Körperlichkeit zwischen Mensch und Maschine

Titane

Öl ist dicker als Blut: Julia Ducournaus Body Horror verstört und fasziniert

Man kann die Geschichte von Julia Ducournaus  »Titane« eigentlich nicht erzählen, denn man muss sie sehen — weil sie sich in Bildern mitteilt, und weil Worte einen falschen Eindruck erwecken. Wenn man es dann doch beschreiben möchte: Es geht um eine Serienmörderin, mit der man Mitleid hat. Es geht auch um ein böses Kind, das einen schlimmen Unfall hatte, und zu einer Frau heranwächst.

Es geht um eine Frau, die Sex mit Autos hat und irgendwann von einer der Maschinen ein Kind erwartet. Um richtig zu begreifen, was daran faszinierend und sogar anmutig sein kann, muss man ins Kino gehen.

Wer sich »Titane« anvertraut, begleitet ein junges Mädchen, das Alex heißt und nach dem erwähnten schweren Autounfall mit einer Metallplatte im Kopf und einer hässlichen Narbe über dem rechten Ohr lebt. Als junge Erwachsene ist sie ein Outsider und Teil der trashigen Welt der Autoshows, die von Ölgeruch durchzogen ist, in der Schweiß und Muskeln, leichtbekleidete Frauen und stiernackige Männer dominieren.

Den Männern widersteht sie, Metall erotisiert sie, alles hier ist zum Fetisch verklärtes Objekt. Eines Tages hat Alex Sex mit einem Auto. Man kann das wörtlich nehmen und einfach glauben, man kann es für einen Tagtraum halten, für Phantasie oder Epiphanie. Jedenfalls ist Alex bald darauf schwanger, und zu ihren Körpersäften tritt ein neuer hinzu: dickflüssiges, schwarzes Öl. In einer Mischung aus verwundbarer Verunsicherung und Entschlossenheit geht Alex nun ihren Weg. Eine Flucht, aber in großer Konsequenz. Leichen bleiben zurück, ein neuer Vater taucht auf.

Es dürfte in den nächsten Jahren viele Seminararbeiten über diesen Film geben, in dem Ideen Fleisch und Metall werden. Neben offensichtlichen Referenzen — David Cronenbergs »Body Horror«, die Kulturgeschichte von Cyborg und Maschinenmensch — wird das universitäre Dechiffriersyndikat dann auch Filmtheorie und Feminismus, Psychoanalyse und Performance-Ästhetik über diesen Film stülpen. Die Gefahr liegt darin,

die schiere Lust zu übersehen, die Regisseurin Ducournau und ihre Hauptdarsteller*in Agathe Rousselle leitet. Das Spielerische ist der Treibstoff des Films. Gespielt wird vor allem mit Motiven des Horrorkinos. Dort ist »Titane« zuhause, in der Provokation unserer Gewohnheiten und Anstandsgefühle.

Das Rebellische ist das Politische in diesem wilden Film, der keineswegs rundum gelungen ist und viele Schwächen hat — aber eben auch große Kraft entfaltet. So gewann »Titane« im Juli die Goldene Palme in Cannes.

F/B 2021, R: Julia Ducournau, D: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Darance Marillier, 104 Min.