»Erdoğan wird jeden Muezzinruf ausschlachten«: Ditib-Moschee in Ehrenfeld

Wenn der Muezzin ruft

Bald könnte der erste Gebetsruf in Köln ertönen. Von der Stadtverwaltung ist nicht mehr viel zu hören

Als die Stadt Köln Anfang Oktober bekannt gab, dass die Moscheegemeinden künftig über Lautsprecher zum Freitagsgebet rufen dürfen, fielen die Reaktionen bundesweit heftig aus. Köln diene damit nur den Falschen, riefen die einen. Andere lobten den Schritt, weil der muslimische Gebetsruf zur freien Religionsausübung gehöre. Wochenlang mutete der Muezzinruf wie ein schlechter PR-Gag aus dem Büro von Oberberügermeisterin Henriette Reker an, weil keine einzige muslimische Gemeinde einen Antrag stellte. Nun aber wird es ernst: Mitte November ging der erste Antrag bei der Stadt ein. Und rund eine Woche später bekannte auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) öffentlich: Man freue sich über das Modellprojekt der Stadt und werde alsbald den Antrag abschicken. Rund um die große Ditib-Moschee in Ehrenfeld wird freitags wohl bald der Muezzin zu hören sein.

»Diese Entscheidung von der Stadt war überhaupt nicht durchdacht«, sagt Lale Akgün, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Islambeauftragte ihrer Fraktion. Die Stadt stärke damit nur die Vertreter eines konservativen, politischen Islam, in erster Linie die ­Ditib und damit den türkischen Staat. ­»Präsident Erdoğan wird jeden in Köln erklingenden Muezzinruf ausschlachten«, sagt Akgün. Die Eröffnung der großen Ditib-Moschee in Ehrenfeld war zum Skandal geraten, weil anstelle eines ranghohen deutschen Politikers der türkische Präsident die Moschee eröffnet hatte. Selbst langjährige Kölner Unterstützer des Baus wurden nicht oder erst sehr spät eingeladen. OB Henriette Reker war düpiert. »Hat Frau Reker das etwa vergessen?«, fragt Akgün.

Die Mehrheit der Muslime in Deutschland sei säkular oder könne zumindest gut auf den Gebetsruf verzichten, so Akgün. Auf viele Muslime werde es sogar verstörend wirken, wenn nun auch in Deutschland der Muezzin rufe. »Was fühlen wohl Menschen, die in muslimischen Ländern wegen ihres Lebenswandels oder ihres fehlenden oder anderen Glaubens verfolgt wurden und vor den Häschern der Islamisten zu uns geflohen sind? Nimmt jemand wahr, dass sie immer noch bedroht sind, wenn sie gegen den Muezzinruf protestieren?« Akgün verweist auf den Fall der Exil-Iranerin Mina Ahadi, die am 15. Oktober mit anderen Mitgliedern des Zentralrats der Ex-Muslime vor der Ditib-Moschee gegen den Muezzinruf protestierte. Seitdem bekommt sie Todesdrohungen und steht unter Polizeischutz.

Doch es gibt ja nicht nur Moscheegemeinden der Ditib in Köln. Sollen nun alle Muslime darauf verzichten, nur, weil man der Ditib nichts gönnt? »Wenn Herr Erdoğan sich über den Muezzinruf freut, dann ist das zwar nicht schön, aber darauf kommt es nicht an«, sagt Katajun Amirpur, Islamwissenschaftlerin an der Universität zu Köln. Man müsse sich am Rechtsstaat orientieren: »Die freie Ausübung der Religion ist nun einmal gesetzlich verankert«, sagt Amirpur. Mit dem Argument, der Muezzinruf diene nur dem »politischen Islam«, könne man sonst auch das Kopftuch verbieten. Amirpur widerspricht auch dem häufig geäußerten Argument, der Muezzinruf sende eine explizite Botschaft, im Gegensatz zum Gloc­kengeläut der Kirchen. So sollte das Zwölfuhrläuten, im 15. Jahrhundert eingeführt, Freude über den Sieg des christlichen Abendlands über die Osmanen ausdrücken und wurde später Türkenläuten genannt. »Jede monotheistische Religion hat einen Exklusivitätsanspruch.«

Die Erlaubnis zum Muezzinruf hält Amirpur für ein »gutes und notwendiges Signal« an die Kölner Muslime. »Auch, wenn es wichtigere Dinge gäbe, um zur Integration beizutragen, etwa, den Alltagsrassismus zu bekämpfen.«

Die Stadt Köln spricht von insgesamt zehn Interessensbekundungen von Moscheegemeinden, nennt aber keine Namen und verweist auf den Datenschutz. Auch sonst hält sich die Stadt bedeckt. Warum wurde das Projekt nicht in den politischen Gremien oder im Rat der Religionen diskutiert? Wann wird über den ersten Gebetsruf-Antrag entschieden? Auf all diese Fragen gibt es nur ausweichende Antworten. Bei Baubeginn der Moschee in Ehrenfeld unterzeichnete die Ditib eine Erklärung, in der sie der Stadt Köln zusicherte, auf Gebetsrufe zu verzichten. Ist diese nun hinfällig? Eine Überarbeitung der Erklärung sei nicht notwendig, heißt es nur.

Immerhin ist zu erfahren, dass es Muezzinrufe in Köln schon gegeben hat. Während der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, als gemeinsame Gebete nicht möglich waren, seien sie während des Ramadans geduldet worden. »Infolge einiger darauf folgender Anfragen aus Moscheegemeinden hat sich die Stadt Köln entschlossen, ein auf zunächst zwei Jahre befristetes Modellprojekt durchzuführen.«

Die Ditib und zwei weitere Gemeinden wollen mit der Stadtrevue nicht sprechen. Rabeya Müller, Imamin der Liberalen Muslimischen Gemeinde, ruft jedoch sofort zurück. Die Erlaubnis zum Gebetsruf findet sie »grundsätzlich sehr erfreulich, weil es ein Stück Normalität für Muslime bedeutet«. Als Mitglied im Rat der Religionen hätte sie sich jedoch gewünscht, »dass wir da vorher mal drüber gesprochen hätten«.