Die Stadt der Vielen
Tassilo Morino war unterwegs in Köln und deprimiert. »Ich hatte mich mal wieder aufgeregt, dass Plätze verkommen oder Radwege verplant wurden. Und dann habe ich mich gefragt: Denkt sich die Radfahrerin oder der Fußgänger neben mir das vielleicht auch gerade?« Morino wusste es nicht. Das wollte er ändern.
Morino ist Gründer von »Senf.Koeln«. Auf der Online-Plattform können Kölnerinnen und Kölner Ideen für ihre Stadt vorschlagen. Sie sollen ihren Senf dazugeben. Auf einer Karte kann man markieren, was man sich wo wünscht.
Der Stadtplan ist übersät mit Punkten in unterschiedlichen Farben und Größen. Grün steht etwa für »Umwelt und Grün«, Hellblau für »Verkehr«. Die Größe der Punkte zeigt an, wie viele Nutzerinnen und Nutzer sich zu dem Thema eingebracht haben — mit Likes oder Kommentaren. Klickt man auf die Punkte, erscheinen Einträge wie »Bäume statt Kies«, »Mehr Grün auf der Salmstraße« oder »Venloer autofrei«. Etliche solcher Ideen hat »Senf.Koeln« auch visualisiert. Auf dem Instagram-Kanal sieht man Sitzmöglichkeiten an der Kitschburger Straße in Lindenthal oder neue Toilettenhäuschen am Rheinufer.
»Wer ein gutes Produkt entwickeln möchte, arbeitet mit Feedback«, sagt Morino, Absolvent der Köln International School of Design (KISD). Längst hätten sogar Kunden in Restaurants dazu die Möglichkeit. »Nur den Stadtraum kann man nicht konstruktiv bewerten und Ideen einbringen.« Senf.Koeln will die Stadt zum Use Case machen, die Bewohnerinnen und Bewohner sind die Nutzer dieses Produkts.
Eine der grundlegenden Ideen hinter Senf.Koeln lautet: zu Anregungen anregen. Erst wer sieht, wie es aussehen könnte, oder liest, was sich andere für Gedanken machen, beschäftige sich intensiv mit seiner Umgebung. »Viele Kölner nehmen den Stadtraum als gegeben hin. Et kütt wie et kütt«, sagt Morino. Diese Ohnmacht möchte er beenden.
»Wenn man nie das Gefühl hat, dass die eigene Meinung Gewicht hat, wird man gleichgültig. Wenn man aber merkt, dass die eigenen Ideen wahrgenommen werden, kann das total motivierend sein«, erklärt Christian Wild von Hohenborn. Der Grafikdesigner kümmert sich im Senf-Team um Marketing und Visualisierungen. »Jeder möchte sich doch in seiner Stadt wohlfühlen«, sagt er.
Welche Ideen auf dem interaktiven Stadtplan auftauchen, entscheiden die User. »Radwege und Zebrastreifen werden oft genannt«, sagt Wild von Hohenborn. Auch Begrünung oder Dinge, die fehlen: Sportflächen oder sanitäre Anlagen. Zwar sind auch Experten auf der Plattform aktiv. »Aber wir wollen auch Menschen ansprechen, die Wünsche haben, die bei der Stadtplanung oft nicht im Fokus stehen.« Neue, kreative Ideen — ohne Bedenken gleich mitzudenken. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind die Experten. »Die wissen am besten, welche Wünsche die Menschen in ihrer Nachbarschaft haben«, sagt Wild von Hohenborn. Dieses Wissen nicht zu nutzen, sei Verschwendung.
Trotz mehrfacher Bemühungen sei man bisher noch nicht mit der Stadtverwaltung in Kontakt gekommen. Dort habe man bloß darauf verwiesen, dass Köln mit »Sag’s uns!« bereits ein Bürgerportal habe. »Der entscheidende Unterschied zu einer Beschwerdeplattform ist: Wir wollen konstruktiv Ideen sammeln«, sagt Wild von Hohenborn. Deshalb hat Senf.Koeln begonnen, die Eingaben an die Geschäftsstelle für Anregungen und Beschwerden bei der Stadt weiterzugeben. »Wir würden gerne mit der Verwaltung kooperieren, um Köln zu einer lebenswerteren Stadt zu machen«, sagt Gründer Tassilo Morino. Dass nicht jede Idee umgesetzt werden könne, sei ihm bewusst. Aber Feedback habe noch nie geschadet.