Nicht mehr allein auf der Tanzfläche: Levin Goes Lightly

Thin White Schwabe

Nähe, Körperlichkeit, Lust und Ekstase — Levin Goes Lightly ist für den deutschen Pop unerhört

Es war der 21. Februar 2014 als Levin Stadler allein im King Georg stand und sich an der mittlerweile abgebauten Balustrade festhielt, jener zwischen der ebenerdigen Tanzfläche, die wir damals Bühne nannten, und dem Abgang  zu den Toiletten. Um ihn herum standen etwa 140 Menschen, die gekommen waren, um den Hauptakt, zu sehen, Die Nerven. Und trotz des Trubels — die Band war mit fünfstündiger Verspätung gerade erst eingetroffen, was den Einlass der wartenden Gäste aufschob — hörte man ein leises Pusten. Ein Durchatmen. Und dann ging es los. Obwohl die Musik, die Stadler als Levin Goes Lightly singt und spielt, so ganz anders ist als jene der Stuttgarter Grunge-Freunde, fesselte er mit seinem kurzen, knappen Set die umstehenden Rocker.

Selbstverständlich wurden anfänglich die Augen verdreht: Die campe Schönheit des geschminkten Levin Stadlers verstörte den ein oder anderen. Doch das Eis brach — auch die Punk-Fans mit den Weizenbieren schmolzen dahin. Das lag neben dem einehmenden Charme des Stuttgarters vor allen Dingen an seiner Musik: ein Pop-Entwurf, der sehr modern daherkommt und zugleich einen großen Katalog an Referenz-Bands und -Sänger aus der Vergangenheit ­aufschlägt.

Der offensichtlichste Verweis reicht rüber zu David Bowie. Ja, Levin Goes Lightly hat sehr viel vom Thin White Duke. Beim besten Willen nicht das einzige Vorbild, die Assoziationsmaschine läuft schnell auf Hochtouren: Talking Heads, Suicide, Roxy Music. Er selbst verweigert sich nicht diesen Referenzen, wie es sonst gerne im Business gepflegt wird; er begrüßt sie mit offenen Armen. Gerade jene, die er zunächst gar nicht kannte: »Suicide habe ich erst kennengelernt als ich diesen Sound schon gemacht habe, Durutti Column auch. Sie wurden mir erst von Konzertbesuchern empfohlen«, sagt er im Interview.

Wer jetzt Epigonentum befürchtet, darf sich beruhigen: »Rot«, sein aktuelles Album, klingt kaum nach dem, was man nch dem eben Gesagten auf dem Schirm haben könnte. Das liegt auch an der deutschen Sprache, in der Stadler singt. Wer will, mag Robert Görl oder auch mal Falco raushören — der Trick ist aber, an diesen scheinbar übermächtigen Vorbildern vorbei zuhorchen. Dann eröffnet sich dieses unvergleichliche Songwriting-Gefühl, das Stadler als Levin Goes Lightly zuvor schon auf fünf Alben bewiesen hat.

Themen wie Nähe, Körperlichkeit, Lust, Ekstase gehören zum Repertoire des Stuttgarters. Grund unpeinlich, sehr direkt. Man könnte fragen, ob jemand wie Stadler sich in der Stuttgarter Szene eigentlich heimisch fühlt, wo diese doch von bereits genannten Nerven oder auch den Punkern Human Abfall, also von Meistern der harten Gitarre, geprägt scheint. »Es war immer ein bunter Haufen, der wahrscheinlich am besten auf der Compilation ›Von Heimat kann man hier nicht sprechen‹ vertreten ist. Ich denke, aus Stuttgart kommen schon längere Zeit interessante Bands«, sagt er und erzählt im nächsten Moment von dieser eigenwilligen Mischung in der Daimler-Bosch-Stadt: »Es gab hier in der Vergangenheit immer zwei Schienen. Einmal den lauten und aggressiven Sound und den Pop, diesen dreamy sound.« Diese Linien hätten stets auch zusammengespielt. Was man direkt an der Bandkonstellation von Levin Goes Lightly erkennen kann: Stadler ist der dezidierte Songwriter und das Gesicht der Gruppe; dazu kommen aber Paul Schwarz von Human Abfall und Thomas Zehnle von der Garage-Band Wolf Mountains.

»Rot« ist erstmalig durchgängig treibend: »Das Ziel war eher eine laute, epische Platte mit großen Momenten, lauten Gitarren und echten Drums zu schaffen.« Das hatte aber weniger an den Rockern an Stadlers Seite zu tun als mehr an den Umständen: »Kurz vor dem Lockdown ging meine langjährige Beziehung in die Brüche. Dann kam die Isolation, alles eine existenzielle Erfahrung des Alleinseins. Deshalb behandeln viele Songs genau diese Körperlichkeit, das Verlangen danach und die Ekstase.«

Sonderbarerweise kann Stadler in dem Zusammenhang eines der großen Klischees rausholen — »das intimste und persönlichste Album« —, ohne peinlich zu klingen. Wie er das schafft? Dafür lohnt nochmal ein Blick aufs Album. Es ist weitgehend in der Corona-Zeit entstanden, es findet sich sogar ein Cover des Abba-Hits »Knowing Me, ­Knowing You«. Doch Levin Goes Lightly schält die Break-Up-Geschichte aus seinem Schlager­gewand, verpackt es umgehend in einen elektronischen Wave-Sound, der locker zwischen kitschiger Tanznummer und creepy Bariton changiert.

Das ist natürlich in einer deutschen Pop-Szene ungehört. Also in einer Szene, in der jemand wie Mark Forster, gegen dessen Slickness selbst Ed Sheeran wie ’ne Type mit Ecken und Kanten wirkt, Erfolge feiern darf. Diese — zumindest die Chartplatzierung — sind Levin Goes Lightly bis jetzt verwehrt geblieben. Das mag sich auch mit »Rot« nicht ändern. Dafür ist das alles zu groß, zu international, zu schlau, zu gut! Für Stadler okay. Zwar sei »Fun for assholes« und »Hauptsache es macht Spaß«  Quatsch — für ihn gehe es beim Kunst machen doch um Leidenschaft —, derweil weiß er auch um die wahren Highlights einer Karriere: »Hätte man mir vor zehn Jahren erzählt, dass meine Musik mal von Iggy fucking Pop persönlich vorgestellt wird, dass Trentemöller ein Fan sein wird, dass ich viele Menschen inspiriere und sie mir das auch persönlich mitteilen, hätte ich das nicht geglaubt.«

Vor zehn Jahren konnte man das vielleicht noch nicht sagen. Aber vor acht. Nach dem Konzert im King Georg war das nämlich alles schon sehr offensichtlich.

Tonträger: Levin Goes Lightly, »Rot« (Tapete/Indigo)