Hier geht’s um Fragen von Leben und Tod

»Bis an die Grenze«

Anne Fontaine wagt einen konsequenten ­Polizeifilm um eine dramatische Abschiebung

Es gab mal eine Zeit — in den 70er, 80er und sogar bis in die 90er Jahre hinein –, da gehörten französische Polizeifilme und Politthriller zum hiesigen Kino- und TV-Alltag. Es ging so weit, dass Bücher zum Thema auf Deutsch veröffentlicht wurden, und Regisseure wie Yves Boisset oder José Giovanni Episoden für BRD-Serien drehten. Als sich in den frühen Nullerjahren um Frédéric Schoendoerffer und Olivier Marchal eine jüngere Gruppe von Filmschaffenden dem Genre zuwandte, wurde dies allein von Genre-Spezialist*innen filmkulturell wahrgenommen. Kein bundesdeutsches Problem. Selbst in Frankreich wurde diesen Filmen und ihren Auteurs nur bedingt Beachtung geschenkt.

Höchst erfreulich, dass mit Anne Fontaines »Bis an die Grenze« nun endlich mal wieder ein französischer Krimi etwas klassischerer Art seinen Weg auf die deutschen Leinwände findet. Wobei es keine Arbeit einer Expertin für dieses Genre ist. Fontaine macht in jedem Film etwas anderes, nimmt oft Genres auseinander und baut sie verblüffend neu wieder zusammen. So schafft sie Filme für ein großes Publikum, die sich gestalterisch und erzählerisch allerhand trauen. Dem Publikum traut sie viel zu an Neugierde und Intelligenz.

»Bis an die Grenze« beginnt als ironische Untersuchung der Dynamik einer Gruppe Polizist*innen, deren private Eigenarten und intime Verstrickungen zu Beginn dargelegt werden. Diese ineinander verknoteten Variationen einiger weniger Lebensmomente verwandelt sich zur Mitte hin in ein Kammerspiel. Eine Beamtin und zwei Kollegen sollen im Rahmen kollegialen Beistands einen Asylansuchenden abschieben, dem man die politische Verfolgung offenbar nicht glaubt, während die dafür zuständigen Abteilung mit einem Gefangenenaufstand beschäftigt ist. Sie tun, was sie nicht tun sollen, lesen seine Akte und kommen zum Schluss, dass sie möglicherweise wirklich einen Menschen in den sicheren Tod befördern. Also sprechen sie darüber: Ob man was tun kann, und wie? Aber ist man sich überhaupt einig in der Sache?

Persönliche Neurosen und Ängste kommen ins Spiel, politische Fragen sowie Prinzipien werden auf ihre humanistischen Werte untersucht. Fontaines Genie zeigt sich darin, dass und wie sie das Genre des Polizeifilms nie großspurig-besserwisserisch verletzt. Kongenial weitet sie es aus und nimmt einen typischen Aspekt davon besonders unter die Lupe — eben das Verhandeln von Werten und deren Preis, den Konsequenzen des Handelns.

(Police) F/AND 2020, R: Anne Fontaine, D: Omar Sy, Virginie Efira, Grégory Gadebois, 99 Min.