»Die CDU ist oft ungewollt komisch, da brauchen wir auch nicht immer Satire zu machen«

Klein, aber Feind

Streit, Trennungen und eine neue, überraschend besetzte Fraktion. Was ist nur bei den kleinen Parteien im Stadtrat los?

»Da kam direkt eine Frau von der SPD-Fraktion und hat mir gezeigt, wie man am besten aus dem Ratssaal nach draußen in die Raucherecke kommt.« Ja, im Stadtrat sei sie sofort freundlich aufgenommen worden, sagt Bea Dickas. Seit den Kommunalwahlen im Herbst 2020 vertritt Dickas dort mit Michael Hock »Die Partei«, die mit satirischen und absurden Forderungen Wahlkampf machte (»Klüngel den Profis überlassen«) und zwei Mandate erhielt. Die anderen Ratsmitglieder hätten aber längst gemerkt, dass Die Partei nicht bloß Witze reiße, so Dickas. »Wir stehen für seriöse Politik. Die CDU zum Beispiel ist oft ungewollt komisch, da brauchen wir auch nicht immer Satire zu machen.«

Nun gelang Dickas und Hock ein Coup: Die Partei hat Fraktionsstatus und heißt im Stadtrat nun »Die Fraktion«. Das bedeutet mehr Geld für die Ratsarbeit, eine weitere Referentenstelle und mehr Einfluss im Rat und den Ausschüssen. Das kam so: Zunächst wechselte Walter Wortmann zur Satire-Truppe, nachdem er sich von den Freien Wählern losgesagt hatte. Kurz darauf folgte Karina Syndicus von der Wählergruppe GUT, die sofort zur Fraktionschefin aufstieg. Syndicus hatte sich mit dem anderen GUT-Ratsmitglied Thor Zimmermann überworfen, eine Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich, teilt sie mit. Das Kuriose: Syndicus bleibt GUT-Mitglied.

Der Eklat bei GUT kündigte sich schon vor der Kommu­nalwahl an. Karina Syndicus setzte sich seinerzeit überraschend in einer Kampfabstimmung gegen die damalige Vorsitzende Aline Damaske durch und gelangte auf Listenplatz eins. Thor Zimmermann erreichte bloß knapp den zweiten Platz; von Syndicus’ Ambitionen sei er überrascht gewesen, sagt Zimmermann. So war die kleine Wählergruppe damals bereits gespalten. Die einen halten Thor Zimmermann für ihren routiniertesten Politiker und einen umgänglichen Menschen, die anderen behaupten, dass er niemandem neben sich dulde.

Die Spaltung einer Ratsgruppe erlebt Zimmermann zum zweiten Mal. Zusammen mit seinem damaligen ­Politik-Partner im Rat, Tobias Scholz, trennte er sich 2015 von der der Wählergruppe Deine Freunde. Zimmermann und Scholz machten fortan im Rat als GUT weiter, während die Wählergruppe Deine Freunde verlangte, beide müssten ihr Mandat zurückgeben — ein moralischer Appell, juristisch ohne Belang. Zimmermann war dann maßgeblich beteiligt, GUT für die Kommunalwahl 2020 aufzubauen. Deine Freunde wiederum gründeten mit Mitgliedern der Klimabewegung die Wählergruppe Klima Freunde. Auch sie erhielten zwei Mandate im Stadtrat.

Während GUT einen pragmatischen Ansatz verfolgt, sind Klima Freunde basisdemokratisch organisiert, und ihre Politik geht stets ins Grundsätzliche. Hinzukommt: Viele der parlamentarischen Gepflogenheiten betrachten Klima Freunde skeptisch. Auch bei Klima Freunde gab es Streit, der prompt zur Spaltung führte: John Akude, erster Schwarzer im Rat der Stadt, trat unmittelbar nach der Wahl zunächst aus der Ratsgruppe, dann aus der Wählergruppe aus. Nun ist Akude parteilos und die auf Listenplatz eins gesetzte Klima-Aktivistin Nicolin Gabrysch nur noch Einzelmandatsträgerin. Akude wirft Klima Freunde vor, den basisdemokratischen Ansatz nur vorzugeben. In Wirklichkeit beherrschten einige wenige die Gruppe. Nicolin Gabrysch hingegen sagt, Akude habe sich geweigert, den basisdemokratischen Ansatz mitzutragen, und erklärt, Ratsmitglieder der Klima Freunde seien lediglich »Sprachrohr der Gruppe«. Offenbar verträgt sich das für Akude nicht mit der Freiheit des Mandats.

