Off goes ON

Nachlese: Bewährte Kräfte und Neuzugänge beim AIC ON-Wochenende der Freien Szene

Fast unbemerkt lief kurz vor der Sommerpause eine ungewöhnliche Gemeinschaftsaktion in der Kölner Kunstwelt ab. An rund dreißig Kunstorten präsentierte sich die seit 2015 unter dem Akronym AIC als Verein operierenden »Art Initiatives Cologne«. In ihrer fünften Ausgabe bespielte die Freie Szene wieder stadt- und gattungsübergreifend öffentliche wie private Räume und trat im Festival­modus auf. Der Titel AIC ON spielt auf »on it goes« an, aber auch ironisch auf den On- und Off-Modus der Freien Szene.

Mit von der Partie waren künstlerverwaltete Räume; Kunstvereine, in denen sich Künstler und Kunstliebhaber gemeinsam für künstlerische Innovation engagieren, sowie all jene etablierten Ausstellungsorte, die man mit AIC verbindet: die Privatinitiativen Richas Digest, Fotoraum Köln, der Raum für Malerei k634 in einem idyllischen Scherbergarten, dazu die artothek, Glasmoog und Matjö im Dunstkreis der Kunsthochschule für Medien, die Temporary Gallery oder die Fuhrwerkswaage in Sürth. Die stark variierenden Eröffnungstermine und das fehlende Faltblatt zu den bespielten Orte schien einige Besucher*innen offenbar nicht abgeschreckt zu haben.

Als Novum des diesjährigen AIC ON-Wochenendes hatte jeder Ort ein eigenes Plakat produziert und bot eine Sonderedition zum Verkauf an. Eine schöne Pointe war das beim Kölner Verlag Strzelecki Books erschienene Handbüchlein »HOW TO run an art space«, in dem AIC-Mitglieder — nicht ohne Ironie — Tipps für die Gründung eines Kunstraumes verraten. Darunter auch der Künstler und AIC ON-Koordinator Timo Schmidt, der der diesjährigen Ausgabe den maximal offenen, für alle Beteiligten reichlich schiffbaren Untertitel »navigation« gab. Dreh- und Angelpunkt der Rundgänge durch die Kölner Szene war natürlich die Ebertplatzpassage mit den üblichen Verdächtigen — dem Raum für intermediale Praxis LABOR sowie die benachbarten Kunsträume Mouches Volantes (ehem. Bruch & Dallas), GOLD + BETON und Gemeinde Köln.

Corona ist es geschuldet, dass die AIC ON-Neuzugänge 2021 meist Kunst auf Abstand — nämlich im Schaufenster — zeigten. So präsentierte in Nippes das BOHDE FENSTER Fotoarbeiten von Boris Becker unter dem Titel »sea beacons«. Die Fensterausstellungen im Atelier der Malerin Dorothea Bohde wecken schon seit Jahren in der Florastraße das Interesse von Nachbarn und Passant*innen — diesmal waren es großformatige Farbaufnahmen des Kölner Fotografen, die Überbleibsel von bizarrer Militärarchitektur aus dem Zweiten Weltkrieg an der Ostsee zeigen.

Ein Schaufensterdisplay in der Kalker Eythstraße machte mit Editionen neugierig auf die Group Show »STROMA« im Deutzer Kunstwerk. Initiatorin Nadjana Mohr und ihr Partner hatten die Gemeinschaftsausstellung in der ehemaligen Gummifabrik an der Zoobrücke unter dem Titel »MATCHPOINT« kuratiert. Mohr selbst war mit gipsbeschichteten, zentral im Raum installierten Jacken vertreten, die auf die Arbeitskluft in der einstigen Maschinenhalle verwiesen. An der Wand die Textilarbeit eines unter dem Pseudonym Conrad auftretenden Künstlers; auf dem Boden fest verschraubt die Betonskulpturen von Kriz Olbricht. Daneben eine strenge Installation mit Klappstühlen, die Jürgen Oschwald immer neu arrangierte. Die kaum hörbare minimalistische Klangkunst von Anna Schütten gab der Präsentation einen interdisziplinären Anstrich.

