Porträt am Geisterfluss: Sebastian Ingenhoff, Foto: Friederike Wetzels

Die Geister, die niemand mehr ruft

Sebastian Ingenhoff hat einen Pop-Roman über verlorene Utopien geschrieben

Der Kölner Autor Sebastian Ingenhoff ist ein großer Fan von R&B-Superstar Rihanna. Eigentlich logisch, dass die Hauptfigur seines neuen Romans »Ghosting« dann auch ein R&B-Star ist. Aber Rihanna heißt hier Solana, ist die Anführerin einer Girls-Clique, die gleichzeitig ihre Backgroundsängerinnen und Tour-Entourage sind und hat keinerlei Star-Allüren — im Gegenteil: Sie ist ein Familienmensch.

Ein Krankheitsfall in der Familie zwingt sie mitten in den Aufnahmen zu einem neuen Album auf einen Transatlantikflug, der mit einem Absturz auf Grönland endet. Und dort entspinnt sich eine andere Geschichte: Solana trifft Alfie, einen kleinen grönländischen Jungen. Er wird ihr Führer auf einer Heldenreise durch eine Landschaft voller Monster (darunter sein verstorbener Vater) und anderer Gefahren, die durch die Goldschürfungen eines britischen Unternehmens zerstört worden ist. Das klingt genauso verworren, wie es sich streckenweise liest, aber am Ende löst sich alles auf. Wie genau, wird hier aber nicht gespoilert.

Klar, »Ghosting« ist ein Pop-Roman, in dem nicht die charakterliche Entwicklung und Glaubwürdigkeit der Figuren im Vordergrund stehen, sondern ihre Fähigkeit als Projektionsfläche für Dinge zu dienen, die größer sind als wir selbst. Und da ist besonders Solana perfekt geeignet: R&B-Sängerin mit protofeministischer Haltung, Tochter eines nicaraguanischen Sandinisten-Pärchens und trotz ihres Superstar-Status nahbar und solidarisch. Alfie dagegen ist ein moderner Caliban, das kolonisierte Subjekt, das in der Sprache der britischen Kolonisatoren spricht: in Popmusik. Nur dass Alfie diese Sprache nicht verflucht, sondern wie alle Teenager seine eigene Version davon entwickelt hat, die die nur ein wenig ältere Solana schon nicht mehr versteht. Ein Hindernis, sich zusammen durchzuschlagen ist das aber nicht: Wenn’s ums Überleben geht, finden die beiden Kolonisierten zueinander.

»Ghosting« ist daher vor allem ein Roman über eine Utopie, die es eigentlich nicht mehr gibt: von einem Pop, der Menschen zu solidarischem Handeln ermächtigt.

Sebastian Ingenhoff: »Ghosting«, Ventil Verlag, 224 Seiten, 18 Euro