Köln kann nicht anders

Mit Ascan Egerer und William Wolfgramm hat Köln zwei neue Dezernenten bekommen. Sie ­sollen den Klimaschutz und die Verkehrswende in der Stadt vorantreiben. Doch von ihnen spricht gerade keiner mehr. Denn ihre Wahl wird überschattet vom Skandal um den CDU-Politiker Niklas Kienitz, der das neue Dezernat für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Digitali­sierung leiten sollte — aber den Job nicht antreten durfte. Hat Köln seine nächste Klüngel-Affäre?

Politik wird in Köln nicht nur im Rat gemacht, sondern immer auch an den Spitzen der Stadtverwaltung. Deshalb ist die Wahl neuer Dezernenten aus den Reihen von Grünen und CDU eine weitreichende Entscheidung. Die Kommunalwahl vom Herbst 2020 hat die politischen Verhältnisse umgekrempelt: Die Grünen sind erstmals stärkste Fraktion, die CDU landete nur auf Platz drei und ist im Bündnis mit den Grünen nun Juniorpartner. Die Verluste der CDU machten es für Grün-Schwarz sogar nötig, sich die neue Europapartei Volt hinzuzuholen, um weiter an der Macht zu bleiben.

Wenn man sich OB Henriette Reker als Kanzlerin von Köln vorstellt, dann sind die Beigeordneten ihre Ministerinnen und Minister. Grüne und CDU besetzen demnächst jeweils vier dieser Posten — ein Erfolg der CDU angesichts ihrer Wahlniederlage. Zwar soll eine Stadtverwaltung nicht politisch agieren, aber gerade in Köln hat das Tradition. Ratsbeschlüsse können schnell und engagiert umgesetzt werden — oder mit großer Verzögerung. Der Ärger vieler Ratsmitglieder über das Handeln der Verwaltung klingt nahezu in jeder Sitzung an.

Die Kommunalwahl und das neue Ratsbündnis haben auch Folgen für die Struktur der Kölner Stadtverwaltung, der Reker vorsteht. Vier von nunmehr neun Dezernaten bekommen eine neue Führung. Die Grünen sicherten sich die beiden Dezernate für Verkehr sowie Umwelt und Klima, die CDU soll das neue Dezernat für Wirtschaft und Stadtentwicklung bekommen sowie demnächst das Kulturdezernat.

In der letzten Sitzung vor der Sommerpause wählte der Rat drei neue Dezernenten: Auf Vorschlag der Grünen übernimmt der Karlsruher ÖPNV-Manager Ascan Egerer die Zuständigkeit für Verkehr. Dem neuen Klimadezernat steht der langjährige Leiter des Kölner OB-Büros, William Wolfgramm, vor. Die Besetzung des neuen Dezernats für Stadtentwicklung und Wirtschaft aber scheiterte: CDU-Fraktionsgeschäftsführer Niklas Kienitz, den der Rat für diesen Posten gewählt hatte, wollte Ende Juli plötzlich doch nicht mehr — offenbar, um einem negativen Bescheid der Bezirksregierung zuvorzukommen, die Kienitz die fachliche Eignung für dieses Amt absprach. Der Vorgang bringt das Ratsbündnis, aber auch OB Henriette Reker in die Bredouille.

 

Das neue Dezernat für Wirtschaft und Stadtentwicklung

Als Niklas Kienitz am 24. Juli hinschmiss, begründete er seinen Schritt damit, dass er »massive persönliche Anfeindungen, bis hin zu Bedrohungen« erlebt habe. Mit dem Rückzug wolle er Schaden von der Stadt, seiner Partei, aber auch seiner eigenen Person und Familie abwenden. War er, wie viele andere Lokalpolitiker, Opfer von Hass und Anfeindungen geworden?

Kienitz ist langjähriger Kölner CDU-Fraktionsgeschäftsführer, lebt in Ehrenfeld und postet auch mal ein Foto seiner Frühstücks-Bowl in den Sozialen Medien. Wenn es so etwas wie eine Großstadt-CDU gibt, dann ist Niklas Kienitz ihr Kölner Gesicht.

Als der Rat ihn im Juni zum Dezernenten wählte, stand Kienitz aber längst in der Kritik. Wenige Tage zuvor hatte der Kölner Stadt-Anzeiger Details über Kienitz’ Beteiligung an der Stadtwerke-Affäre im Jahr 2018 öffentlich gemacht. Damals wollten die Spitzen von CDU, SPD und Grünen einen hoch dotierten Managerposten ohne Ausschreibung an den SPD-Politiker Martin Börschel vergeben. Nun, kurz vor Kienitz’ Wahl, wurde einer größeren Öffentlichkeit bekannt, dass auch Kienitz seine Unterschrift unter diesen Deal gesetzt hatte.

