Umgang miteinander und mit der Geschichte

»Das Glück zu leben«

Réka Szabó erzählt die Geschichte einer Holocaust-Überlebenden mit tänzerischer Energie

Als 18-jährige wurde Éva Fahidi 1944 an der Rampe von Auschwitz-Birkenau als einzige von sechs weiblichen Verwandten nicht für die Gaskammer selektiert und von ihrer Mutter und kleinen Schwester getrennt. Insgesamt verlor die ungarische Jüdin durch die Verfolgung deutscher und ungarischer Nationalsozialisten 49 Familienangehörige, überlebte aber selbst Lager, Zwangsarbeit und Todesmarsch.  

Als der Film mit dem Originaltitel »The Euphoria of Being« 2015 gedreht wird, ist Éva fast neunzig Jahre alt, doch geistig immer noch hellwach und auch körperlich erstaunlich beweglich. Das sehen wir bei den Proben zu einer Aufführung, für die sie in einem Pas de deux mit der sechzig Jahre ­jüngeren Tänzerin Emese Cuhorka ihre Erfahrungen aufspüren, ausagieren und zum Schluss auf die Bühne bringen soll — und will. Die Idee, die Geschichte in diese Richtung weiterzudenken, kam von der renommierten Budapester Choreografin Réka Szabó, die von Éva Fahidis Geschichte aus deren autobiografischem Buch »Die Seele der Dinge« erfahren hatte und auch Regisseurin dieses Dokumentarfilms ist.

Der Film begleitet die Entwicklung der Produktion im Dreiergespräch zwischen den Frauen, die in einem mehrmonatigen Prozess spielerische Improvisationen

zu einem Skript verdichten. Ihre Traumata hatte Éva lange verdrängt und mit einem aktiven Leben in der Gegenwart überdeckt. Das Motto: »Ich darf nicht unglücklich sein, denn ich kann es nicht ändern.« Spät erst begann sie, sich als Zeitzeugin in der Gedenkarbeit auch in Deutschland zu betätigen. Die kollektive künstlerische Praxis aktiviert nun noch einmal ganz neue Schichten der eigenen Erinnerung. Doch auch für die junge Tänzerin ist die körperlich und emotional enge Zusammenarbeit eine berührende Erfahrung.

Ein besonders heikler Komplex ist Évas Verhältnis zu ihrem durch Zwangsarbeit im Lager ermordeten Vater. Sie wirft ihm vor, sich so stark an seine materiellen Güter in Ungarn geklammert zu haben, dass die Familie die rechtzeitige Flucht aus dem Land versäumte — und klagt dies in einer eindrücklichen Rede gegen Ende des Films auch auf der Bühne explizit an. Ein starker Auftritt in einem starken Film, der auch diejenigen berühren dürfte, die eine eher problematische Beziehung zum Tanztheater haben. Die bereits zur Zeit der Dreharbeiten wahrnehmbare bedrohliche Zunahme des Antisemitismus in Ungarn, Deutschland und andernorts auf der Welt spielt in dem vielschichtigen Film derweil keine Rolle. An dieser Stelle ist das Publikum gefragt, ihn selbst weiterzudenken.

(The Euphoria of Being) HUN 2019, R: Réka Szabó, 83 Min.