Wer rappt unsere Hymnen?

Das Porträt einer Kölner Rap-Szene, die es vielleicht (noch) gar nicht gibt

Denkt man an Rap aus Berlin, Hamburg oder Frankfurt haben die allermeisten ein charakteristisches Soundbild im Kopf. Vielleicht sogar repräsentative Tracks über die Stadt. Aber wer sind Kölns Representer? Haben wir auch einen eigenen Sound wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt? Ich habe mich mit Out- und Insidern über die Charakteristik der Kölner Rap-Szene, wenn man sie als solche begreifen mag, ausgetauscht, um sie selbst besser begreifen zu können.

Wo einst am Barbarossaplatz eine Außenstelle der Kölner Staatsanwaltschaft saß, baut nun Xatar sein Imperium aus: den Goldmann Tower. Auf den jeweils 300 Quadratmetern der sechs Etagen entstehen seit letztem Jahr Büroräume und Studios, in denen der Unternehmer seine diversen Geschäftszweige unter ein Dach bringt. Er ist Rapper, Chef von gleich vier Labels, Verleger, Autor, Gastronom, Modedesigner und irgendwas war da mal mit einem Goldtransporter… Ein Universalgenie, der wie kein Zweiter im Deutschrap-Kosmos verstanden hat, Business zu machen. Kein Wunder also, dass derzeit sein Leben verfilmt wird.

Rap ist in Kölns Kulturszene unter­repräsentiert. Techno dominiert die Clubs

Ziel von Goldmann-Entertainment soll es unter anderem sein, junge und noch unbekannte Ta­lente zu fördern: »Move like a Major — create like an Indie«. Dafür gibt es eine »Goldmann Academy«, in den Warteräumen werden die Werke junger Künstler:innen ausgestellt. Könnte dadurch Köln als Standort in der Deutschrap-Szene an Relevanz gewinnen? Wo steht die Kölner Szene aktuell?

Etwa sieben Jahre ist es her, dass ein Autor der Stadtrevue sich mit der Identität des Kölner Rap befasst hat. Philipp Kunze beschäftigte sich damals vor allem mit Retrogott und Hulk Hodn sowie der Producer-Szene der Stadt. Veedel Kaztro ist damals noch Newcomer und wird in dem Artikel zum Hoffnungsträger der Szene ernannt. Einer, der es über die Stadtgrenzen hinaus schaffen und für Köln stehen kann. Veedel K hat sich in den letzten sieben Jahren ein Standing in der Szene erarbeitet. Er unterstützt Newcomer aus Köln, indem er sie als Feature-Gäste auf seine Songs holt oder mit auf Tour nimmt, er arbeitet auch überregional mit Rappern zusammen. Außerdem hat er uns zu seinen Sektor-West-Büdchen-Gang-Zeiten eine Menge identitätsstiftender Stücke geliefert. »Kölsch, Kippe, Lederjacke« ist wohl das bekannteste.

Als ich in den vergangenen Wochen mehrere Nicht-Kölne­r:innen nach ihrer ersten Assoziation mit Rap aus Köln frage, antwortet die Mehrheit: Lugatti&9ine. Die beiden Rapper aus »Sürth am Meer« haben Veedel Kaztro 2018 auf seiner Tour supportet, gemeinsame Tracks gibt es auch. Eine Zeit lang galten sie als Geheimtipp, mittlerweile führen sie den Rap-Untergrund an. Das Rezept: 808’s mit düsteren Beats gepaart mit tightem Rap und oft humorvollen Punchlines, teilweise auf Kölsch. Der Architekt hinter dieser einzigartigen Soundästhetik ist Traya, ihr Hausproduzent. Zu dritt haben sie das Label Kinder der Küste gegründet. In fast jedem ihrer Tracks repräsentieren sie Köln und holen sich dafür auch gerne Rapper aus ihrem Umfeld wie Dennis Dies Das oder Sascha Urlaub als Feature dazu. Lugatti&­9ine vermitteln in ihrer Musik die vermeintlich in der Natur der Kölner liegende lockere Art: Ihre Musikvideos drehen sie am Brüsseler Platz, ihrer Sürther Hood oder am Großmarkt in der Südstadt, meist mit einem Kölsch in der einen und was zu Rauchen in der anderen Hand. Die Sommer werden am Rodenkirchener oder Sürther Strand, der Côte d’ASürth, verbracht — »weit weg von Problemen ja, la Kölsche Vita Baby regelt das«, lautet es auf »Sonnenuntergang«.

