Johanna Reich, »Neue Städte«, Multimedia-Installation, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Sehnsuchtsort, damals

»Lost places« bringt Kunst in ein ehemaliges Einkaufszentrum

»Eine verlassene Passage innerhalb einer City, rechts und links des überdachten Mittelgangs Reihen leerstehender Schaufensterbänder, teilweise verklebt, nur noch hier und da Reste der charakteristischen Schriftzüge und Logos ehemaliger Betreiber«, so beschreibt Susanne Wedewer-Pampus, Leiterin des Kunstvereins Leverkusen, die Kulisse der Ausstellung »Lost Places«. Denn auch das City Center Leverkusen hat das Problem: Es ist keines mehr. In den 50er Jahren als moderne neue Stadtmitte geplant, die Konsumtempel und Agora zugleich sein sollte, steht das Gebäude seit zwei Jahrzehnten weitgehend leer. Komplizierte Eigentumsverhältnisse haben bislang jede dauerhafte neue Nutzung verhindert. Warum also nicht ein Ausstellungsinterim?

Die Umsetzung dieser Idee haben Bayer Kultur, der Kunstverein und die Stadt gemeinsam gestemmt. 15 Künstler*innen waren eingeladen, für die verwaiste Passage Arbeiten zu entwickeln. Ihre Interventionen greifen Aspekte der Diskussion um die Zukunft der Innenstädte auf, von der Neubesetzung städtischen Raums bis zur digitalen (Einkaufs-)Welt. Zwei reaktivierte Leuchtkästen am Eingang sind bestückt mit illuminierten Fotografien von Boris Becker aus Seoul, boomende asiatische Urbanität trifft Leerstandsmelancholie. Andy Kassiers fotografische Selbstinszenierungen — als männliches Idol auf weißem Pferd am Traumstrand — ironisieren im XXL-Format romantische Wunschbilder. Werbung wofür? Sehnsucht wonach?

Verstörender der ästhetische Gegenpol: In einem Schaufenster baumeln figürliche Skulpturen von Frauke Wilken an Fleischerhaken, seltsame, so gar nicht Selfie-optimierte Körperwesen hinter Glas, die sich zugleich zu exponieren wie zu verstecken scheinen. Gegenüber, an der einstigen Woolworth-Filiale, LED-Laufschriften auf blauer Malerei von Johanna Reich, eine algoritmengesteuerte Mindmap des Zufalls zum Thema Stadtplanung.

Keinesfalls übersehen sollte man auch Lars Breuers Arbeit hoch oben auf einer zentralen Glasfassade des Gebäudes, ein schwarzer Schriftzug über die gesamte Breite von 90 Einzelscheiben. Sieht aus wie abstrakte Malerei, geborstenes Glas, ist aber zersprengte Typo. »SCHOCK« lautet ihr Titel. Wie immer hilft genaues Hinsehen.

»Lost Places«, City C, Friedrich-Ebert-Platz 21, Leverkusen, geöffnet 24/7, Führungen Mo / Fr nach Voranmeldung lostplaces.art

Rahmenprogramm: Artist Talk Johanna Reich Do 30.9., 18 Uhr, Leverkusener Kunstnacht Fr 1.10., 18 Uhr, Artist Talk Charlotte Triebus Do 7.10., 18 Uhr

Artist Talk Gereon Krebber Do 21.10., 18 Uhr, Finissage mit Panel Diskussion Fr 29.10., 17 Uhr