Rassismus in Deutschland: »Es ging nahtlos weiter«. Foto: Ana Lukenda

Antworten, die Fragen aufwerfen

»Die Lücke 2.0« im Schauspiel Köln: Deutschland und das Rassismus-Problem

Da sitzen sie sich nun wieder gegenüber, getrennt durch eine Lücke in der Bühne. Es gibt auch eine Lücke im Verstehen, »eine Lücke, in der sich Rassismus formiert«, sagt Stefko Hanushevsky einmal. Er und Kristin Steffen treten als ungeeignetes Gastgeber-Duo des Schauspiel Köln auf, naivere Varianten ihrer selbst, und gehen in dieser Neuauflage »Die Lücke 2.0« versuchsweise auf »diese drei Leute« zu, von denen sie wenig wissen: die noch aus der ursprünglichen Fassung bekannten Terror-Zeugen Ismet Büyük, Ayfer Sentürk Demir und Kutlu Yurtseven.

Wir erinnern uns: Nuran David Calis brachte die erste »Lücke« 2014 auf die Bühne. Das Schauspiel Köln war in eine »stillgelegte Industriehalle« gezogen und fand sich in unmittelbarer Nähe zur vor allem von deutschen Türken und Kurden bewohnten Keupstraße wieder, in der 2004 eine Nagelbombe vor einem Friseursalon zündete und 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzte. Die polizeilichen Ermittlungen drängten vor allem in die türkische Gemeinschaft des Viertels, bis sich 2011 die neona­zistische Terrorgruppe NSU, von deren Existenz kaum jemand etwas zu ahnen schien, zu dieser und noch vielen anderen Taten bekannte.

Der politische Aspekt wird einfach ausgelassen! In welchem Prozess lässt man denn das Motiv wegfallen? Kutlu Yurtseven über den NSU-Prozess

Von einem organisatorischen Versagen der Behörden zu sprechen, wäre nur die halbe Wahrheit, denn Vorurteile gegen Türken spielten in die Ermittlungen hinein. In Ämtern und Ministerien saßen sogar einige Sympathisanten, die wichtige Informationen unterdrückten. Die Aufarbeitung dauert an, und viele möchten, dass sie mit den Verurteilungen im Münchener NSU-Prozess nicht an Fahrt verliert. »Kein Schlussstrich!« heißt das dezentrale Projekt, an dem sich das Schauspiel Köln mit einem Programm, das auch »Die Lücke 2.0« umfasst, beteiligte.

»Die Lücke 2.0 müsste es nicht geben, wenn es nicht den NSU 2.0 gegeben hätte«, erklärt Kutlu Yurtseven dem Publikum — die Angst vor rechten Extremisten ist geblieben, vor allem nach jüngeren Anschlägen wie in Halle, Hanau, Kassel, Solingen, oder der Entdeckung der Gruppe Nordkreuz: »Es ging nahtlos weiter.« Der Rassismus, den die Anwohner der Keupstraße zwischen 2004 und 2011 in Form polizeilicher Verdächtigungen, Abhörmaßnahmen und taktischer Verhöre erleben mussten, sei noch virulent. Deutschen Tatverdächtigen werde in Ermittlungen einen Vertrauensvorschuss gegeben und mögliche rassistische Motive gerieten in den Hintergrund. Yurtseven weist auch auf den Fall Bähner hin: Im November begann der Prozess gegen den 74-Jährigen CDU-Bezirkspolitiker, der 2019 am Porzer Rheinufer einen Jugendlichen mit einer Schusswaffe verletzte.

Außerdem gibt es ja noch den Alltag. Ayfer Sentürk Demir gibt an, nie sicher davor zu sein, dass sie oder ihr Kind heute auf der Arbeit und in der Schule »rassistisch angemacht« werden.

So bleibt das Anliegen der Beteiligten im Jahr 2021, mit »Die Lücke« aufzuklären und aufzuarbeiten. Es geht darum, fehlendes Vertrauen (wieder)herzustellen, aber niemand weiß genau, wie. Dokumentarische Elemente wie die Aufnahmen der Überwachungskameras, das Bekennervideo und Zeugeninterviews sowie ein Zwischenspiel, in dem Hanushevsky und Steffen fieberhaft das Versagen der Behörden nachvollziehen, bilden den Rahmen für die deutsch-türkischen Verständigungen auf der Bühne, die quasi bei null anfangen. Ob man als Touristin in muslimischen Ländern eigentlich Kopftuch tragen muss, wird da zum Beispiel gefragt; dürfen Deutsche und Türken heiraten?

Die Formulierungen der Gastgeber sind oft laute Überlegungen, in denen auch manches Vorurteil zum Ausdruck kommt. Stehen sie, satirisch überzeichnet, für deutsche Bildungsbürger von heute? Hanushevsky findet, Menschen anderer Kulturkreise müsse man im Land irgendwie »aushalten«; beide zerbrechen sich über alles den Kopf, ohne Lösungen zu sehen, und lernen Ernüchterndes. »Was ist das für ein Staat, in dem ich hier lebe?«

Kurz vor Schluss, nach einem aktuellen Meinungsaustausch über den NSU-Prozess und einem Plädoyer für das geplante Mahnmal, kehrt man zurück zum Ausgangsbild der sich etwas misstrauisch aus der Distanz beäugenden Gruppen, die beide auch etwas nebulös für ihre Kulturen, für Gesellschaft und Parallelgesellschaft in Köln stehen. Nun kann man fragen: Wenn es (abgesehen von einem Epilog) so resignativ endet, sind Begegnungen etwa keine ausreichende Lösung? Deutlich wird, dass in der Aufarbeitung eben noch etwas fehlt und Fragen unbeantwortet bleiben. »Der politische Aspekt wird einfach ausgelassen«, sagt Kutlu Yurtseven über den NSU-Prozess. »In welchem Prozess lässt man denn das Motiv wegfallen?«

Der mit Zeugen und Realien viel Anschaulichkeit präsentierende Abend bietet allen die Möglichkeit, etwas über Rassismus und Kölner Zeitgeschichte zu lernen — auch und gerade ohne genaue Vorkenntnisse. Vor jeder Vorstellung gibt es durch die Keupstraße eine Führung in mehreren Gruppen. Und es ist nicht vorbei, es gibt Dinge zu tun und mitzugestalten, nicht nur politisch und rund um die Mahnmal-Umsetzung. So heißt es aus den Kreisen von Ehrenamtlern, Opfer und Betroffene erhielten weiterhin nicht die nötige professionelle medizinische und psychologische Betreuung.

Schauspiel Köln (Depot 2), 4., 5., 23.12. 19 Uhr