Sorgt für rote Ohren: Anna B Savage, Foto: Ebru Yildiz

Fast wie bei der Bibel-Exegese

Neues von Metronomy, Anna B Savage und DENA

Gehen der Papst und der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-­Strohm, zusammen in den Plattenladen. Sagt der Papst: »Unsere Litur­gie basiert auf der Idee des spirituellen Festes. Damit sind wir ganz nah dran an Ayahuasca- und LSD-Zeremonien. Schön lang soll es sein — bis zur Trance.« Bedford-Strohm entgegnet: »Wir sehen das bei der EKD ja anders. Eher modular. Wir können bei Bedarf lange und festlich, 15-Minuten-Andachten sind uns aber auch nicht fremd. Manchmal liegt in der Kürze die Würze.« Kommt der Plattenhändler aus dem Kabuff, aus dem es streng nach jahrelangem Tabakkonsum riecht, und sagt: »Was wollt ihr beiden Popen hier? Verzieht euch, ihr ruiniert mir das Geschäft.« Beim Rausflüchten wirft Franziskus einen Blick ins Neuheitenregal und erkennt, dass dort so manche LP steht, aber kaum Kurzformate wie Singles oder EPs. Später fragt er seinen Kollegen: »Warum ist das so?«

Eine kleine Frau, deren Namen jeder im Agnesviertel und am Eigelstein kennt, observiert aus dem Schutz eines Hauseingangs das frag­würdige Verhalten — was machen denn zwei der mächtigsten Kirchen­vertreter der Welt auf diesem Platz? — und erklärt dann sehr offenherzig, dass sie heute Sauerbraten gekocht habe und die Presswerke in ganz Europa erhebliche Lieferschwierigkeiten hätten. Dass das dennoch kein Grund sei, das Kurzformat zu vernachlässigen, wie etwa die neue Veröffentlichung des Pop-Gruppen Projekts Metronomy beweise. Dieses sei sehr eindeutig nicht für die Veröffentlichung auf Vinyl gedacht, sondern möchte schnell als Kassette oder halt digital ausgespielt werden.

Eine auffallend informierte Be­ob­achtung der Sauerbraten-Liebhaberin, denn diese praktische und prompte Verfügbarkeit wirkt für das hinlänglich bekannte Projekt tatsächlich wie ein Jungbrunnen. Wo Metronomy nämlich in den letzten Jahren immer wieder gehadert haben — mit der eigenen Kanonisierung und dem Erfolg, den einhergehenden Erwartungen und der Hoffnung auf die eine weltverändernde Nummer —, gibt sich »Posse EP Vol. 1« ganz locker aus der Hüfte geschossen.

Es ist eine erfrischende Produzentenplatte im engeren Sinne: Joseph Mount bastelte Beats und Sounds, ging damit hausieren und fand Rapper, Sänger*innen und Kooperationen. Wie ein Höhlenlöwe (bekannt aus Funk und Fernsehen) betreibt er kreative Anschubhilfe und macht aus Pinty und Biig Piig, Sorry sowie den aufregenden Newcomern Brian Nasty, Folly Group und Spill Tab Investment-Cases. Pinty darf über einen Pop-Track seinen London-Swag schütten, »405« klingt wie eine astreine Italians-Do-It-Better-Nummer. Ein wunderbar unstringentes Experiment ist diese EP, die zwar ohne Druck, aber nicht ohne Spannung auskommt.

Die beiden Kirchgänger schau­en verdutzt, haben sie doch noch nie von Metronomy gehört. Diese Idee der Produzentenplatte gefällt ihnen aber. Die Bibel-Exegese funktioniert ja nicht ganz unähnlich: interpretieren und anwenden, damit etwas Neues schaffen. Sie lachen — bis ihnen das Grinsen im Gesicht einfriert. Denn die kleine, weißhaarige Frau lässt auf ihrem Smartphone die EP der Londoner Songwriterin Anna B Savage laufen. Diese heißt »These Dreams« und sind die Lost Tracks ihres Anfang des Jahres erschienen Albums »A Common Turn«, das nicht nur wegen seiner Cunnilingus-Beschreibung in der Cohen-Inkarnation »Chelsea Hotel #3« für rote Ohren gesorgt hatte. Die LP war eine verdammte Wucht, erinnerte an Scott Walker und berührte sehr. Savage selbst litt zwischen ihrer ersten EP aus dem Jahr 2015 und 2019 an Angstzuständen und entwickelte ein Impostor-Syndrom: Sie glaubte, dass sie fälsch­licherweise wertgeschätzt werde, sie eigentlich nichts könne und alle einem großen Fehler aufsitzen würden. Der brachiale Titeltrack der EP ist in diesem Lichte zu betrachten. »Wake up!« — Wach endlich auf aus diesen (Alp-)Träumen. »You are an obvious imposter, you are an armchair activist«; ein Glück, dass Savage zu sich gefunden hat und das Lob, das nach dem Album auf sie einprasselte genießen konnte. »These Dreams« bietet neben B-Seiten-Tracks noch eine markige Cover-Version des Edwyn Collins-Klassikers »Girl Like You«. Was dann aber doch eher wie ein Spaß rüberkommt.

»Warum eigentlich nicht?« fragt Bedford-Strohm den Papst, der darauf keine Antwort kennt. Während er über die Aufhebung des Zölibats grübelt — diese Cunnilingus-Sache klingt ja gar nicht so schlecht —, läuft aus einem entfernten Radio die Musik der bulgarischen Berlinerin DENA. Ein Zufall? Wohl kaum. Die neue EP »Mixed Feelings« kommt ja auf dem Label Mansions and Millions raus, dass zwar sehr klein, aber dafür sehr erfolgreich ist — und also schon zweimal seinen Weg in diese Kolumne gefunden hat. DENA kennt man in Köln nicht nur von ihren Auftritten im King Georg, sondern auch als Sängerin bei The Whitest Boy Alive und Solo-Künstlerin auf Kitsune und !K7. Der Weg zum kleinen Indie tut ihr aber gut. Unter anderem findet sie immer konkreter einen vertraulichen Elektro-Pop-Sound — anschmiegsam und schroff zu­gleich. Die EP ist ein kurzes »Hallo«, kommt würdevoll unterproduziert daher und bietet sechs Super-Tracks. »Idealize«, »No Pressure« und »Time Flies« behaupten gekonnt Tanzbarkeit, die sie glücklicherweise eigentlich nie wirklich einlösen.

Das ist dann so gut, dass wir gar nicht mehr auf diese müde Storyline um den Papst zurückkommen müssen, sondern lieber die EP auf Dauer-Repeat laufen lassen.

Metronomy, »Posse EP Vol. 1« (Because / Virgin, digital bereits erschienen)

Anna B Savage, »These Dreams EP« (City Slang / Rough Trade)

DENA, »Mixed Feelings« (Mansions and Millions / Cargo, digital bereits erschienen)