Kienitz’ Wahlergebnis war entsprechend mau: Er erhielt nur 50 von 90 Stimmen. »Mit dieser Vorbelastung konnten wir Herrn Kienitz nicht wählen«, sagt etwa Güldane Tokyürek, Fraktionssprecherin der Linken. Nach der Wahl beantragte Tokyürek Akteneinsicht, weil ihr das Auswahlverfahren nicht transparent genug erschien. Kienitz, der schon bei den Bündnisverhandlungen von Grünen, CDU und Volt als Kandidat für das neue, rund 500 Mitarbeiter starke Dezernat vorgesehen war, hatte sich zwar gegen mehr als hundert Mitbewerber durchgesetzt. Ihre Zweifel seien dadurch nicht ausgeräumt worden, sagt Tokyürek: »Es gab so viele Bewerber. Warum sollen die alle nicht geeignet gewesen sein?«

Trotzdem gaben die Grünen aus Bündnistreue Kienitz ihre Stimme — obwohl es in der Partei großen Ärger deswegen gab. Auf einer Kreismitgliederversammlung der Grünen, wenige Tage vor Kienitz’ Wahl, scheiterte nur knapp ein Antrag aus dem Umfeld der Nippeser Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert, Kienitz nicht zu wählen.  

Doch der eigentliche Eklat folgte erst nach Kienitz’ Rückzug. Zwei Tage später stellte sich heraus, dass er seinen Posten wohl ohnehin nicht hätte antreten dürfen: In einem internen Papier der Bezirksregierung heißt es, dass Kienitz »nicht über ausreichend beruflich erlangte Fachkenntnisse und entsprechend ausreichende Erfahrungen« verfüge. Damit sei seine Wahl rechtswidrig.

Kienitz ist zwar Jurist, Immobilienökonom und hat einige Jahre den Stadtentwicklungsausschuss geleitet. Ein Hintergrund in Stadtplanung und Führungserfahrung in der Verwaltung aber fehlen ihm — im Gegensatz zu anderen Bewerbern. Dem Vernehmen nach gab es einige hochrangige Interessenten mit ausgezeichnetem Ruf. Passte deren Haltung nicht? Hatte ihnen die CDU-Fraktion diskret nahe gelegt, sich doch bitte zurückzuziehen?

Die Absage an Kienitz und seine eigene Darstellung des Vorgangs sind ein Desaster — für ihn selbst, aber auch für die CDU und Reker, die das Auswahlverfahren verantwortet haben. Sie beharren darauf, Kienitz sei mit seiner »Vernetzung« (Reker), seiner »fachlichen Expertise« und seinem »strategischen Geschick« (CDU) bestens geeignet. Die CDU verweist auf »juristische Auslegungsspielräume«, die die SPD-geführte Bezirksregierung zu einem anderen Urteil habe kommen lassen. Unerwähnt bleibt, dass auch das CDU-geführte NRW-Kommunalministerium keine Einwände gegen die Beanstandung der Bezirksregierung hatte.

Auch Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen, hält die Entscheidung der Bezirksregierung für politisch begründet. »Fachlich halten wir Herrn Kienitz nach wie vor für qualifiziert«, sagt sie. In der Rückschau müsse man aber feststellen, dass die Diskussion um Kienitz’ Rolle in der Stadtwerke-Affäre dem Amt geschadet hätten. Will man dem Juniorpartner CDU endlich Grenzen aufzeigen? Dazu sagt Martin nur: »Im August werden wir den Auftrag, die Stelle neu auszuschreiben, noch nicht vergeben. Wir haben noch Beratungsbedarf.«

Beim kleinsten Bündnispartner Volt gibt man sich kämpferischer. Zwar habe man Kienitz mitgewählt. Doch nun bemängelt Volt die fehlende Aufarbeitung des Skandals. »Bezirksregierung, Landesregierung und die OB schweigen zu den Vorgängen rund um Niklas Kienitz«, so Manuel Jeschka. »Das ist das beste Beispiel dafür, wie Politik nicht laufen sollte.« Ihm leuchte ohnehin nicht ein, warum Dezernatsposten auf Vorschlag von Parteien vergeben werden. Jeschka nennt Aachen als Vorbild. Dort seien alle im Rat vertretenen Fraktionen in das Auswahlverfahren involviert. Warum nicht auch in Köln? Volt will nun erreichen, dass der nächste Kandidat zumindest von Grünen und Volt mitbestimmt wird. Und noch etwas anderes schwebt der kleinen Fraktion vor: »Wir wollen den Bereich Digitalisierung im Dezernat durch einen Chief Digital Officer (CDO) hervorheben und zusätzlich durch einen bei der OB angesiedelten Digitalrat stärken.«

