Alles eine Frage der Haltung: Kim Gordon post für die Presse

Keine Ruhe im Revier

Kim Gordon kommt nach Köln — als Malerin, nicht als Musikerin

Kim Gordon ist die Grand Dame des Indierocks. Mit Sonic Youth hat sie 30 Jahre lang das Genre und darüber hinaus die Strukturen der unabhängigen Mu­sik­industrie maßgeblich geprägt, so sehr dass die 1991er »The Year Punk Broke« Europatournee der Band rückblickend als letzter Moment eingeordnet wird, bevor die Indieszene endgültig ihre Unschuld verlor und im Windschatten des Erfolgs von Nirvana bei Plattenfirmen eine gierige Goldgräberstimmung einsetzte.

Doch man wird Kim Gordon nicht gerecht, wenn man sie auf die Mitgliedschaft bei Sonic Youth reduziert, die sich vor zehn Jahren auflösten. Zum einen ist da der beeindruckende Katalog ihrer Musikprojekte Harry Crews, Free Kitten, Body/Head oder Mirror/Dash, zum anderen ihre Zweitkarriere als Bildende Künstlerin. Und genau genommen begann sie damit.


Auf der Art Cologne war zuletzt eine deiner Arbeiten am Stand der Kölner Galerie JUBG zu sehen. Außerdem konnte man auf einem Instagram-Beitrag von dir mit der Künstlerin Jessica J. Hutchins und ihrer Tochter im Hintergrund einige neuere Arbeiten erspähen. Werden wir diese in der Kölner Ausstellung sehen?

Eines dieser Gemälde — und ein anderes, ein viel größeres. Zusätzlich wird es auch eine Audio-Komponente geben. Die rosa Bilder, die man im Post sieht, sind ziemlich neu. Es ist eine Herausforderung, rosa Bilder zu malen. Ich habe versucht, figurative Bilder zu übermalen, um sie abstrakt werden zu lassen.

Wer sich auch nur ein bisschen mit der Historie von Sonic Youth beschäftigt hat, der weiß um deinen Background als Bildende Künstlerin. Nach dem Studium am Otis College for Art and Design Kunst hast du ab Anfang der 1980er-Jahre für das amerikanische Kunstmagazin Artforum Ausstellungskritiken verfasst und 1981 in der New Yorker Galerie White Columns deine erste Einzelausstellung gezeigt. Du warst perfekt positioniert für eine Karriere in der Kunstwelt — dann trafst du Lee Ranaldo und Thurston Moore und und ihr habt Sonic Youth gegründet. Fühlte sich das wie eine Entweder-oder-Situation an?

Ja, die Band hat irgendwie die Oberhand gewonnen. Ab Anfang der 90er habe ich wieder angefangen zu malen, wobei ich erst ab 2000 das Gefühl hatte, es mir selbst schuldig zu sein, wieder eine künstlerische Karriere anzustreben. Ich habe mich jedoch immer als Künstlerin empfunden, die auch Musik macht. Das hat mich mehr interessiert als Kommentare zur Populärkultur von Außen zu geben. In einer Band zu sein, bedeutete selbst Teil der populären Kultur zu sein — auch wenn wir nicht so populär waren, wir waren Subkultur!

Nun, Sonic Youth haben auf jeden Fall eine bedeutende Position eingenommen.

Okay, ja, es hat sich ein bisschen entwickelt… Ich habe mich immer eher als Künstlerin empfunden und als eine Art Außenseiterin in der Musikwelt. Ich hatte keine Ausbildung als Musikerin. Ein Teil meines Vokabulars beim Musizieren war eigentlich der Versuch, nicht besser spielen zu lernen. Es ging darum, zu versuchen, eine schlechte Musikerin oder eine Nicht-Musikerin zu sein. Das Einzige, was sich für mich in der Musik natürlich anfühlt, ist im Grunde die Improvisation. Die Bilder, die ich male, sind etwas Ähnliches. Ich mache auch andere Dinge im Kunsthandwerk, die vielleicht konzeptioneller sind, aber bei diesen Bildern geht es darum ... keine schlechte Malerin zu sein, sondern zu versuchen, nicht gut zu malen.

Kannst du den Punkt rückblickend ausmachen, wo die Sehnsucht nach der Praxis als Bildende Künstlerin wieder aufkam?

