Keine Selbstbespiegelung: Marian Menge (hinten) und Philipp Süß

Der Algorithmus, wo ich immer mit muss

Philipp Süß und Marian Menge machen als Im Zweifel politisch bewegte Spoken-Word-Musik

Eine Drohnenfahrt über den Hambacher Forst. Ganz oben in einem weißbeflaggten Mast befindet sich auf einer kleinen Plattform über den Wipfeln ein Mensch mit beigefarbener Jacke, schwarzer Mütze und Maske. Wir sehen im Wald ­protestierende Aktivist*innen, behelmte Polizist*innen mit Schutzschildern. Dazu läuft Musik, die nicht aufrührerisch oder agitativ, sondern nachdenklich wirkt: verschleppter Groove, melancholisch aufgelöste E-Gitarrenakkorde, flirrendes Moll. Eine tiefe, sonore Stimme spricht in unaufgeregt-introvertiertem, nahezu resignativem Tonfall: »Ich sing nicht mehr, in diese Zeit passt kein Gesang … Menschen fallen von Bäumen für mich — dafür kenn ich kein Wort … ihr kämpft unsern Kampf für uns und wir schauen dabei zu ...«

Die Stimme gehört Marian Menge, der früher Teil der Band Voltaire war und aktuell bei der Kölner Artrock-Formation Alpentines sowie kurioserweise auch bei den britischen New-Wave Urgesteinen Fischer-Z die Gitarre spielt. Auch die Musik hat der zurückhaltende Multiinstrumentalist im Alleingang produziert. Der Text allerdings stammt von Philipp Süß, seines Zeichens klassischer Liedermacher mit raumgreifendem Charisma und extrovertierter Attitüde. Gemeinsam bilden die beiden gegensätzlichen Charaktere das Duo Im Zweifel.

»Mensch in den Bäumen« ist der erste veröffentlichte, mit Aufnahmen des Dokumentarfilmers David Klammer bebilderte Track und Teil einer im Dezember erscheinenden 4-Track-EP. Auch in den anderen drei Songs treffen kontemplative Arrangements auf gesprochene Texte. Die Idee zu dem Projekt war bei einer gemeinsamen Fahrradtour entstanden, bei der Marian Menge und Philipp Süß einander offenbarten, dass bei dem einen jede Menge ungenutzte Songideen auf der Festplatte schlummerten, während beim anderen ein ganzer Haufen Texte auf Vertonung wartete. Schnell wurden Ideen hin- und hergeschickt. Den Text zu »Mensch in den Bäumen« fand Marian so inspirierend, dass er innerhalb einer Nacht die Musik dazu schrieb. Um zu testen, ob es funktioniert, sprach er den Text selbst ein — was bei Philipp direkt auf Begeisterung stieß: »Ich fand seine Art und Weise, wie er das gesprochen hat, vollkommen stimmig. Ich hatte mich selbst schon daran versucht und genau diesen introvertierten Ton gesucht. Ein Song darüber, dass man nicht mehr singt, nicht mehr die große Geste, die große Kunst machen will, das ist ja paradox. Bei Marian klingt das klein und zurückhaltend — und dazu bin ich nicht in der Lage.«

Während der Text das Verzweifeln an der eigenen Passivität zum Ausdruck bringt, geht er ursprünglich darauf zurück, sich aktiv an den Protesten im Hambacher Forst zu beteiligen: »Wir liefen auf den Forst zu, der Zugang war abgesperrt mit einem Wasserwerfer und unglaublich vielen Hundertschaften Polizei«, schildert Philipp seine Erlebnisse. »Wir wurden über Megaphon angetrieben von einem Sprecher der Aktivisten: Wir sollen uns über das Feld verteilen und die Ketten der Polizist*innen auseinanderziehen, damit einzelne Gruppen in den Wald durchdringen können. Lauft und solidarisiert euch! Und zeitgleich schrie ein Polizist: Bleibt auf dem Weg, ihr macht euch strafbar! Ich lief dann über dieses Feld und merkte, dass ich wahnsinnige Angst hatte. Dass ich gern radikaler sein und dazugehören würde, aber irgendwie krass an Grenzen stoße.«

Und so entpuppt sich der vermeintlich politische Gestus in der Musik von Im Zweifel als Auslotung persönlicher Befindlichkeiten — als Hadern mit der eigenen Untätigkeit, obwohl man es doch besser wüsste: Das wiederum von Philipp mit einer großen Portion Sendungsbewusstsein gesprochene »Lass und Frühling sein« wirkt zunächst wie ein Manifest, eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede: »Nein, wir haben kein Informationsproblem, wir wissen alle, dass der Ursprung des Übels die Ungleichverteilung von allem ist, von Essen, von Wasser, von Bildung, von Liebe. Nur wer viel mehr besitzt als andere, braucht diese Mauern und Schießbefehle.« Doch für Philipp basiert auch dieser Text auf derselben Ausgangsposition: »Ein Typ, der vorm Rechnet sitzt und sich das alles nur anglotzt und sich im Grunde selbst Mut zuspricht. Er befindet sich in dieser Lähmung durch YouTube und Social Media. Ein Festhängen im Konjunktiv.« Dennoch sieht er seine Texte nicht als Selbstbespiegelung: »Durch meine Untätigkeit habe ich ja vieles von dem, was mich um mich herum stört, zu verantworten. Bei mir hängt das ganz stark damit zusammen, keinen Punkt zu finden im Betrachten dessen, was da passiert. Aber das bin ja nicht nur ich, der darin versinkt. Wenn ich Bahn fahre und die Leute beobachte, merke ich: Das ist nicht nur der arme Künstler, der da jammert.«

Bemerkenswert ist, wie gut Musik und Text bei Im Zweifel miteinander verschmelzen, obwohl sie zum Teil völlig getrennt voneinander entstanden sind. »Bei den Texten waren keine klassischen Songstrukturen vorgegeben, deshalb existiert auch nur bei zwei Liedern so etwas wie ein Refrain«, erklärt Marian. »Es ist frei gesprochen und ich hab es auf die Musik draufgeschnitten, dabei ist auch viel weggefallen. Meine Aufgabe ist es, Philipp immer ein bisschen zu zügeln, sonst könnte man die Musik ja auch weglassen.«

Die Positionen von Im Zweifel sind angreifbar, das Leiden an den Verhältnissen mag überkanditelt wirken — und doch liefert das Duo mit seiner ersten EP einen durchweg originellen Ansatz, der das Zeug hätte, zu einer ganz eigenen Marke zu werden.

Tonträger: »Die Algorithmen sind müde« (Bandcamp)