Im Gegensatz zum politischen Neuling Volt hält sich die mit Abstand größte Fraktion im Rat, die Grünen, mit Forderungen zurück. Und warum haben die Grünen der Neugründung des Dezernats mit der gewagten Kombination von Aufgabenfeldern überhaupt zugestimmt? Erst 2003 hatten sie aus guten Gründen die Trennung von Wirtschaft und Stadtentwicklung erreicht. So lässt die Kienitz-Affäre nun sogar die heillos zerstrittene SPD-Fraktion besonnen und konstruktiv aussehen. Sie schlägt vor, das Kienitz-Dezernat aufzulösen und die Ämter wieder »nach sachpolitischen Erwägungen« zu bündeln. »Für uns gehören Stadtentwicklung, Stadtplanung und Bauen unbedingt in ein Dezernat«, so SPD-Fraktionschef Christian Joisten. Der Bereich Digitalisierung solle dem OB-Büro zugeordnet werden. »Damit kann das Zukunftsthema Digitalisierung mit der Funktion des Chief Digital Officers endlich zur Chefsache werden«, so Joisten. Einen CDO hat auch Volt immer gefordert. Streckt hier die SPD ihre Fühler aus?

 

Das neue Klima-Dezernat

Mit der Wahl von William Wolfgramm zum Dezernenten für Umwelt, Klima und Liegenschaften wird das bisherige Dezernat für Umwelt und Soziales aufgeteilt. Es wurde bislang von Harald Rau geleitet. Er hatte sich hier umwelt- und klimapolitisch profiliert, genießt Ansehen bei Initiativen wie Fridays for Future oder Scientists for Future.

Im Stadtvorstand aber wirkte Rau isoliert. Mit OB Reker geriet er schon zu Beginn seiner Amtszeit aneinander, als er laut über eine City-Maut nachdachte. Auch für Dieselfahrverbote sprach Rau sich aus, zeigte Sympathien für die Deutsche Umwelthilfe, die Städte wegen Überschreitung von Grenzwerten verklagte.

Doch die Grünen fremdelten mit ihm. Rau muss schnell unzufrieden gewesen sein. Erst seit Mitte 2016 im Amt, trat er 2018 als OB-Kandidat in Offenburg an. Er verlor und kehrte angeschlagen zurück nach Köln. Sein Verhältnis zu Henriette Reker, aber auch der bisherigen Verkehrsdezernentin Andrea Blome, deren angekündigte Verkehrswende etwas Zeitlupenhaftes hatte, war recht kühl.

Zuletzt installierte Rau den Klimarat. In dem Gremium brachte er Vertreter der Stadt mit Wirtschaft sowie auch einem Vertreter der Scientists for Future zusammen, um die Klimaziele zu erreichen. Es bedürfe allerdings immer noch enormer Anstrengungen, so Rau ein ums andere Mal. Dass Köln klimapolitisch viel erreicht habe, lässt sich nicht behaupten. Wurde Rau ausgebremst oder handelte er zu ungeschickt?

Das Dezernat für Umwelt und Soziales sei zu groß, hörte man oft im Rathaus. Dass nun aber ausgerechnet die Grünen Rau die Zuständigkeiten für Umwelt und Klima nehmen, zeigt deren tiefe Unzufriedenheit.

Der neue Klima- und Umweltdezernent William Wolfgramm arbeitet seit 2015 bei der Stadt Köln und leitet seit 2018 das Büro von OB Reker. Sie verspricht sich »wichtige und nachhaltige Akzente in den beiden Megathemen Umwelt und Klima« von Wolfgramm — was angesichts der Kontroversen mit Rau beim selben Thema arg gestanzt klingt.

Wolfgramm gilt allerdings — anders als Rau bei Amtsantritt — als ausgewiesener Klima- und Umwelt-Experte. Auch in der Verwaltung agierte er bislang routiniert und gilt als Stratege im Hintergrund. Der aus Leverkusen stammende Diplom-Geograph arbeitete zuvor in den Verwaltungen der Stadt Bonn und der Bezirksregierung Düsseldorf, wo er Dezernent in der Abteilung für Umweltschutz und später Büroleiter von Regierungspräsidentin Anne Lütkes (Grüne) war.