Auch außerhalb Kölns sind sie gut vernetzt, vor allem im Berliner Untergrund. Wer seine Karriere vorantreiben und seine Reichweite ausbauen möchte, muss die Stadt also verlassen? Benyo, von der Schälsick Gang, bestätigt mir das, ohne seinen Rapper-Kollegen einen Vorwurf zu machen. Innerhalb der Kölner Szene fehle es eben an Infrastruktur. Benyo erzählt mir aber auch von Zeiten, in denen die Rapper einzelner Veedel nicht nur nicht connected, sondern sogar »verfeindet« waren. Auch Dank der Arbeit die er, sein Kollege Fly und ihre damalige Porzer Crew für die Veedels-Verständigung geleistet haben, fand in den letzten Jahren eine Entwicklung statt: »Die Lage ist entspannter geworden. Die Leute haben nicht mehr diese Viertel-Filme. Es ist kollektiver, aber alles in Kölner Manier.« Damit meint er die Kölsche Mentalität, die der Ur-Kölner mir in einer Sprachnachricht mit tiefer Stimme in Mundart so definiert: »Man kennt sich schon, heute sind alle dein bester Freund und morgen, wenn die Sonne wieder aufgeht, dann kennt man sich noch, aber man ist kein bester Freund mehr, dann macht jeder sein Ding, und so ist das in der Szene auch.«

Die Infrastruktur, von der Benyo spricht, vermisst auch Newcomer MYCA, der sich leidenschaftlich, beinahe religiös mit der Deutsch­rap-Szene und ihrer Dynamik auseinandersetzt. Mit ihm treffe ich mich im Café Walter in der Südstadt. Wir bestellen beide Iced-Hafer-Cappuccino, weil man das als hippe junge Person in einer Großstadt wohl so macht, und unterhalten uns eine gute Stunde über die Situation im Kölner Rap.

Ohne abzusetzen, begleitet von großer Gestik, erzählt MYCA mir von Versäumnissen der Szene in Köln: Er findet, dass die Verantwortung der Aufbauarbeit in den frühen 2000er Jahren bei Eko Fresh und seinen Kollegen aus der Grembranx gelegen hätte. Wer sich jetzt fragt: »Grembranx, Grembranx, was ist diese Grembranx?« — genau das ist sein Punkt. Er ist sichtlich frustriert von der aktuellen Lage: »Wir sind offen, freiheitsliebend und tolerant, aber keiner macht was draus.«

MYCA ist es wichtig, die Identität seiner Heimatstadt Köln in seine Musik einfließen zu lassen. »Dieses Gefühl, wenn man über die Brücken über den Rhein fährt und den Dom sieht«, was der Anfang 20-Jährige in diesem Moment empfindet, das möchte er in seine Tracks verpacken. Vor kurzem stellt er sein Projekt »4711 Mixtape« fertig, auf denen sich Tracks mit Titeln wie »Cologne City Lifestyle« finden. In den Musikvideos sieht man ihn mit seiner Gang durch die Stadt ziehen: Aus der Altstadt Süd zur Zülpicher Straße über die Uni-Wiese und den Aachener Weiher Richtung Belgisches Viertel und schließlich zum Stadtgarten, immer dabei: »Kölsch und Yeni Raki«.

