Wie geht es weiter? Simon Keller, Intendant am Theater der Keller, Foto: Jan Schliecker

»Natürlich wirft das einen Schatten auf uns«

Heinz Simon Keller, Intendant vom Theater der Keller, navigiert durch raue Gewässer

Herr Keller, glauben Sie, dass das Theater der Keller ohne weitere Unterbrechungen durch den Winter kommt?

Ich wünsche es mir und denke, wir werden durchspielen, weil Corona die Frage der Kultur so in den Vordergrund gerückt hat, dass auch die Politik, nach den anfänglich Spaß- und Puff-Vergleichen, verstanden hat, wie wichtig Kultur im Kleinen jetzt ist. Ich rede nicht von großen Opernveranstaltungen, sondern es geht um 50 bis 70 Zuschauer, die alle geimpft sind, 2G, 2G-Plus. Ich wünsche mir, dass wir weiter unsere Arbeit tun können, um den wenigen, die sich trauen, tatsächlich dieses Leben mit Corona zu ermöglichen — denn das wird uns noch einige Jahre begleiten.

Hat sich Ihr eigenes Verständnis für den Sinn von Theater noch ge­schärft?

Ja! Ich bin froh, dass mit dem Stopp auch viele Fragen aufgeworfen wor­den sind, nach »Systemrelevanz« von Kultur, dem Gesundheitssystem, Nachhaltigkeit, öko­logischen Fragen, Fragen über Sinnhaftigkeit: Brauchen wir drei Autos? Müssen wir jeden Monat irgendwo hin­fliegen?

Wenn man auf Entwicklungen wie die verbreitete Impfgegnerschaft schaut, was ist jetzt wichtig auf der Bühne?

Für mich die Sehnsucht nach einer aufwühlenden demokratischen Kultur — dass man sich solidarisch zeigt, dass man sich auf einen groben, großen Nenner einigen kann: wie einen Kulturbesuch. Also in der Philharmonie war ich letztens: Das Konzert fängt an und alle sind still. Diese Kulturleistung, dass man die Klappe hält, dass man jemandem zuhört, das wünsche ich mir auch in der Politik. Es gibt Bewegung mit Grün-Gelb, dass da die Ampel tatsächlich versucht miteinander neue Wege zu gehen. Also — Kultur ist für mich einfach eine Verschärfung, ein Brennglas, und mir ist wichtig, dass wir damit lebendig umgehen. Damit wir diese Offenheit auch leben und uns nicht individualisieren, sondern solidarisch sind nicht nur mit den Kranken, sondern mit denjenigen die im Moment im Krankenhaus oder bei der Polizei arbeiten. Ich wünsche mir, dass wir ein gesellschaftliches Sensorium dafür kriegen, wie eine Gemeinschaft funktionieren könnte im Sinne einer Zukunft und einer Schärfung des Bewusstseins für Probleme, die zu lösen sind. Und nicht wie gerade, wo die Pandemie ein Auseinanderdriften ­provoziert. Wir selber haben im Theater auch die Impfdiskussion geführt und erfolgreich Überzeugungsarbeit geleistet. Wir wollen und müssen weiterhin gesundheitlich solidarisch denken.

Und Sie wollen doch den Kapitalismus retten?

(lacht) Mir wurden viele Stücke zugetragen, viele gut geschriebene, freche Fragment-Stücke. Aber in »Rettet den Kapitalismus!«, das wir im Bankenwesen ansiedeln, hat sich für mich ein Bedürfnis verbunden nach einer Berührung durch Musik mit einem anspruchsvollen gesellschaftlichen Thema: Geld, Gier, Geilheit, Gesellschaft — Wahnsinn! Den Kapitalismus wollen wir nicht retten, den wollen wir auch nicht abschaffen. Wir wollen ein Forschungslabor eröffnen, wo wir ihn beleuchten, aber auch mit Musik die Leute treffen wollen. Wir haben Eisler und Brecht, wir haben Grönemeyer, Randy Newman, wir haben Lieder, die auch die Sinne öffnen, um den Fragen nachzugehen, die uns und mich persönlich in dieser Corona­situation beschäftigt haben. Wie geht es weiter?

Im Trägerverein des Theaters wurden eine größere Spende veruntreut, der Vorsitzende Dr. Wackerhagen (FDP) musste gehen und soll schon den Großteil zurückgezahlt haben. Wie berühren Vorgänge im Verein das Theater selber und Sie als Intendanten?

Dieses Verbrechen ist vom Trägerverein selber juristisch angezeigt worden — über das unmögliche Verhalten unseres Vorsitzenden sind Trägerverein und das Leitungsteam natürlich gleichermaßen entsetzt. Wir haben jetzt einen neuen Vorsitzenden (Dr. Ralph Elster, CDU, Anm. d. Red.), der das aufzuklären hat. Das betrifft den Verein. Finanziell ist das Theater nicht betroffen. Aber natürlich wirft das einen Schatten auf uns. Die Sorge besteht, dass nun auch schlecht über unsere Theaterarbeit gesprochen wird. Wir müssen über unsere Leistung überzeugen, dass wir die ganze Zeit nie ein FDP-Theater gemacht ha­ben, selbständig arbeiten konnten und ein eigenständiges Profil mit zeitgenössischem, politischem Theater erarbeitet haben.

Sie sind seit 2013 Intendant, denkt man da irgendwann ans Aufhören?

Die Odyssee des Theaters, die Frage nach dem Wohin, begann eigentlich mit der Kündigung durch den Vermieter im Jahr 2005. Ich bin da mitten hineingesprungen und ich würde diese Reise schon gerne beenden. Natürlich denkt man sich oft, man hört auf, aber die jungen Leute, das Team, die Regisseure, die machen so viel Spaß und unterstützen uns und mich. Wir können uns noch verbessern.

An den Kartäuserwall ziehen Sie nicht, wohin dann?

Abwarten. Es gibt positive Gespräche zwischen einem Sponsor und der Stadt, und wir wären dann die »Nutznießer«.

»Rettet den Kapitalismus!«

ab 30.12., Theater der Keller in der TanzFaktur