Antifa AM Spielecontroller

Sie sind so vielfältig wie die Gesellschaft: Aber in manchen Spiele-Communitys dominieren sexistische Einstellungen und offener Rassismus. Und Rechtsextreme versuchen, auf Spieleplattformen Anhänger*innen zu rekrutieren. Die Initiative »Keinen Pixel den Faschisten« tritt ihnen entgegen. Wie funktioniert Antifa im Gamingspace?

Gamescom, 2020. Im Rahmen der virtuellen Entwicklerkonferenz Devcom soll es einen Roundtable geben. Eingeladen ist dazu ein polnisches Entwicklerstudio, das gerade an einem Echtzeit-Strategiespiel arbeitet, das an der Ostfront angesiedelt ist. Als die Einladung bekannt wird, erhalten die Organisator*innen Hinweise darauf, dass das Entwicklerstudio schon durch menschenfeindliche und rechtsoffene Inhalte aufgefallen ist. Zuvor hatte es ein Shoot’em’Up-Spiel entwickelt, bei dem man in kürzester Zeit möglichst viele Menschen umbringen muss. Gaming-Medien nannten es eine »Massenmörder-Simulation«, die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften indizierte das Spiel. Das Gamescom-Team reagiert. Anstatt des Panels mit dem polnischen Gamingstudio führen sie ein Interview mit dem Team des Spiels »Through the Darkest of Times«. Dort sind die Spieler*innen Teil einer Widerstandsgruppe in der NS-Zeit.

»Es braucht öffentlichen Druck, um so etwas zu erreichen, und daran haben wir mitgewirkt«, sagt Pascal Wagner. Der Linguist aus München entwickelt unter anderem ein Computerspiel für den Fremdsprachenerwerb und hat im April 2020 mit anderen die Initiative »Keinen Pixel den Fa­schisten« gegründet. Darin haben sich rund hundert Content Creators aus der Gaming-Szene, Wissenschaft und Politik ehrenamtlich zusammengeschlossen. »Gaming Spaces haben ein Problem mit rechten Einflüssen, das wenig beachtet wird«, sagt Wagner. »Dagegen wollten wir etwas tun.«

Was er damit meint? Es gibt die offensichtlichen Versuche Rechtsextremer, die Gaming-Szene zu vereinnahmen. Der Kölner AfD-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp etwa verkündete Mitte Juli auf Twitter, dass er den Spieleprogrammierer Kvltgames ein Jahr lang mit 500 Euro im Monat fördern wolle, um damit eine »patriotische Gegenöffentlichkeit« zu erzeugen. Kvltgames ist im Dunstkreis der Identitären Bewegung Österreichs aktiv.

In seinem bislang einzigem Spiel kämpfen führende Köpfe der rechten Szene gegen die »Globohomo Corporation«, deren Spielfiguren wie Angela Merkel oder George Soros aussehen oder die T-Shirts tragen, auf denen »Refugees Welcome« steht oder ein Regenbogen gedruckt ist. Das Spiel wurde im Frühjahr 2021 wegen Homophobie und »Fremdenfeindlichkeit« indiziert. Aber oftmals sind die Verbindungen nicht so offensichtlich. Stephan B., der Attentäter von Halle, inszenierte seine Tat wie einen Egoshooter und streamte sie live auf der Plattform Twitch, die vor allem für Streams von Videospielen genutzt wird. Jenseits dieses Imitationseffekts gibt es weitere Überschneidungen. In den Foren der Spieleverkaufsplattform Steam gibt es Nutzer, die sich nach Anders Breivik, dem rechtsextremen Attentäter von Oslo, oder nach Brenton Tarrant benennen, der 2019 in Christchurch 51 Menschen bei einem rechtsterroristischen Anschlag  auf eine Moschee tötete.  »Auf Steam gibt es viele unmoderierte oder schlecht moderierte Foren«, sagt Wagner. Betrieben werden sie zumeist von den Spielefirmen selbst. »Bei den Nutzerprofilen der großen First-Person-Shooter wie ›Call of Duty‹ oder ›Battlefield‹ findet man viele Anspielungen: Hakenkreuze und Weltkriegs-Nostalgie oder Nutzernamen, die auf ›18‹ enden, den Initialen  von Adolf Hitler.« Die Publisher würden dies zumeist tolerieren, um ihre Zielgruppe nicht zu vergraulen, meint  Wagner. So konnte sich Paradox, der Publisher des Strategiespiels »Crusader Kings« nicht dazu durchringen,  den Schlachtruf »Deus Vult« aus dem Spiel zu entfernen, obwohl dieser ein Erkennungszeichen der Alt-Right-Bewegung geworden ist.

