Peter Ustinov als Hercule Poirot: Hauptsache, Schnurrbart!

Agatha Christie auf der Spur

John Guillermins Version von »Tod auf dem Nil« wird wiederaufgeführt, Kenneth Branaghs neue Adaption folgt im Februar

Die 1976 verstorbene Krimiautorin Agatha Christie konnte einem Kinobesuch zeitlebens nichts abgewinnen. Auch mochte sie weder Schallplattenspieler noch Fernsehen oder Radio. Obwohl sie für Letzteres gelegentlich Hörspiele verfasste, zählte sie diese Medien eher zu lästigen Lärmquellen. Zumindest war sie jedoch in den Anfängen des Fernsehens neugierig genug, eines ihrer Stücke dafür umzuschreiben. Allein dem Kino verweigerte sie sich vollständig — im Gegensatz zu ihrem erfolgreichen britischen Kollegen. Edgar Wallace hatte nicht nur eine eigene Firma für die Adaptionen seiner Werke gegründet, sondern auch zweimal Regie geführt.

Christie machte einen Unterschied zwischen dem Besuch eines Lichtspieltheaters und dem Medi­­um Film. Das legen jene Filme nahe, die Christie für den — mehr privaten als offiziellen — wissenschaftlichen Gebrauch selbst gedreht hat. Dokumentationen der Ausgrabungsarbeiten ihres Gatten Max Mallowan, eine bedeutende Persönlichkeit der britischen Altorientalistik. Ob die Regisseure John Guillermin und Kenneth Branagh von diesen Aufnahmen wussten, als sie sich an ihre jeweilige »Tod auf dem Nil«-Adaption (1978 und 2022) wagten? Branagh sollte davon gehört haben, wurde doch seit ihrer ersten größeren öffentlichen Präsentation in den späten 1990er Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass man einiges in diesen Filmbildern sehen könne, worüber Agatha Christie auch schrieb.

Wie Chris Petit bei den Vorbereitungen zu seinem brillanten Fernsehspiel »Agatha Christie’s Miss Marple: A Caribbean Mystery« (1989) herausfand: Die Beschäftigung mit den Entstehungsgeschichten der Romane und generell den Umständen des Lebens von Agatha Christie lohnt sich, wenn man eines ihrer Werke adaptieren will — und die Filme gehören nun mal zu ihrem Leben dazu. Petit hatte zum Beispiel das Hotel auf Barbados aufgesucht, in dem das Ehepaar Christie-Mallowan bei einem Besuch ihres Freundes und Kollegen John Cruikshank Rose abgestiegen war, und fand nicht nur sehr viele Details wieder, die Christie in ihren Büchern beschreibt, sondern sogar so etwas wie ihre Erzählperspektive in Gestalt des Frühstückstisches, von dem aus sie die Vorgänge im Raum beobachten konnte.

Christie wiederum zog Parallelen zwischen detektivischer Arbeit und Archäologie. Im Roman »Tod auf dem Nil« von 1937, der den Filmen Guillemins und Branaghs zugrunde liegt, beschreibt Christies Hauptfigur Hercule Poirot seine Sicht auf eine archäologische Expedition und ein aus der Erde befreites Ausgrabungsstück — ein Objekt, das von allen Ablagerungen losgelöst die Wahrheit offenbare, nach der auch er als Ermittler strebe. Christie selbst löste mit der Geduld und Umsicht ihrer erfundenen Spürnasen mal ein archäolo­gisches Rätsel: Aus hunderten von Splittern, die ihr Ehemann bei Ausgrabungen auf dem Gebiet der altorientalischen Stadt Kalhu gefunden hatte, setzte sie eine Gruppe von Keilschrifttafeln zusammen.

Das Kleinteilige und das geduldige Zusammensetzen einzelner Teile dürften Agatha Christie am Filmemachen interessiert haben. Doch als soziale, hektische und laute Betätigung behagte es der zur Zurückgezogenheit tendierenden Schriftstellerin überhaupt nicht. Der Freundin des Landlebens und der Rosenzucht dürfte das Kino auch etwas zu ­städtisch gewesen sein. Christie hat sich zudem selten sonderlich positiv zu den Verfilmungen ihrer Werke geäußert, aber oft genug ihren Unmut bekundet. Kleinig­keiten genügten, um Christies ­Kritik zu provozieren, wie etwa die kurze Nacktszene am Ende von Sidney Gilliats morbid-neurotischem »Mord nach Maß« aus dem Jahr 1972.

Am berühmtesten ist wohl ihre tiefe Abneigung gegenüber der ersten Miss Marple-Interpretation in George Pollocks »Murder, She Said — 16.50 Uhr ab Paddington« (1961) und den drei weiteren Miss Marple-Filmen bis 1964. Die Figur, die Pollock für das Komödientalent Margaret Rutherford kreierte, ist das Gegenteil von Christies Kreation, der wohl niemand näherkam als Joan Hickson zwischen 1984 und 1992 in der TV-Serie »Miss Marple«. Viele hatten Rutherford als Miss Marple gesehen, bevor sie den ersten Christie-Roman lasen, was fast unweigerlich zu Enttäuschungen führte. Ein Problem, das sich bei Hercule Poirot nie stellte: Egal ob Albert Finney in »Mord im Orient Express« (1974) oder Peter Ustinov im bereits erwähnten ersten »Tod auf dem Nil« — es passte, solange der Schnurrbart, die etwas rigide Haltung sowie die manchmal schwer erträgliche Arroganz präsent waren. Tony Randalls Poirot in »Die Morde des Herrn ABC« (1965) wiederum ist im Prinzip genauso Swinging-London-Pop wie Rutherfords Miss Marple. Den Ur-Poirot der 1930er Jahre, Austin Trevor, dürfte heute sicher kaum noch jemand vor Augen haben, da die Filme mit ihm fast nie zu sehen sind.

Da Christie auch nicht sonderlich begeistert davon war, wenn man einen Poirot- zum Miss-Marple-Fall umschrieb, fragt man sich, wie sie Pascal Thomas’ »Crime Is Our Business« (2008) oder die zweite Staffel von »Les Petits Meurtres d’Agatha Christie« (2013-20) kommentiert hätte. Dafür wurden Marple und Poirot auf eine leger-flotte Tommy & Tuppence-Dynamik umgearbeitet, inspiriert durch den massiven Erfolg von Thomas’ herrlicher Christie-Verfilmung »By the Pricking of my Thumbs« (2005), die in der Tat auf einem späten Tommy & Tuppence-Roman basiert. Man sollte sich sowieso von der Autorinnenmeinung nur bedingt beeindrucken lassen — Werke führen schließlich ein Eigenleben. Schon okay also, wenn Kenneth Branagh Agatha Christie nun mit Hilfe von Charles Dickens umin­terpretiert.

(Death on the Nile) GB 1978, R: John Guillermin, D: Peter Ustinov, Mia Farrow, David Niven, 134 Min.