Schöne Jugend, beschissene Welt

Räuberhände

İlker Çatak erzählt von Freundschaft, in der alles möglich scheint, aber nicht ist

İlker Çatak ist so mit das Beste, was dem bundesdeutschen Kino seit Jahren passiert ist, denn sein Kino ist eins der Einfachheit und Klarheit. Çatak pflegt das Geschichtenerzählen als Kommunikation mit dem Publikum, aber auch als Freude am Entdecken des Mediums selbst. Dabei sind Çataks Filme nie eitel, selbst wenn sie wie sein Debüt »Es war einmal Indianerland« in der Oberflächengestaltung einiges hermachen. Kein Regieeinfall oder Effekt verdeckt bei ihm je den eigentlichen Kern, nämlich die Geschichte von ein paar Jugendlichen, die erste Entscheidungen über ihr eigenes Glück und damit auch über das Glück einiger anderer fällen müssen. Nach dem Ausflug in die Problem- wie Begehrenswelt von Frauen und Männern, die älter sind als er selbst (»Es gilt das gesprochene Wort«), kehrt Çatak nun mit der Finn-Ole Heinrich-Adaption »Räuberhände« in die Welt Heranwachsender zurück. Inszenatorisch setzt er sich jedoch von »Es war einmal Indianerland« deutlich ab.

Die Geschichte von Janik und Samuel, die nach dem Abitur gen Istanbul reisen, um Samuels Vater zu suchen, wird mit größtmöglicher Einfachheit erzählt: Heinrichs assoziative Erinnerungs- und Vorstellungslandschaft wurde in eine geradlinige Filmhandlung gegossen, bei der es forcierter als im Buch um Konsequenzen und deren Preis geht. Die meisten Szenen werden in ökonomisch entwickelten Plansequenzen gespielt, die den Darsteller*in­nen Entfaltungsraum lassen, andererseits ihrem Spiel Zug verleihen, weil sie immer ein Ziel vorgeben. So wirkt das alles sehr frei im Gestus, vertändelt sich aber nie auch nur eine Sekunde. Geschnitten wird immer zwecks Verdichtung, die erreicht Çatak meist durch klar gesetzte, sprechende Details. Seine Regiestrategie spiegelt kongenial wider, was Janik und Samuel erleben und schließlich auch erleiden müssen: Wie das ist, in einer Welt zu leben, wo der Klassenantagonismus Alltag ist. Die beiden können so eng befreundet sein, wie sie wollen, eines Tages werden sie sich damit beschäftigen müssen, dass Janik aus dem Nettmenschen-Bürgertum und Samuel aus niederen Schichten stammt. Allein dafür muss man Çataks »Räuberhände« lieben: Er beschäftigt sich mit brutal gegenwärtigen Wirklichkeiten, über die sich das BRD-Kino gern plump was Liberales in die Tasche lügt. Und das ist nur der politisch wertvolle Teil — man lernt nämlich noch allerhand mehr aus dem Film. Man kommt reifer und klüger aus ihm heraus, und damit schöner. Und wann erlebt man das schon?

D 2020, R: İlker Çatak, D: Emil von Schönfels, Mekyas Mulugeta, Katharina Behrens, 92 Min.