Damit geht die Geschichte so: Die kleine Wählergruppe Deine Freunde wollte die Kölner Politik besser und mensch­licher machen, spaltete sich nach dem Erfolg aber in zwei verfeindete Gruppen — und deren jeweils zwei Ratsmitglieder trennen sich dann nach erneutem Wahlerfolg abermals. Wer soll das alles noch verstehen?

Und während Zimmermann und Akude ihren Gruppen enttäuscht den Rücken kehren, erlebt Walter Wortmann mit 73 Jahren einen späten politischen Frühling. Nach fünf Jahren als Einzelmandatsträger und Austritt bei den Freien Wählern ist er nun Teil von »Die Fraktion«, was ihm mehr Einfluss ermöglicht. Satire hält Wortmann für ein gutes Mittel, um Missstände anzuprangern. Zugleich sieht Wortmann sich als »realpolitisches Gewissen« von Die Fraktion. »Wenn durch Karina Syndicus nun die ganzen Ehrenfeld-Themen wie etwa eine autofreie Innenstadt bei uns aufkommen, dann wüsste ich schon gern, wie das ohne ÖPNV-Infrastruktur und günstigste Tarife bei 39 Prozent Berufspendlern gehen soll.« Auch bei Themen wie einem Seilbahnsystem über dem Rhein als Lösung des Verkehrsproblems möchte Wortmann wissen, »wie das genau gehen soll, wie teuer das wird, wie multipel Mobilität sein kann und ob es überhaupt viel bringt — denn nicht alles, was nachhaltig klingt, ist es auch.« Ein Thema, das dringend bearbeitet gehöre, sei neben der Wirtschafts- und Gesundheitspolitik der städtische Haushalt. »Wir sollten Themen ernsthaft voranbringen, ohne Satire zu unterlassen.« Er freue sich auf Kontroversen: im Rat, auch in der Fraktion. Das gehöre zur Demokratie. Da kann man nach den Erfahrungen bei GUT und Klima Freunde hellhörig werden. Nein, sagt Wortmann, zunächst gehe es um Einigkeit. Das Mehrheitsbündnis aus Grünen, CDU und Volt, aber auch Verwaltungsvorlagen müssten »dringend investigativ geprüft und die Skandale aufgedeckt werden«, etwa beim neuen Zuschnitt der Dezernate und der Affäre um die Besetzung des Wirtschaftsdezernats (siehe Stadtrevue 9/2021).

Die Fraktion müsse auch nicht immer geschlossen abstimmen, sagt Bea Dickas. »Wenn einer von uns sagt, dass er bei einem Antrag nicht zustimmen kann — was wollen wir machen? Es gibt die Freiheit des Mandats.« Dazu, dass Karina Syndicus nun den Fraktionsvorsitz bei Die Fraktion übernommen hat, obwohl sie Mitglied bei GUT ist, sagt Dickas: »Die Partei breitet immer ihre Arme aus — nur nicht für Rechte, das ist ja klar.« Die Kontakte zu Syndicus hätten schon lange bestanden, politisch sei man sich ohnehin einig. Dickas nennt Verkehrspolitik, mehr Transparenz, aber auch Klimaschutz. »Diese Stadt ist so kaputt, da muss sich vieles ändern.« Syndicus habe bewiesen, dass sie diese Ziele verfolge. »Außerdem ist sie auch witzig, das hat sie mit ihren Ratsreden bewiesen.« Und es gebe praktische Gründe:  Dickas arbeitet im Öffentlichen Dienst, ihr Partei-Kollege Michael Hock ist Rechtsanwalt. »Wir hätten den Fraktionsvorsitz rein zeitlich nicht geschafft«, so Dickas. Der Fraktionsstatus sei ein großer Vorteil. Es gebe mehr Geld, um einen weiteren Referenten einzustellen, außerdem wachse der politische Einfluss. »Wir sind jetzt so stark wie Volt«, so Dickas. Die Europa-Partei Volt war der Überraschungssieger der Kommunalwahl in Köln und schloss mit Grünen und CDU ein Mehrheitsbündnis. Im Rat hat Die Fraktion als einen der ersten Anträge kritische Fragen zum Klima-Kompromiss zwischen der Initiative Klimawende und der Rheinenergie gestellt (siehe auch »Durch die Stadt«), den die Grünen vorangetrieben haben. Karina

Syndicus hat den Antrag der Fraktion gezeichnet. Dass sie Mitglied bei GUT ist, geht daraus nicht hervor. Bei GUT hofft man dennoch, dass man das, was Syndicus mit Die Fraktion vorantreibt, auch der Wählergruppe GUT angerechnet werde, und nicht »Die Partei«. Fraglich ist, wer das alles noch nachvollziehen kann.