer Sicht würden die gekündigten Mieter der Sozialwohnungen und die neuen Eigentümer unter der gleichen Situation leiden: Schuld sei die Stadt, die nicht für ausreichend Wohnraum sorge.

Bezirkspolitiker und auch Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter hatten erfolglos zu vermitteln versucht. Die Südstadt werde gerade ausverkauft, sagt Mörtter. Er spricht von der »Gnadenlosigkeit des Geldes«. Die Politik sei gefordert. Ein »Paradigmenwechsel« sei nötig: massenhaft bezahlbare Wohnungen in kommunalem Besitz »wie in Wien«, auch wenn das eine Milliarde Euro koste.

In den ohnehin schon dicht bebauten Innenstadtvierteln entstehen aber derzeit so gut wie keine neuen Sozialwohnungen. Ratsleute und Bezirksvertreter aus der Südstadt fordern seit Jahren, zumindest den Schwund aufzuhalten. Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (Grüne), einst selbst an der Stollwerckbesetzung beteiligt, nennt das »ein Riesenleid«, das nicht verhindert werde, weil im Rat der politische Wille fehle.

Die einzig konkreten Hoffnungen verbinden viele mit der Milieuschutzsatzung, die seit 2014 für das Severinsviertel diskutiert wird. Im vorigen Jahr trat sie schließlich in Kraft. Nicht notwendige Umbauten müssen seitdem genehmigt werden. So sollen Luxussanierungen und die Verdrängung der eingesessenen Wohnbevölkerung verhindert werden. Doch die Wirkung ist begrenzt. »Milieuschutz ist kein Mieterschutz«, sagt Brigitte Scholz, Leiterin des zuständigen Stadtentwicklungsamtes. Die Satzung ziele auf den Erhalt der Bevölkerungszusammensetzung. In Einzelfällen biete das keine Garantie.

Das haben die Weisers, die sich an die Stadt gewandt haben, auch schriftlich. Sie wollen dennoch nicht aufgeben, wehren sich vor Gericht. Die Chancen bei einer Eigenbedarfskündigung stehen schlecht, heißt es beim Mieterverein. Mit einem offenen Brief haben sie sich auch an Oberbürgermeisterin Henriette Reker gewandt. Auf eine Antwort warten sie noch.