Frederic Matys, »Thursz For Mark Rothko«, 1972, Öl auf Leinwand, Foto: Lothar Schnepf © Kolumba, Köln

In Farben denken

Uta M. Reindl über das bedeutsame Schweigen der Radikalen Malerei

Auf dem Weg durch die »Weite« dieser Ausstellung zum Jüdischen Leben in Deutschland stehe ich immer wieder vor Gemälden, die überhaupt kein erkennbares oder abstrahiertes Abbild von Wirklichkeit sind, deren Leinwände ausschließlich Farbe als Realität zeigen. Sie tun nichts anderes als den Besucher in die Weite des Farbraumes hineinzuziehen, sie bieten einen sinnlichen Genuss.

Vor allem lassen sie ihn innehalten in der Intensität und Vielfalt all der mit Ausstellungsobjekten verbundenen Erzählungen zur jüdischen Welt.  Solche ein- oder mehrfarbigen Gemälde, die sich strikt von allen Abbildungsverpflichtungen befreit haben, zählen zu der in den 1970er Jahren aufgekommenen Radikalen Malerei, die in den 80ern auch in der Kölner Kunstszene eine wichtige Rolle spielte — und ebenso in der Sammlung des Hauses. Das machen die vielen Exkurse zur Malerei in dem reclamformatigen Museumführer deutlich, den jeder an der Kasse erhält. Zu einem wahren Konzert aus gemalten Farbräumen kommt es beispielsweise im zweiten Obergeschoss mit den Gemälden von Ingo Meller, Michael Toenges, Peter Tollens oder Dieter Villlinger.  Viele dieser Bilder hatten schon in früheren Kolumba-Präsentationen einen Auftritt, die regelmäßig zeitgenössische und sakrale Kunst in einen Dialog bringen.

Im Panorama des jüdischen Lebens allerdings kommt den radical paintings noch eine ganz spezielle Bedeutung zu, weil sie eine Dimension der jüdischen Kultur auf den Punkt bringen. Sie entsprechen durchaus dem vom Alten Testament und vom Talmud im Judentum auferlegten und meist respektierten Bilderverbot, »Du sollst

Dir kein Bildnis machen«. Dieser Appell ist letztlich als Kultverbot zu verstehen und hinterfragt den Wahrheitsgehalt von abgebildeten Gegenständen und Ereignissen. Damit ist der Betrachter gefordert, sich ganz ohne Netz und doppelten Boden auf die mono- und polychromen Räume einzulassen, quasi einmal die Farbe denken zu lassen.

Am Ende ist dies ohnehin eine empfehlenswerte Forderung für jede Kunstbetrachtung, die auch für die anderen abstrakten Gemälde sowie für die gegenständlichen Bildwelten der Ausstellung gelten darf. Sie stehen stets im engen Dialog zu den in ihrer Nähe präsentierten Artefakten der jüdischen Kultur. Übrigens ganz im Sinne der Empfehlung des Mini-Guides, »seine eigenen Schneisen durch das Gestrüpp der Bilder und Sätze zu schlagen«.

»In die Weite — Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland«, Kolumba, Kolumbastr. 4, tägl. außer Di 12–17 Uhr, bis 15.8.22
In der Reihe »Kolumba: Lieblingsding« schreiben unsere Autor*innen jeweils über einen Aspekt oder ein Exponat der Jahresausstellung, das sie besonders fasziniert.