Spitzenküche als ganzheitliches Erlebnis: Zwei-Sterne-Koch Daniel Gottschlich

Spitzenküche als Geschmacksschule

Daniel Gottschlich führt das Zwei-Sterne-Restaurant Ox & Klee. Jetzt radikalisiert er sein Konzept

Wozu ist eigentlich ein Spitzenrestaurant da? Um Luxus-Lebensmittel auf dem Teller zu haben? Um einmal Klassiker der Haute Cuisine in bestmöglicher Zubereitung zu essen? Daniel Gottschlich denkt anders. Der Sterne-Koch will in seinem Restaurant Ox & Klee im Rheinauhafen seine Gäste dazu bringen, schmecken neu zu erfahren. Gottschlichs Idee heißt »Experience Taste«. Der 38-Jährige denkt  weniger in der Tradition der Hochküche mit ihren kanonischen edlen Zutaten und klassischen Gerichten. Auch präsentiert er keine globalisierte Küche, die aus allen kulinarischen Regionen Versatzstücke kombiniert, wie es vielerorts gerade geschieht. Gottschlich denkt seine Spitzenküche vielmehr von den Geschmacksqualitäten her. Alles fußt auf: süß, sauer, salzig, bitter, fettig und Umami. Von ihnen aus konzipiert er seine ungewöhnlichen Kreationen.

Gottschlich — tätowiert, leger gekleidet und ungezwungen im Umgang — verkörpert die gar nicht mehr so neue Generation von Spitzenköchen, die mittlerweile die Branche prägt. Was ihn aber unterscheidet, ist, dass sein Ansatz bei der Komposition der Menüs fast akademisch ist, zugleich aber die Freude am Geschmack steigert. Was im Ox & Klee aufgetragen wird, signalisiert bis in die Präsentation, dass es Konzentration braucht, die Komplexität der Gänge zu erfassen oder besser: sinnlich zu erleben. »Es geht im Ox & Klee darum, dem Gast ein unvergessliches Erlebnis zu ermöglichen«, so Gottschlich.

Es geht darum, ein unvergessliches Erlebnis zu ermöglichen Daniel Gottschlich

Diesem Ziel hat er sich, seit er vor zehn Jahren an der Richard-Wagner-Straße im Souterrain begann und fünf Jahre später ins mittlere Kranhaus des Rheinauhafens umzog, immer mehr genähert. Nun hat er sein Konzept noch zugespitzt. Die Ideen kamen im Shutdown. »Es war eine harte Zeit, da fragt man sich: Kann ich überhaupt so weitermachen wie zuvor?« Aber die Motivation, die eigene Vision zu verwirklichen, sei stärker gewesen. Die Idee: Spitzenküche als ganzheitliches Erlebnis. Das signalisiere schon der Empfang im Parterre  mit einem neuen Lichtkonzept. »Der Gast soll die Außenwelt und den Stress hinter sich lassen, um kulinarisch etwas Neues zu erleben, mit allen Sinnen«, so Gottschlich. Als Inspiration nennt er unter  anderem »Gastrologik« von Charles Spence. Das Buch des britischen Experimental-Psychologen sorgte 2017 für Aufsehen: Spence zeigte, wie alle fünf Sinne am Geschmacks­erlebnis beteiligt sind. Gottschlich will solche Erkenntnisse nutzen. Während in vielen Spitzenrestaurants etwa seichte Klassik läuft, will er ein eigenes Sounddesign bieten.

Aber nicht nur der theoretische Ansatz ist außergewöhnlich. Gottschlich beschränkt sich künftig auf zwei wechselnde Menüs mit je vierzehn Gängen: Von August bis März mit Fisch, Fleisch sowie Geflügel. Den Rest des Jahres aber vegetarisch. »Das ist auf dem Niveau eine große Herausforderung, die einen neuen Schritt in meiner Küchenphilosophie einläutet«, sagt Gottschlich. Ihm gehe es auch um Tierwohl und Nachhaltigkeit in der Spitzenküche.

Die Konzentration auf nur noch jeweils ein Menü ermögliche es zudem, höchste Qualität und Frische der Lebensmittel zu garantieren. Teils werde man auch selbst Gemüse anpflanzen. »Eine Karotte, die vor Stunden noch in der Erde war, schmeckt ganz anders«, so Gottschlich.

Änderungen im Menü durch die Gäste sind nicht vorgesehen. »Es sind die Gänge, die wir genau so  konzipiert haben«, sagt Gottschlich. »Genau so soll es auch schmecken.« So wird etwa die Zubereitung einer Morchel mit dem Duft von frischem Moos und einem Teeaufguss mit Waldaromen verknüpft. Dafür, dass auf Allergien keine Rücksicht genommen werden kann, weil alle Elemente präzise aufeinander abgestimmt sind,  habe es zwar schon Kritik gegeben. »Aber dann kann man woanders essen gehen, das ist auch okay«, sagt Gottschlich. »Aber hier will ich präsentieren, wie ich mir moderne zeitgemäße Hochküche vorstelle.«

Dazu gehört auch die hochwertige Einrichtung des hellen Gastraums mit Blick auf den Yachthafen, es wurde aufwändig renoviert. Die Atmosphäre im Ox & Klee mit zehn Tischen bleibt aber locker. »Ich würde zwar den Gästen empfehlen, das Handy wegzulegen und stattdessen das Essen zu erleben, aber natürlich entscheidet der Gast.« Dieses Erlebnis kostet als Menü mit Weinbegleitung 350 Euro, bei der ebenfalls ausgeklügelten alkoholfreien Begleitung sind es 60 Euro weniger. Dass man online Tickets dafür kauft, diene der besseren Planbarkeit und komme der Qualität zu Gute, sagt Gottschlich. »Das ist längst überfällig, bei Musicals oder Konzerten ist das ja auch normal.« 

Eine Speisekarte bekommt man im Ox & Klee schon seit 2013 nicht mehr. Gottschlich möchte, dass seine Gäste sich auf Unbekanntes einlassen. Es geht eben um Offenheit und die Lust, neue Erfahrungen zu machen.