Im Stadtvorstand um OB Reker sind Grüne und CDU gleichberechtigt mit je vier Dezernatsleitungen vertreten. Die CDU kontrolliert dabei so wichtige Ressorts wie Stadtplanung, Wirtschaft, Planen und Bauen — alles Zuständigkeiten, die auch für den Klimaschutz wichtig sind, der für die Kölner CDU aber bislang kein großes Thema gewesen ist. Nach dem hohen Wahlsieg der Grünen sorgte auch das an deren Basis schnell für Unmut.

Lino Hammer, Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Rat, sieht die Position der Grünen in der Verwaltung hingegen gestärkt. Die »Fokussierung auf Klima- und Umweltschutz in einem eigenständigen Dezernat« mache es zu einem »Querschnittsdezernat«, sagt er. »Das neue Dezernat kann, muss und soll auch in die anderen Dezernate hineinwirken.«

Letztendlich, so Lino Hammer, sei ohnehin der Rat dafür zuständig, entsprechende Anträge zu beschließen, um die Klimapolitik voranzutreiben. Die Grünen werden hier im Rat Vorstöße machen müssen. Sie wollen etwa die Passivhaus-Bauweise zum Standard erheben. »Dann kann auch ein CDU-Dezernent nicht sagen, das machen wir nicht«, sagt Hammer mit Blick auf die Dezernate für Planen und Bauen sowie Stadtentwicklung. Die Grünen werden sich jeden Bebauungsplan wohl ganz genau anschauen müssen.

 

Das Verkehrsdezernat

Ascan Egerer scheut das Risiko nicht: Zum Bewerbungsgespräch bei den Grünen reiste der künftige Verkehrsdezernent aus Karlsruhe mit Bahn und Leihrad an. Der 52-Jährige tritt die Nachfolge von Andrea Blome an, die neue Stadtdirektorin wurde. Blome kam ihrer möglichen Ablösung zuvor: Die grünen Wahlgewinner hatten großen Wert auf eine Neuausrichtung des Dezernats gelegt, Blome hatte in ihrer vierjährigen Amtszeit die angekündigte Verkehrswende kaum vorangebracht. »Wir haben mit dem Posten der Stadtdirektorin einen hohen Preis dafür bezahlt, dieses Amt zu besetzen. Doch das war es wert. Die Mobilitätswende ist ein zentraler Baustein für mehr Klimaschutz und Lebensqualität«, sagt Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin. »Außerdem wurden wir für eine Verkehrswende gewählt.« Der Verkehrsdezernent ist gewissermaßen der Königstransfer der Grünen.

Der parteilose Egerer kommt von den Karlsruher Verkehrsbetrieben. Der Ingenieur war dort Technischer Geschäftsführer und verantwortete als Teil einer Doppelspitze 2300 Mitarbeiter. Egerer ist damit der einzige, der von außerhalb neu zum Stadtvorstand stößt. Fremd ist ihm Köln nicht: Bevor er 2014 nach Karlsruhe wechselte, arbeitete er in verschiedenen Positionen bei der Deutschen Bahn und ihren Tochterunternehmen, unter anderem für DB Regio NRW in Köln.

Egerer sei ein »Mann der Schiene«, sagt Christiane Martin. »Aber es gibt für uns keinen Zweifel, dass er auch den Rad- und Fußverkehr auf dem Schirm hat«. Die Grünen erhoffen sich eine schnelle Stärkung des sogenannten Umweltverbunds, vor allem durch eine Verbesserung der Infrastruktur für Menschen, die sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegen. »Egerer hat die Verkehrswende inhaliert, das hat er uns auch anhand seiner eigenen Mobilitäts-Vita sehr authentisch gezeigt«, sagt Martin. Im Verkehrsdezernat wird bald auch die Leitung des Amts für Straßen und Verkehrsentwicklung neu besetzt. Egerer soll die Verkehrswende auch innerhalb des Dezernats voranbringen.

Der Rat sprach sich im Juni zwar mit breiter Mehrheit für Egerer aus, die FDP aber stimmte gegen ihn. »Das hatte politische Gründe«, erklärt der FDP-Verkehrspolitiker Ralph Sterck. Der Stadtvorstand sei vom Ratsbündnis aufgebläht worden, um sich an den neu geschaffenen Ämtern zu bedienen. »Da machen wir nicht mit — das musste Herr Egerer dann ausbaden«, so Sterck. Inhaltlich sehe er die Besetzung positiv. »Ich halte es für einen geschickten Schachzug und gut für die Stadt, dass man einen Bahn-Fachmann gefunden hat. Der Ausbau des ÖPNV ist das Problem bei allem, was in Köln Verkehrswende genannt wird.« Die Stadt sei beim Ausbau des Schienennetzes Jahrzehnte hinterher. »Es ist keine Verkehrspolitik, wenn jemand eine Autospur rot anmalt und sagt: Das ist jetzt ein Radweg«, so Sterck.

