»Zinder«: Die Muskelspiele der Gangs

Neue Impulse

Das 18. »Afrika Film Festival« zeigt Geschichte und Gegenwart des Kontinents — und führt bis ins rheinische Braunkohlerevier

Kolonialismus und die »Black Lives Matter«-Bewegung beherrschen die Feuilletons. Da sollten Stimmen und Geschichten aus Afrika gefragt sein. Doch weit gefehlt. »Das Interesse an afrikanischen Filmen ist in Deutschland immer noch sehr mäßig«, sagt Sebastian Fischer vom »Afrika Film Festival«. Filmema­cher*innen suchten verzweifelt deutsche Verleihe, Dokumentarfilme würden von Sendern wie dem WDR ignoriert, meint Fischer. In Frankreich oder Skandinavien seien Sender offener für afrikanische Produktionen, dort gebe es auch große arabisch-afrikanische Festivals. Doch insgesamt betrachtet, sei auch das relativ gering. Dies erscheint ignorant. Dass afrikanische Filmemacher*innen nicht nur zum Kolonialismus Profundes zu sagen haben, lässt sich im September auf dem Afrika Film Festival erleben.

80 Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme werden zu sehen sein, darunter etwa das vielfach nominierte und in Locarno, Quebec und Luxor ausgezeichnete Drama »Nafi’s Father« von Mamadou Dia aus dem Senegal. Es zeigt in ruhigen, eindringlichen Bildern, wie ein Imam versucht, die Übernahme seines Dorfes durch islamistische Terroristen zu verhindern, wodurch er eine Familientragödie auslöst. Surreale und poetische Elemente durchziehen den Spielfilm »Air Conditioner« des angolanischen Kollektivs Geração 80. In der Hauptstadt Luanda fallen während einer Hitzewelle die Klimaanlagen von den Häuserwänden auf Straßen und in Hinterhöfe. Ein Hausmeister, der für seinen Boss eine Klimaanlage auftreiben soll, mäandert durch die Nachbarschaft, trifft illustre Gestalten, stößt auf die Vergangenheit Angolas und entflieht der Gegenwart für einen Moment in einem Auto ohne Motor.

Auf dem Programm stehen zudem viele Dokumentarfilme. Nicht nur, weil es dank handlichere Digitalkameras und hochwertiger Smartphones eine einfachere und günstigere Art des Filmens ist, vermutet Sebastian Fischer. »Auch viele Filmemacher*innen, die Spielfilme gedreht haben, machen jetzt Dokumentarfilme, weil sie damit näher an den Menschen sind.« Oft gibt Persönliches den Impuls. So folgt Filmemacherin Amina Abdoulaye den Spuren ihres Vaters, der bei einem Unfall ums Leben kam, als sie noch ein Kind war: Mamani Abdoulaye war nicht nur ein bekannter Schriftsteller aus dem Niger, sondern auch eine bedeutende Figur im Unabhängigkeitskampf des Landes. Im Gespräch mit Zeitgenossen, anhand von Archivmaterial und Tonaufnahmen entfaltet sich in »Sur le Traces de Mamani Abdoulaye« die charismatische Persönlichkeit des Mannes und ein zentraler Teil der Geschichte Nigers.

Wie es sich heute dort leben lässt, darauf wirft Regisseurin Aïcha Macky in »Zinder« einen Blick. Selbst in der Sahel-Stadt Zinder aufgewachsen, kehrt Macky dahin zurück, um Mitglieder der die Stadt beherrschenden Gangs zu begleiten, mit ihnen über die Gründe von Gewalt und Kriminalität zu sprechen — und über mögliche Alternativen. Filmemacher Siji Awoyinka hat die Liebe zur nigerianischen Musik in das Land seiner Kindheit zurückgeführt. Für »Elder’s Corner« hat Awoyinka bekannte Musiker aus der Zeit ab den 60er Jahren getroffen, mit ihnen über Stilrichtungen und Zeitgeschehen geplaudert und einige der nie archivierten Stücke mit der Band Bantu neu aufgenommen. Entstanden ist ein erhellender Film zur (Musik-)Geschichte Nigerias.

Seit den Arbeiten zu »Pas d’or pour Kalsaka« engagiert sich Regisseur Michel K. Zongo aus Burkina Faso als Aktivist für die Rechte der Dorfgemeinschaft des Ortes Kalsaka. Hier hat ein Unternehmen aus Großbritannien eine Goldmine erschlossen. In der Folge sind die Bauern enteignet worden, ihre Felder wurden zerstört oder unfruchtbar gemacht, die Brunnen mit Chemikalien vergiftet. Bis heute warten die Dorfbewohner*innen auf eine angemessene Entschädigung für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Michel K. Zongo ist vom Festival nach Köln eingeladen worden.— ebenso wie der Musiker Ade Bantu Odukoya, Ex-»Brothers Keepers« und Gründer der Band Bantu, sowie Aïcha Macky, Amina Abdoulaye und weitere Filmschaffende — in Workshops wollen sie mit Festivalbesu­cher*innen über ihre Filme sprechen. Mit Michel K. Zongo ist zudem eine Exkursion ins rheinische Braunkohlerevier geplant, für das sich Interessierte anmelden können. Im Workshop sollen Aktivist*innen aus dem Hambacher Forst mit ihm über Gemeinsamkeiten ihrer Umweltproteste und mögliche Vernetzungen sprechen.

Da die Corona-Auflagen bis verschärft werden könnten, ist bisher nicht abzusehen, ob alle Veranstaltungen stattfinden können. Und ob Besucher sich etwa wie angekündigt aktuelle VR-Produktionen aus Afrika im Café Hallmackenreuther anschauen oder im Foyer des Filmforums afrikanische Gerichte essen können. Bei Redaktionsschluss darf die Hälfte der Tickets pro Filmvorführung angeboten werden — im Online-Vorverkauf. »Notfalls haben wir ein digitales Backup«, sagt Sebastian Fischer. Einige Produktionen wie der digitalisierte Filmklassiker »Wend Kuuni« von Gaston Kaboré — der erste Spielfilm aus Burkina Faso — werden ohnehin nur online zu sehen sein. Dazu ist geplant, die Highlights des Festivals bei großem Andrang im Nachhinein online zu zeigen. Fischer bedauert, dass auch in diesem Jahr nur eingeschränkt möglich ist, was für ihn zum »Festivalzirkus« dazugehört. Seine Hoffnung: »Im nächsten Jahr wird es besser.« Dann feiert das Festival sein 30-jähriges Bestehen.

afrikafilmfestivalkoeln.de