Divers und tragfähig

Ende August fand die Cologne Jazzweek statt, Kölns wichtigstes Musikfestival seit Jahren. Wie fällt die Bilanz aus?

Ein kurzes Nicken der Musiker und schon springt die Band aus dem Stand in ein Crescendo, das in ei­ner Klangexplosion endet. Sofort wiederholen sie die Aktion, die aber beim zweiten Mal elektronisch verfremdet klingt, als wären sie mit dem ersten Sprung in eine andere Welt eingetaucht, in der jeder Akkord und jeder Rhythmus durch elektronische Filter passieren muss und den Musikern — und uns Zuhörern — als surreales Ereignis verzerrt widergespiegelt wird. Durch diese Mischung aus Wiederholung und Mutation, Klangattacken und psychedelischem Weggleiten entsteht die spezifisch sinnliche Qualität der Musik, die man besten live und gemeinsam erlebt. Und das war jetzt endlich  möglich: Tau5 spielten am 2. September im Club Bahnhof Ehrenfeld auf der Cologne Jazzweek (CJW).

War das jetzt schon die Zukunft des Jazz? Im Prinzip ja — und dennoch war Luft nach oben. Die Klangmischung im Bahnhof Ehrenfeld war nicht optimal, Tau5 , ohnehin nicht mit vielen Auftritten in den letzten Monaten gesegnet, mussten ihren angestammten Elektroniker und Produzenten Ludwig Wandinger kurzfristig ersetzen, und natürlich waren die Sitzplätze penibel abgezählt, schließlich muss jedes Konzert immer noch seine »Corona-Konformität« beweisen. Aber man konnte erahnen, wohin die endlose Reise des Jazz geht, wenn Elektronik nicht einfach nur als Erweiterung eingesetzt wird, sondern durchdringende Klangverschmelzungen generieren kann — und das in Echtzeit.

Die CJW war eine Leistungsschau des Jazz, ganz so wie es angekündigt war: Denn Jazz kann man in Köln an sieben Tagen in der Woche hören;  wenn sich die Szene geschlossen präsentiert — die CJW ist direkt aus der Kölner Jazzkonferenz erwachsen —, dann muss noch mehr geboten werden. Das ist gelungen. Janning Trumann, selber Musiker, aber während der CJW als künstlerischer Leiter unterwegs, hat 46 Konzerte an acht Tagen gezählt, darunter ein Ehrenfeld Special und ein Open-Air auf dem Ebertplatz. Die meisten waren ausverkauft. 2300 Tickets seien verkauft worden, überschlägt Trumann, 4000 Besucherinnen und Besucher habe es insgesamt gegeben — und das alles in der anhaltenden Corona-Krise. Meint: unter glücklicheren Bedingungen wäre noch mehr drin gewesen.

Aber nicht alle Umstände waren restriktiv: Bereits 2020 sollte die CJW stattfinden, aus den bekannten Gründen musste sie abgesagt werden. Die Veranstalter durften ausnahmsweise das Budget aus dem letzten Jahr auf das diesjährige draufschlagen, was in allen Belangen — Booking, Logistik, Personal, Werbung — günstige Bedingungen schuf. Und 2022? Trumann ist zuversichtlich, dass das Festival wieder stattfinden wird. Wer sich in Köln für Musik interessiert, habe in der Festivalwoche die zunehmende — positive — Spannung gespürt, »Irgendwas passiert hier gerade!«, das habe sich bis in die Kreise der Politik fortgesetzt, die Rückmeldungen seien ausschließlich positiv. »Es ist uns gelungen, ein sehr unterschiedliches Publikum anzusprechen, jeder Abend war anders«, die Heterogenität war tatsächlich ein Trumpf des Festivals.

Selbst wenn nächstes Jahr das Budget geringer ausfallen sollte, muss sich das nicht zum Nachteil auswirken. Im Gegenteil, 46 Konzerte bedeuteten sehr viel Holz, so mancher Abend hätte davon profitiert, wenn weniger Bands aufgetreten wären: Stefan Schönegg spielte mit seinem Projekt Enso in der Alten Feuerwache eine extrem intensive Musik an der Grenze zum Schweigen und Verstummen, bisweilen wurden nur einzelne Steine berieben. Vorab bat Schönegg das Publikum, nicht zu klatschen. Die Latte der Aufmerksamkeit war sehr hoch gelegt. Le Quan Ninh und Michel Doneda, die im Anschluss spielten, hatten keine Chance mehr und traten vor leeren Rängen auf.

Was fehlte? Die Schäl Sick. Das Festival fand ausschließlich linksrheinisch statt, dort liegen nun mal die Jazzclubs. »Es war einfach sehr gut, in den Häusern der Szene zu spielen, etwa Stadtgarten und Loft. Da konnten wir uns zu 100 Prozent darauf verlassen, dass die Organisation stimmt«, sagt Trumann. Dennoch — ein Festival, das sich an die ganze Stadtgesellschaft richtet, sollte auch im ganzen Stadtraum stattfinden. Für die Zukunft kann sich Trumann vorstellen, eine Art Campus einzurichten, ein Ort mit mehreren Bühnen, mehr Begegnungsmöglichkeiten. Ansatzweise hat das dieses Jahr schon auf der Ehrenfelder Partymeile zwischen Artheater und CBE und auf dem Ebertplatz funktioniert, anderswo klappte es weniger — etwa in der doch recht steifen Atmosphäre der Musikhochschule, deren Konzertsaal nicht sehr jazzfreundlich ist.

In diesen Tagen und Wochen findet die Evaluation der CJW in der Jazzkonferenz statt — es ist ja ein Festival, das aus dieser Basisinitiative heraus entstanden ist, folglich auch von ihren Entscheidungen abhängt. Viel spricht dafür, dass das Festival mit seinem Konzept — die Kölner Szene trifft auf internationale Musikerinnen und Musiker — weitermachen wird. Es hat sich als sehr tragfähig erwiesen. Die Herausforderungen und die Ansprüche an den Jazz steigen aber: Wie akademisch wird, oder: will, der Jazz sein und damit immer auch kleinbürgerlich-elitär? In der gesamten Jazz-Szene, nicht nur in der Kölner, wird — meistens noch intern — über die Politisierung der Musik diskutiert, über ihre gesellschaftliche Verantwortung und ihre Haltung zu den sozialen Auseinandersetzungen dieser Zeit. Keine Frage, diese Diskussionen werden in Zukunft auch die Jazzweek betreffen.