Eine weitere Schaufensterpräsentation bot CO3 CONMIDIA in der Nachbarschaft der Musikhochschule. Ein Ort, der sich auf Medienkunst aus dem Nahen Osten spezialisiert hat. Das Window-Screening »Auf dem Boden der Tatsachen« der Iranerin Roshanak Zangeneh lenkte den Blick auf zahlreiche von oben gefilmte, sich heftig bewegende Füße auf verschiedenen orientalisch anmutenden Böden. Die ungewöhnliche Perspektive begleitet ein Geräusch- und Stimmengewirr mit wiederkehrenden Muezzin-Rufen. Gegenstand der Arbeit sind Proteste und Demonstrationen im Iran.

Geradezu dynamisch sodann das Schaufenster von ZERO FOLD in der Innenstadt. Der Name des Raumes bedeutet im Roulette übrigens Nullfach, außerdem undefinierte Möglichkeiten. Diese nahm Max Marion Kober, die bei Walter Dahn und Gereon Krebber studiert hat, auch wahr: Die Malerin tauschte, neben den ständig installierten Gouachen und Wandobjekten im Inneren des kleinen Raums, die in der Schaufensternische präsentierten Gemälde regelmäßig aus.

In mehrfacher Hinsicht überraschend war der Raum k634 von Andreas Keil in einem behutsam verwilderten Biotop: Der Künstler präsentiert in dem romantischen Gartenhäuschen ausschließlich Malerei, die sich in der Auseinandersetzung mit der Natur befindet. Zu AIC ON zeigte Annette Wesseling Bilder aus Textil, das sie durch Witterung »bemalen« lässt. Ein ähnlich verwunschener, leider von Verkauf bzw. Abriss bedrohter Ort war dieses Jahr die Simultanhalle, ein langjähriges AIC-Mitglied. Den bis heute erhaltenen Modellbau für das Museum Ludwig (1979) umgibt ein Skulpturengarten aus älteren und neuen Installationen im wuchernden Grün der Anlage.

Und schließlich die einmaligen Auftritte: Zur AIC ON Pressekonferenz parkte zwischen den Eberplatzschauräumen der von mehreren überregionalen Sponsoren geförderte »Outer Space Transmitter« von Mona Schulzeck. Die international migrierende Skulptur in Antennengestalt stand einige Tage später vor dem Kunsthafen im Kunsthaus Rhenania. In diesen für interdisziplinäre Kunst traditionsreichen Sälen mit neuen Betreibern sowie im Quartier am Hafen in Poll fand ein qualitativ anspruchsvolles Performanceprogramm statt. Einmalig dabei der Salong Backyard in einem Hinterhofhäuschen, dem ehemaligen Atelier von Tobias Huschka. Dort zeigte der Fotograf in einer launig-anarchischen Hängung teilweise intime Alltagsaufnahmen verschiedenen Formats, die in ihrer Ästhetik sowie der legeren Sujetwahl an die frühe Bildsprache Wolfgang Tilmans denken lassen.

Zufrieden war AIC ON-Koordinator Timo Schmidt mit der diesjährigen Veranstaltung, wünscht sich allerdings für 2022 gemeinsame Eröffnungszeiten und, jawohl, einen ordentlichen Faltplan. Da kann man nur zustimmen und resümieren: Viel Performance und Medienkunst war diesmal im Angebot. Das nächste AIC ON-Wochenende sollte allerdings schon diverser sein, auch künstlerisch. Um sichtbarer zu werden und mehr Reichweite zu erzielen, wäre ein zündendes Thema interessant, an das sich alle Teilnehmer halten. Doch wie üblich in der langen Kunstszenen-Historie Kölns kann da noch einiges wachsen — vor allem mit deutlich mehr Dünger von Seiten der Förderer*innen, um etwa das Ringeltäubchen der Kölner Kunstszene, die Simultanhalle, den gierigen Investorenhänden zu entreißen.

Im September eröffnen viele AIC-Mitglieder mit neuen Shows die Herbstsaison. Informationen zur Initiative AIC, zu jedem Mitglied und zum aktuellen Ausstellungsprogramm auf www.aic.cologne