Italo-Disco-Pop-Connection: Paula Tape, Foto: Martina Scorcucchi

Saugefährliche Allianzen

Neues von Benedikt Frey und Tim Toh, Paula Tape und Naomie Klaus

Pünktlich zum Weihnachtsfest wird es unchristlich-sexy. Auch zum Jahreswechsel neigt diese Kolumne nicht zum gepflegten Satanismus, trotzdem wird es ­teuflisch gut.

Für ordentlich Zunder sorgt dieser Tage nämlich der Berliner Produzent Benedikt Frey. Der Pforzheimer, der einige Zeit im Umfeld des Offenbacher Clubs Robert Johnson herumschwirrte, aber schon länger Berlin sein Zuhause nennt, kommt mittlerweile auf 40 Veröffentlichungen. Darunter fallen ferner Arbeiten für Kölner Acts: Sowohl für die Kraut-Jazzer von C.A.R. als auch für Matteo Luis aka Malugi hat Frey sein Produktionstalent zur Verfügung gestellt.

Schon bei seinem Besuch im Boiler Room vor sieben Jahren konnte man die Liebe zu Minimal Wave erkennen, obgleich er damals noch eher in die House-Schublade gesteckt wurde. Doch ist diese erstmal aufgerissen, fällt es den meisten schwer, mal eben mit der Hüfte gegen die Schublade zu stoßen, um sie wieder zu schließen. Die Frage stellt sich bis heute vielen, vor allen Dingen jungen Produ­zent*innen: Wo finden sie ihren Platz außerhalb der beiden großen Traditionen House und Techno? Muss sich jede Form elektronischer Musik diesem Zweiparteiensystem zuordnen?

Frey beantwortet diese Frage auf seiner neuesten EP nur so halb — was womöglich ihre größte Stärke ist. Zusammen mit dem dezidierten Housemeister Tim Toh, den Frey in seiner Heimat noch kennengelernt hat, versuchen sie das Rad neu zu erfinden. »Die grobe Vorgabe war House für uns neu zu definieren«, sagt er dazu. Und wie nennt man das wohl, wenn man etwas neu machen möchte? Genau: ANFANG.

Eröffnet wird die EP aber nicht vom gleichnamigen Track, sondern von »Neu« — echtem Minimal Wave mit Oszillatoren-Vibe, der Stimme von Lisa Toh und dem Talent von Niklas Wandt. Sogleich rasselt und prasselt es hier wieder so, wie wir es von Wandt gewohnt sind. Wandt drückt vor allen Dingen den experimentelleren ersten Momenten dieses Tracks seinen Stempel auf. Danach geht eine Reise los, die neben Wave auch von Neu! und ähnlich treibendem Krautrock inspiriert ist. Lisa Toh schwingt zur Hohepriesterin auf, im Hintergrund schrillen Synths auf, eine Reihe Mönche singt. Zur richtigen Stunde ist diese Nummer ein schwitzender Trip durch die Steppe Nevadas. Auch die anderen drei Tracks überzeugen und überraschen: »Anfang« guckt finster drein, »Vereinigt« auf der B-Seite hat einen interessanten TripHop-Feel, »Angst« ist eine wahnwitzige Nummer, die in der besten Phase der Pop-Musik auch einer Kylie Minogue als Hintergrund-Track gepasst hätte. Die vier Tracknamen ergeben dann auch folgendes Credo: Neu Anfang Vereinigt Angst — NAVA. Dämonisch!

Benedikt Freys Position ist zwar ausgefeilt und von besonderer Güte, dass er mit seinem Ansatz House anders zu denken nicht alleine ist, das beweist die Chilenin Paula Tape, die ihr Zuhause in Milano gefunden hat. Als »Astroturismo« lotet sie einen musikalischen Style aus, dessen Wurzeln auch beim Label Cómeme liegen: Südamerikanisch, was vor allem durch die ausgeprägte Nutzung der Percussion-Drum Machine Roland TR-727 liegt; Chicago-House-experimentell und mit deutlicher Italo-Disco-Pop-Songschreibe. »Body Nature« geht mit seinem funky Basslauf bei gleichzeitiger New-Age-Synthfläche auch saugefährliche Allianzen ein — den Vorwurf der Beliebigkeit hört man schon um die Ecke wetzen. Doch halte ein: Geschmackliche Stabilität be­­stimmt diese EP. Wer etwas mehr Body braucht beim Tanzen, der wird sich über »Multiverso« freuen. Eine Nummer, die auch der gerade erst verstorbene Elbee Bad unheim­­lich geliebt hätte.

Von Pforzheim nach Berlin, von Santiago nach Milano; auch die dritte EP birgt einen gewissen Städtepartnerschaftsflair: Die Brüsselerin Naomie Klaus veröffentlicht auf dem Lyoner Label Bamboo Shows. Das Label, dass von Loēs Markarian aka Erevan DJ betrieben wird, hat im dritten Jahr seines Bestehens diese wunderbar-dreamy Pop-Platte auf Kassette gebannt. Ehedem für das Brüsseler Kulturzentrum Beursschouwburg entstanden, wagt »A Story of a Global Disease« — wer hätte das gedacht? — einen internationalen Blick auf die Musikszene und ihre Entwicklung in den letzten Corona-Monaten.

Der Teufel wird hier aber nicht an die Wand gemalt. Klaus sucht in ihren Tracks nach alten und neuen Verbindungen. Zoom hat uns nicht allein (selbst-)entfremdet, sondern auch Menschen einen Raum zur Entfaltung geboten. In so einer imaginierten Zoom-Session darf die Frage »Can I Be Your Geisha?« erlaubt sein — selbstsicher feist vorgetragen im modernen Anime-Cosplay-Look. Nach der Begrüßung »Welcome to the paradise of globalisation« springt Klaus passenderweise in einen Mimikry, der 1a klingt wie an der Guqin komponiert, der chinesischen Griffbrettzither. Diese Seidenmusik, wie sie in China heißt, verharren zu keinem Zeitpunkt in der bloßen Ämulation »exotischer Klänge«, stattdessen wird Synthese mit langsamen Acid-Lines und den aktuell allgegenwärtigen Trommelexkursen in globalisierte Zwischenwelten getrieben. Als hätten Fatima Al-Qadiri und Kate NV ein Koop-Album aufgenommen. Ein unbegreifliches Lob für eine fantastische Platte.

Benedikt Frey und Tim Toh, »NAVA EP« (R.I.O./One Eye Witness), bereits erschienen
Paula Tape, »Astroturismo EP« (Rhythm Section/Rubadub/!K7), erscheint am 26.11.
Naomie Klaus, »A Story of a Global Disease« (Bamboo Shows), als Kassette bereits erschienen