Grüße nicht nur zum Abschied: Hannes Wader, Foto: Königs

Großer Findling

Hannes Wader meldet sich mit dem Album »Poetenweg« zurück

Bewegendes Album. Hannes Wader hatte am 30. November 2017 sein Abschiedskonzert gegeben. Da war es schon 75 Jahre, fühlte sich alt und müde, fünf Jahrzehnte als Liedermacher lagen hinter ihm. In diesen langen Jahren ist der Bielefelder zum Inventar (nicht nur) der alten Bundesrepublik avanciert: Wer auch immer an Protestmusik dachte, an traditionelles Liedgut und Arbeiterlieder, an Blues deutscher Zunge und Folk — der Name Wader musste fallen. Da spielt es eigentlich keine Rolle, ob Wader noch aktiv am Musikgeschehen teilnimmt oder nicht. Seine Lieder  sind auf mehren Dutzend Alben versammelt, die haben Bestand.

Aber Wader ist zurück. Eigentlich nur, um sich zu bedanken: In seiner Heimat am Teutoburger Wald haben Freunde einen gro­­ßen Findling nach ihm benannt, ­»Hannes Wader Aue« lautet die Inschrift, was Wader tief bewegt hat. Also lud er im gerade vergangenen September in die Deppendorfer Wassermühle zu Konzert und Lesung, spielte Songs, die ihn begleitet haben und die er der Vergessenheit entreißen möchte, las zwischen den Stücken aus seiner 2019 erschienenen Autobiographie »Trotz Alledem«. Die feste Bariton-Stimme Waders  zu hören, tut gut, sie ruht in sich und beansprucht keine herrische Autorität. Er verhaspelt sich auch mal, was für ihn spricht. Er ist immer noch ein Suchender.

Kindheitserinnerungen, Traditionals und besinnliche Liedkunst, ein bisschen Arbeiterkampf — das alles gäbe genug Material her für den Eskapismus »zwischen den Jahren«. Aber wenn es etwas gibt, dem Wader entfliehen möchte, dann sind es die Oberflächlichkeiten bestimmter Stimmungen: Nostalgie und Melancholie sind nicht seine Sache, gegen Larmoyanz und Behaglichkeit pflegt er seine Aversionen — zu recht. Der Weg zu sich selbst führt über nüchterne Einsichten. So sind sind Kindheitserinnerungen durchsetzt von Faschismus, Krieg und Not, die restaurative Stimmung der 50er Jahre.

Wader agitiert schon lange nicht mehr, er erzählt und benennt die Dinge klar und einfach. Ein musikalisches Beispiel: Er spielt »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«, ein Stück, das noch immer zum Abschluss eines jeden SPD-Parteitags gespielt wird. Wader erinnert daran, dass es ein russisches Lied ist und rückt es damit in die Vorgeschichte der russischen Revolution von 1917, die seit jeher von der Sozialdemokratie gehasst und denunziert wurde. Waders Statement: Er singt die Strophen abwechselnd deutsch und russsisch.

Für den nächsten Juni, zu Waders 80. Geburtstag, ist ein Studio-Album angekündigt, auch mit neuen Stücken. Wer einmal gut erzählen konnte, wird dies nie wieder ganz verlernen. So endet das musikalische Jahre 2021 doch noch versöhnlich, ein bisschen.

Tonträger: Hannes Wader, ­»Poetenweg« (Stockfisch-Reords / In-Akustik)