Bergman Island
»Hier zu schreiben — da kann ich mich doch nur als Loser fühlen«, seufzt Filmemacherin Chris (Vicky Krieps), kaum dass sie mit ihrem Lebensgefährten Tony (Tim Roth) ein Sommerdomizil auf der schwedischen Insel Fårö bezogen hat. Das schmucklose Haus und die alte Windmühle, in denen beide jeweils eigene Drehbuchideen entwickeln wollen, gehörten einst Ingmar Bergman, von dessen posthumer Präsenz Chris so eingeschüchtert ist wie vom Nachhall seiner vor Ort entstandenen Filme. Niemand erwarte von ihr ein Werk wie »Persona«, entgegnet Tony — was seine Partnerin freilich als Herabsetzung empfindet. Jedenfalls lässt ihre pikierte Reaktion erstmals Spannungen innerhalb der Beziehung erahnen. So mag als schlechtes Omen erscheinen, dass das Paar im Schlafzimmer aus »Szenen einer Ehe« schlafen wird, »der Film, wegen dem sich Millionen Menschen haben scheiden lassen«, wie eine Hausmeisterin fröhlich verkündet.
Entsprechende Dramatik bleibt in »Bergman Island« aus. Zwar setzt sich Mia Hansen-Løve seit Jahren intensiv mit Bergman, über den sie 2019 sagte, er »ist wie die perfekte Vaterfigur für mich«, auseinander. Doch in ihrem siebten Spielfilm gehen die Anleihen kaum darüber hinaus, ihre Protagonistin im Museumsshop des örtlichen Bergmancenters eine Sonnenbrille kaufen zu lassen, die derjenigen von Bibi Andersson in »Persona« nachempfunden ist. Dass Kameramann Denis Lenoir das oft sonnendurchflutete Szenario im von Bergman gemiedenen Breitwandformat einfängt, schließt ästhetische Ähnlichkeiten mit dem filmischen Œuvre des 2007 verstorbenen Schweden nahezu aus. Die Leichtigkeit, mit der die lockere Handlung aufgefächert wird, ist vom gravitätischen Ernst klassischer Bergman-Werke erst recht weit entfernt. In dem Film-im-Film, der einen skizzenhaften Eindruck von Chris’ Drehbuchidee vermittelt, ist der melodramatische Höhepunkt von einem ABBA-Hit geprägt.
Obwohl die verschiedenen Handlungsebenen das Vermächtnis des schon im Titel herbeizitierten Regiemeisters häufig streifen, hat dieser hauchzarte Film also nichts mit neunmalklugem Zitatkino gemein. In Dialogen wird zwar auf ein Dutzend Filmtitel und biographische Kerndaten verwiesen. Und abgesehen von den genannten Gebäuden erhält man Einblick in seinen privaten Vorführraum und in das von ihm lange bewohnte Haus samt Einrichtung. Doch spätestens, wenn Chris und Tony sich unabhängig voneinander über das karge Eiland führen lassen, ergibt sich der entwaffnende Eindruck einer unprätentiösen, ja touristischen Neugier.
So fungiert Bergman hier einfach als diskreter Kristallisationspunkt jener autobiografischen Bezüge, die im feinfühligen Kino Hansen-Løves so unvermeidlich scheinen. »Alles was kommt« und »Eden«, die jüngsten ihrer Filme, verarbeiten Aspekte aus dem Leben ihrer Eltern beziehungsweise ihres Bruders. »Bergman Island« weist dagegen einen intimeren autobiografischen Bezug auf: Die 40-jährige Französin ist nämlich wie Chris lange mit einem deutlich älteren Filmemacher, mit Olivier Assayas, liiert gewesen und hat mit ihm ein Kind. Wie Tony ist Assayas glühender Bergman-Fan.
Man darf Chris also als quasi-Alter-ego Hansen-Løves begreifen, was wiederum heißt, dass das gleiche für die Hauptfigur des Films-im-Film gilt: Denn auch Amy (Mia Wasikowska) ist als Filmemacherin und Mutter angelegt, die Bergman liebt und nach Fårö reist, wo sie am Rande einer Hochzeitsfeier ihre Jugendliebe zurückgewinnen möchte — was an Hansen-Løves semi-autobiografischen dritten Spielfilm »Eine Jugendliebe« denken lässt. Dabei sind alle Gesten, Blicke und Worte Amys von der hinreißenden Eindeutigkeit (erinnerter) junger Liebe bestimmt. Das lässt die unauflösliche Ambiguität, die die beiläufige Schilderung der Paarbeziehung in der Rahmenhandlung bis zum allerletzten Bild beibehält, umso reizvoller wirken.
F/S/B/D 2021, R: Mia Hansen-Løve,
D: Vicky Krieps, Tim Roth, Mia Wasikowska,
105 Min., Start: 4.11.