Besucher vor Konrad Klapheck, »Die Mütter«, 1960, Öl auf Leinwand. Foto: Nicole Schäfer/LVR-ZMB © VG Bild-Kunst, Bonn

Und ziemlich viel Beinfreiheit

In einer sehenswerten Ausstellung zeigt das Kolumba »Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland«

Kolumba ist das Museum, das es anders macht. Setzen die meisten Institutionen auf viel Standbein, also ständige Sammlung und etwas Spielbein in den wechselnden, vom Bestand deutlich getrennten Son­der­ausstellungen, gestattet sich Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, sehr viel Freibeinigkeit. Es  erfindet sich mit jeder der jährlich wechselnden Gesamtpräsentationen neu. So war Ko­lum­ba vor einigen Wochen noch ein Mu­se­um der Gegenwartskunst, Schauplatz für Tanz und Performance. Jetzt ist es — mindestens so vielfältig und unter­nehmungs­lustig — ein kulturhistorisches Haus und breitet »Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland« aus.

Anlass für diese vieldeutig »In die Weite« überschriebene Ausstellung ist das republikweit veranstaltungsreich begangene Jubiläum »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«, zu dem eigentlich das »Miqua — Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier« am Rathaus hätte eröffnet werden sollen. Das ist natürlich noch nicht fertig. Also wird die älteste erhaltene Abschrift der das ganze Jubiläum begründenden Urkunde aus dem Jahr 321, in der Kaiser Konstantin dem Kölner Rat gestattete, Juden in seine Reihen aufzunehmen, für einige Wochen in Kolumba gezeigt.

Aber auch ohne dieses Dokument wäre »In die Weite« eine großartige Gelegenheit, viel und Vieles zum Thema zu sehen, zu erfahren und auch zu lernen. Facettenreich, aber ohne Anspruch auf Vollständig­keit werden Alltag und Geschichte, Kultur und Kultus des Judentums in Deutschland vorgestellt. Die große, wohlgeordnete Menge der Exponate reicht von einer kleinen Zwölftonbox Arnold Schönbergs bis zur raumgreifenden Präsen­ta­tion der Genisa aus der ehemaligen Syna­goge Niederzissen. Vom mittel­alterlichen Judenschreinsbuch bis zur Kippa des erst seit Juni 2021 amtierenden Militärbundesrabbiners.

Was es mit all diesen Dingen auf sich hat, ist im kostenlosen, für das Verständnis des Gezeigten un­ent­behrlichen Begleitbuch nachzulesen. Gerahmt und zusätzlich bereichert wird diese Fülle von einer zeit­genössischen Malereiauswahl, die vom Introvertierten über das Analytische bis zu Pracht und Heftigkeit allerlei bietet. Durch diese spezielle Kolumba-Kombination wird »In die Weite« ein offenes, an­spruchsvolles Experiment und dem Sehen, Wiedersehen sehr empfohlen.

Kolumba

Kolumbastr. 4,
tägl. außer Di 12–17 Uhr, bis 15.8.22
kolumba.de