Ich hatte das Gefühl, dass ich es mir selbst schuldig bin. Ich wollte schon immer Künstlerin werden, seit ich klein war — was so ein Klischee ist, aber es ist wahr. Ich besuchte eine Schule in Los Angeles, auf der es darum ging, die Dinge durch praktische Arbeit selbst zu erlernen. Was auch immer wir studiert haben, wir haben Dinge gebastelt, viel gespielt und dargestellt. Ich glaube, das hat mich sehr beeinflusst. Ich habe so um 1981 herum in einer Galerie gearbeitet und irgendwie hat das in mir Aversionen gegen die Kunstwelt ausgelöst. Die Musik ist für mich zu einer Art Fluchtzone geworden.  

Bereitet man sich unterschiedlich auf Ausstellungen vor, wenn man weiß, dass die Besu­cher eher aus dem Musikmilieu kommen? Du hast mal erwähnt, dass du diesmal auch eine Soundarbeit für die Ausstellung produzierst, das machst du nicht immer.

Es ist eine Art Hör­stück, es gibt keine Musik oder Geräusche außer meiner Stimme. Kürzlich stellte ich eine Installation in der Reena Spaulings Gallery in L.A. aus mit dem Titel »The Pitch«, die auch einen Teil aus gesprochenem Wort und geschriebenem Text enthielt. Ich dachte, dass es sich bei JUBG um eine Galerie handelt, in der Musiker:innen ausstellen, also sollte ich einen Soundbeitrag produzieren.

Inwieweit ähneln und unterscheiden sich die persönlichen künstlerischen Prozesse für dich, wenn du an neuer Musik und neuen Bildern arbeitest? Suchst du ähnliche Orte dafür auf?

Musik ist in gewisser Weise viel einfacher, weil ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken. Ich bin da ziemlich körperlich drin. Da ist viel Unterbewusstsein dabei, weil ich nichts darüber weiß. Bei der Kunst ist es hingegen schwieriger. Es ist schwer, die Stimmen aus dem Kopf zu bekommen, sich zu lösen und seinen Instinkten zu folgen.

Wenn ich mir das bisherige Programm von JUBG anschaue, so überwiegen die männlichen Künstler. Bis dato springen die Namen Lena Willikens & Sarah Szczesny, die im vergangenen Sommer dort ausgestellt haben, sehr hervor zwischen Peter Brötzmann, Markus Oehlen oder aktuell Matthias und Aksel Schaufler. Man spürt jedoch wie sehr die Betreiber es sich zur Aufgabe gestellt haben, dies zu ändern. Wie handhabst du das Thema, sprichst du solche Konstellationen aktiv an? Ist das Verändern der Gender-Metrik Teil deiner Agenda?

Ganz und gar nicht. Das war nicht mein Weg zur Musik, im Gegenteil: Dan Graham schrieb damals diese Artikel über The Slits und Feminismus und die Stimmen der Frauen. Einige Leute waren beleidigt und dachten, dass das, was er schrieb, sexistisch wäre. Meine Art der Rebellion darauf zu reagieren war: Ich werde über Männer in der Musik schreiben. Der erste Beitrag, den ich je verfasst habe, hatte die Headline »Trash, Drugs and Male Bonding« und war eine kurze Beschreibung von Rhys Chatham, der damals mit seinem Gitarrentrio Musik machte. Im West Village gab es einen Club namens »Locker Room«, der in der schwulen Gemeinde sehr beliebt war. Es war fast schon ein Ritual, dass sie Drogen nahmen und dann anfingen zu den Gitarren zu tanzen. Ich fand das saukomisch. Ich mochte sie. Ich wollte jedoch nicht nur eine Voyeurin sein, ich wollte wirklich dabei sein — ich interessierte mich ernsthaft für männliche Beziehungen. Es wurde damals noch nicht viel über Maskulinität geschrieben, außer in der schwulen Welt. Ich war daran konzeptionell interessiert, war aber zugleich  mittendrin, ich war ja in einer Band mit Jungs. Im Grunde genommen war ich immer eine Art Tomboy. Ich habe also nicht wirklich viel darüber nachgedacht... aber als ich dann anfing, Texte zu schreiben, hatte ich das Gefühl, dass es als Frau eine Menge Material gibt, das noch nicht bearbeitet wird — Popmusik handelt ja meistens von Liebesliedern. Als wir mit Sonic Youth bei einem großen Label unterschrieben, forderte mich diese Plattform zu konfrontativeren Texten quasi auf. Just als wir den Plattenvertrag unterschrieben hatten, wurde dieser wichtige A&R-Typ wegen sexueller Belästigung seiner Sekretärin »metoo-ed«, also schrieb ich einen Song darüber. Und dann war da noch »Tunic (Song for Karen)«, der von Karen Carpenter handelt. Sie war der Inbegriff der amerikanischen Frau im Sinne des — Achtung, Anführungszeichen! — »DNA-Wunsches«, allen zu gefallen. Sie hatte das Gefühl, dass die einzige Kontrolle, die sie hatte, die über ihren Körper war. Also entschied sie sich im Grunde dafür, ihn verschwinden zu lassen. Frauen benutzen ihren Körper, das ist ihr Revier. Nun, mittlerweile machen das auch Männer.