Obwohl die Infrastruktur noch ­ausbaufähig ist, besteht wohl trotzdem Austausch: »Natürlich kennen sich alle, Köln ist klein«, sagt TABOO221, ebenfalls Newcomer. Aber es gilt das Vorurteil der großen Rapper-Egos: »Rap ist immer auch Konkurrenz.« Ein weiterer Faktor sind laut TABOO221 fehlende Kulturstätten, »coole Räume, an denen die Leute zusammenkommen können«, genauso wie Rap-Veranstaltungen. Rap ist in Kölns Kulturszene unterrepräsentiert. Techno dominiert die Clubs. Dabei sind die HipHop-Partys, die es im Reineke, dem Subway oder gelegentlich im CBE gibt, immer überlaufen und Rap-Konzerte, zumindest die, die ich in den letzten Jahren besucht habe, immer ausverkauft. Es gibt eine Nachfrage — wie­so dann nicht ein vernünftiges Angebot?

Meine drei Interview-Partner zeichnen unabhängig voneinander, aber als Insider doch ein sehr ähnliches Bild einer Szene, die vielleicht noch gar keine ist, definitiv aber eine werden könnte. Sie sind stolz auf die Kölsche Art und nehmen diese in ihre Musik mit, auch wenn sie alle unterschiedlich klingen. Für eine so bunte, diverse Stadt ist es nur richtig, wenn eben kein eigener distinktiver Sound generiert wird, findet TABOO221: »Es soll ja am besten gezeigt werden, dass Köln offen ist, dass die Stadt Liebe hat und einfach gut gelaunt ist — und manchmal auch nicht.«. Der Charakter unserer Stadt —  vielleicht ist das unser Sound? Benyo resümiert: »Es gibt nicht den einen Kölner Sound aber die Art und Weise, die die Rapper hier haben, diese Leichtigkeit und immer ein Zwinkern mit dabei, selbst der Hardcore-Street-Dude — das ist in anderen Städten nicht so«. Sie alle wünschen sich dasselbe: Eine bessere Infrastruktur, mehr Veranstaltungen, auf denen man sich intensiver kennenlernen und austauschen kann — mehr gemeinsame Identität.

TABOO221 bringt noch in diesem Jahr eine Collab mit eingangs genanntem Veedel Kaztro heraus, gemeinsame Live-Auftritte stehen ebenfalls an. MYCA und die Jungs vom Secondhand-Laden »Fabrik der Edlen« in der Südstadt, haben Ende Oktober ein Event ausgerichtet, für das MYCA eine Handvoll Rapper-Kollegen auf die Bühne geholt hat. Als Teil des Türsteher-Teams habe ich den unvorhersehbar riesigen Andrang und die unfassbar gute Stimmung hautnah miterlebt. Der Abend war ein voller Erfolg, es sollen weitere dieser Events in dem Shop stattfinden. Es gibt sie also, die Connections, die Möglichkeiten, die Visionen — man muss nur machen. Davon wünsche ich mir in Zukunft noch viel mehr.

Also: Rapper (und wenn es euch gibt, auch Rapperinnen) aller Veedel, vereinigt euch!

Ob Xatars Goldmann Entertainment oder ähnliche Institutionen Köln als Standort im Deutschrap tatsächlich attraktiver machen können, bleibt abzuwarten. Schließlich muss man als Artist heutzutage nicht mehr zwingend in der Stadt leben, in der das Label sitzt, bei dem man gesignt ist. Es liegt dann wohl doch an den lokalen Akteu­r:innen, independent einen Teil zum Szene-Aufbau beizutragen, egal wie klein der Rahmen dafür zunächst sein mag.

So oder so, um mit Benyos Worten abzuschließen: »Köln hat mieses Potenzial und das gilt es zu heben.« Köln auf die Karte!

»Rapper« wird im Text von der Autorin nicht gegendert, da sie an keiner Stelle von Rapperinnen spricht — die sucht sie in Köln bisher vergebens.

Instagram: @tabo0.221, @benyo_51, @mmycaa
Riesen Dank an TABOO221, Benyo von der Schälsick Gang und MYCA