»Der Schneeleopard« von Sylvain Tesso

Stadtrevue liest

Sie sind zu viert: der französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson, der Naturfotograf Vincent Munier, die Tierfilmerin Marie und ein Assistent namens Leo. Gemeinsam reisen sie vier Wochen lang durch die eisigen, menschenleeren Hochebenen Tibets, um einen der letzten Überlebenden seiner Art aufzuspüren: den Schneeleoparden. Von dieser realen Exkursion erzählt »Der Schneeleopard« und ist doch viel mehr und anderes als nur Reiseabenteuerbericht: philosophisches Essay, Selbstvergewisserung, Andacht, eine Meditation über die weiße Stille Tibets abseits des Menschen­lärms, in der alles möglich scheint. Vincent Tesson, der für seine Texte als höchste Auszeichnungen den Prix Goncourt erhielt, übersetzt das Erlebte in poetische, präzise Beschreibungen der Landschaft, wilder Tiere, der mühsamen Fußwege und Begegnungen mit Einheimischen. Als Essayist streift er bei seinen Reflexionen über Mensch und Natur antike Philosophen, die Weltreligionen, die Freiheitsphilosophie der Romantiker, Thoreaus »Walden« und Theorien zur Entstehung des Universums. Kurzum: Eine Reise zum Ursprung in Zeiten des Anthropozäns — wunderbar zu lesen in unserer atemlosen, narzisstischen, durchdrehenden Gegenwart.

Rowohlt, 192 Seiten, 20 Euro