Im Nahverkehr könnte auch die größte Herausforderung auf Egerer warten: der Ausbau der Ost-West-Achse. Die KVB-Strecke, auf der die Linie 1, 7 und 9 verkehren, ist überlastet und soll gestärkt werden. Entweder mit einem U-Bahn-Tunnel, wie ihn etwa die CDU befürwortet, oder mit einem oberirdischen Ausbau, wie ihn die Grünen fordern. Das »Jahrhundertprojekt« spaltet das Bündnis. In der vergangenen Ratsperiode einigten sich Grüne und CDU auf einen Kompromiss: Zunächst werden beide Varianten geprüft, ehe der Stadtrat entscheidet. Mit dem Ergebnis dieser Vorprüfung wird im kommenden Jahr gerechnet. Egerers Vorgängerin Andrea Blome favorisierte, wie auch OB Henriette Reker, eine U-Bahn.

In den Gesprächen zwischen Egerer und den Grünen sei die Ost-West-Achse zwar Thema gewesen, erzählt Grünen-Chefin Martin, nicht aber Egerers konkrete Position zum Projekt. Auch in Karlsruhe hatte Egerer zuletzt mit einem Großprojekt zu tun, zu dem der Bau einer U-Bahn gehörte. Er wirkte in den vergangenen Jahren an einer »Kombilösung« mit: 2002 hatte die Karlsruher Bevölkerung per Bürgerentscheid für den Bau eines Stadtbahntunnels votiert. Ziel war es auch, die Aufenthaltsqualität in der Karlsruher Innenstadt zu erhöhen. Ende des Jahres soll die Kombilösung fertig sein. Egerer wird die Eröffnung noch teilweise begleiten. Wenn das Karlsruher Jahrhundertprojekt abgeschlossen ist, liegen auf seinem Schreibtisch in Köln schon die Pläne für das nächste.

 

Das Kulturdezernat

Bei all dem Wirbel ist beinahe untergegangen, dass noch eine vierte Personalie ansteht: die Leitung des Kulturdezernats. Hier droht der nächste Eklat. Nicht nur, weil manch einer skeptisch ist, ob es gut ist, dass die CDU auch hier das Vorschlagsrecht hat, sondern auch, weil die Erwartungen äußerst hoch sind. Der Posten steht seit der missglückten Kulturhauptstadt-Bewerbung 2004 in der Kritik. Mit der Amtsführung der noch amtierenden Dezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach scheint ein Tiefpunkt erreicht. CDU, Grüne und FDP wollten sie 2017 schon abwählen, da auch das Desaster der Bühnensanierung am Offenbachplatz sowie die verschleppte Sanierung des Römisch-Germanischen Museums von ihr zu verantworten seien. OB Reker entzog ihr die Zuständigkeit für Kulturbauten, die nun wieder vom Baudezernat verantwortet werden. Auch die Personalwechsel an der Spitze von Oper und Schauspielhaus liefen zuletzt nicht über Laugwitz-Aulbach, sondern das OB-Büro.

»Es ist durchaus von Bedeutung, welche Partei diese Person vorschlägt«, sagt Brigitta von Bülow, kulturpolitische Sprecherin der Grünen. Der Kulturbegriff der CDU und auch der von Laugwitz-Aulbach erscheint ihr zu eng. »Wir brauchen eine Dezernatsleitung, die nicht nur Köln im Blick hat, sondern die globale Entwicklung, Themen wie Diversität, Inklusion und Digitalisierung.« Neue Formen spartenübergreifender Kunst, Experimentelle Musik, Clubkultur seien aus der Kulturförderung bisher herausgefallen. »Das muss sich ändern.«

Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass der Schweizer Stefan Charles das Rennen gemacht hat. Der 54-Jährige war zuvor u.a. kaufmännischer Direktor des Kunstmuseums Basel und Leiter der Kultursparte des Schweizer Senders SRF. Von Bülow begrüßt den Vorschlag: »Charles steht für Vielfalt und neuen Schwung.« Seine aktuelle Veröffentlichung »Grüne Museen jetzt« zeige, dass er den aktuellen Diskurs kreativ und engagiert begleite.