Die rund 34 Millionen Gamer*innen in Deutschland sind so vielfältig wie die gesamte Gesellschaft. Dennoch versucht seit Jahren eine Minderheit mit rechtslibertären bis rechtsextremen Ansichten zu definieren, was ein
»echter Gamer« ist und den Diskurs über Games zu dominieren. Als Electronic Arts in »Battlefield V« auch Soldatinnen im Zweiten Weltkrieg kämpfen ließ, wurde der Publisher  als »politisch korrekt« beschimpft, so als ob es im Zweiten Weltkrieg keine Soldatinnen gegeben hätte. »Diese Leute argumentieren mit einer vermeintlichen historischen Authentizität«, sagt Pascal Wagner. »Aber eigentlich meinen sie damit ihre eigene Geschichtsverklärung.« 

Besonders deutlich wurde dies beim Mittelalter-Rollenspiel »Kingdom Come: Deliverance«. Dessen Chef-Entwickler Daniel Vávra behauptete mehrmals, dass es im Mittelalter keine People of Color gegeben habe. Die historischen Fakten sehen anders aus. Neben kleinen Gaming-Webseiten berichteten vor allem Nachrichtenmedien über die rechte Ideologie von Vávra und stellten die Frage, wie sich diese im Spiel zeigt. Die größeren Spielemedien übernahmen die Selbstdarstellung von »Kingdom Come: Deliverance« als authentisches Spiel über das Mittelalter jedoch weitgehend unkritisch. »Die großen Spielemedien sind stark von Clickzahlen und Affiliate Links abhängig«, erläutert Pascal Wagner, der selbst als freier Journalist über Videospiele schreibt. »Dafür sind viele oberflächliche Artikel besser geeignet als wenige, die dafür tiefer recherchiert sind.« Während Rechtsextreme sonst oftmals klandestin und unter Ausschluss der Öffentlichkeit agierten, seien in der Gamingszene viele Informationen und Indizien über rechte Tendenzen offen zugänglich — auf Twitter oder in Videos auf Youtube oder Twitch. Man müsse das nur recherchieren, so Wagner.

»Die englischsprachigen Spielemedien sind da etwas weiter.« Webseiten wie Polygon oder Kotaku berichten regelmäßig über rassistische und homophobe Äußerungen von Spieleentwickler*innen oder über die sexistischen Arbeitsbedingungen in den großen Spielestudios. Aber das ändere sich langsam, sagt auch Wagner. Das Konsolenmagazin Game Pro etwa feierte dieses Jahr den »Pride Month« und hinterfragte Geschlechterrollen in den großen Spieletiteln. »Solche Artikel sind nur möglich geworden, weil es in den letzten drei bis vier Jahren öffentliche Forderungen aus der Gaming-Szene danach gab« Diese Entwicklung will »Keinen Pixel den Faschisten« unterstützen. Auf Twitter weist die Initiative immer wieder auf rechte Ideologien in Games hin, auf ihrer Website bietet sie lange Hintergrundtexte an. Zuletzt hat sie ein Dossier veröffentlicht, das rechte Taktiken wie Doxing erklärt, das Zusammentragen von persönlichen Informationen, um jemandem zu schaden, oder Review-Bombing, bei dem ein Spiel auf den Verkaufsplattformen schlecht bewertet wird, weil es sich offen gegen Sexismus, Rassismus oder Homophobie ausspricht.  »In unseren Veröffentlichungen stecken teilweise mehrere Monate Recherche drin«, sagt Pascal Wagner. »Schließlich betreiben wir das alles ehrenamtlich.« Die Arbeit trägt jedoch erste Früchte: Vertreter*innen der Initiative sprechen auf Veranstaltungen zur politischen Bildung, Politiker*innen von Grünen oder der Linken haben Kontakt aufgenommen.

Aber zeigt sich das auch in der Ästhetik von Videospielen selbst? Wie erfolgreich sind etwa Spiele, die mit der tendenziell faschistoiden Trope des einsam kämpfenden Helden brechen? »Ziemlich erfolgreich«, meint Pascal Wagner und verweist auf das Aufbauspiel »Minecraft« und die Bauernhof-Simulation »Stardew Valley«. Wagner selbst hat aber nichts gegen kämpfende Helden — erst recht nicht, wenn sie auf der richtigen Seite stehen. So wie BJ Blazkowicz, der Protagonist der »Wolfenstein«-Spiele, einer alternativ-historischen Reihe, in der die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Blazkowicz ist darin einer der Helden des Widerstands: »Diese Spiele machen halt Spaß«, sagt Wagner. »Es ist auf jeden Fall besser, im Spiel auf Nazis zu ballern als einer zu sein.«

Mehr Info: keinenpixeldenfaschisten.de
Ein ausführliches Interview mit Pascal Wagner gibt es im Stadtrevue-Podcast: stadtrevue.de/podcast