Für mich war dein 2019 veröffentlichtes Soloalbum »No Home Record« eines der wichtigsten Alben der jüngeren Vergangenheit. In den Songs und den zugehörigen Videoclips kommentierst du die aktuellen Situation in Amerika. Du übst Kritik an Internet-Unternehmen wie Airbnb, wirfst auch einen schonungslosen Blick auf die traurigen Verhältnisse deines Heimatlandes, wo auf den Straßen Obdachlosigkeit und Drogen massiv präsent sind.

Ich interessiere mich für Immobilien, das war schon immer so. Ich bin da sehr von Leuten wie dem Architekten und Konzeptkünstler John Light und dem Künstler Dan Graham beeinflusst worden — wir fuhren immer zu diesen Musterhaussiedlungen. Mein Vater war ein Soziologe, das spielt hier sicherlich auch rein. Diese Umgebungen, ein Unternehmen wie Airbnb, dieses ganze Branding drum herum ist faszinierend. Die Gestaltung dieser Räume hat nicht wirklich etwas damit zu tun, wie die Menschen leben, aber sie bietet ihnen die Möglichkeit, dem eigenen Leben zu entfliehen und sich vielleicht neu zu erfinden. Im krassen Gegensatz dazu die Obdachlosenproblematik: Die Kluft zwischen den Menschen, die ein Haus besitzen können, und den Menschen, die nichts haben, sie wird immer größer. Ich habe gerade diesen Artikel über eine Ausstellung in München gelesen, bei der Architekten in einem Wettbewerb Modelle für Gebäude für Obdachlose vorstellten; wie schön das aussehen kann, wie eine Luxus-Eigentumswohnung der Oberklasse. Ich habe mich immer gefragt, warum es nicht mehr Interesse daran gibt, Architekten dazu zu bringen, das zu tun. Warum ist das so schwer?

Nun, das Land ist nicht auf der Idee aufgebaut, Menschen zu helfen, die eine Lebenskrise haben, die in einer Situation sind, in der sie die Kontrolle verloren haben.

Es begann mit Ronald Reagan, der unser soziales Sicherheitsnetz abgeschafft hat und psychiatrischen Einrichtungen schließen ließ — nicht dass diese toll gewesen wären, aber die Menschen landeten danach auf der Straße. Lange Zeit waren dies die Obdachlosen, jetzt sind es vor allem Leute, die sich die Miete nicht mehr leisten können.

Ich stelle dir diese politisch aufgeladenen Fragen nicht zuletzt, da ich deinen Instagram-Account verfolge und es zu schätzen weiß, dass du dich explizit politisch äußerst. Gerade während des Wahlkampfes hast du sehr pointiert gepostet. Gehört es zu deinem Selbstanspruch als Künstlerin, dich zu den dich bewegenden gesellschaftlichen Fragen zu äußern und so die Fans positiv zu stimulieren?

Weißt du, Bernie Sanders war unglaublich inspirierend. Einer der wirklich authentischen Politiker, der seit Jahren die gleichen Dinge sagt. Es fühlte sich wirklich großartig an ... Ich habe ein paar Dinge auf dem Campus für ihn getan, im Vergleich zu anderen Leuten habe ich nur wenig gemacht. Aber ja, ich habe meine Instagram-Plattform manchmal benutzt — und das stört einige Leute, sie wollen nicht, dass man politisch ist, sie wollen nur, dass man die eine Sache tut, die man tut. Jetzt fühle ich mich apathisch, im Grunde hoffnungslos.

Ab dem 14. Januar stellt Kim Gordon in der Kölner Galerie JUBG aus
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