Alles, nur nicht konform: Kollektiv Chim¦Pom, Foto: Seiha Yamaguchi

Subversion im Koffer

Zeitgenössische Kunst aus Japan protestiert gegen Ungleichheit

Die japanische Gesellschaft gilt bis heute als relativ homogen und wenig aufmüpfig. Auf das Kaiserreich folgten ab 1945 sieben Jahre amerikanische Besatzung, die Japan zu einem Bollwerk westlicher Werte in Südostasien machten, dem Land aber zugleich seinen Kaiser ließen. Künstler*innen, die in den 60er Jahren in dieses Klima hinein mit öffentlichen Aktionen provozierten, müssen in einer Gesellschaft, in der Individualismus kleingeschrieben wurde, umso mehr ­schockiert haben.

Dass diese dissidente Kunstszene Japans existierte und bis heute jüngere Generationen von Künstler*innen inspiriert, führt das Museum Ludwig mit der siebten Ausstellung seiner Reihe »HIER UND JETZT« vor Augen. Fotografisch festgehalten wurde unter anderem das Tokioter »Dropping Event« des Künstlerkollektivs Hi-Red Center: Vom Dach eines Hochhauses werfen die Akteur*innen Habseligkeiten, die aus den Wohnungen ehemaliger Bewohner stammen und am Ende in einem Koffer an eine zufällige Person geschickt werden. Aufmerksam machen wollte man damit auf die sozial unverträglichen städtebau­lichen Maßnahmen im Vorfeld der Olympischen Spiele 1964. Themen anderer Aktionen, denen die künstlerische Avantgarde öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte, waren die Verwestlichung Japans und großstädtische Entfremdung.

In der Ausstellung mit dem Untertitel »zusammen dafür und dagegen« werden diesem kunsthistorischen Rückblick (Fotos u.a. mit Yoko Ono) zwei aktuelle Positionen hinzugefügt. Koki Tanakas Multimedia-Installation »Abstracted/Family« bricht das homogene (Selbst-)Bild der Japaner auf, dem auch Minderheiten gerecht zu werden versuchen. (Man beachte dazu die aktuelle Ausstellung über die Ainu aus dem Norden Japans im Rautenstrauch-Joest-Museum.) Das Kollektiv ChimPom entwickelte aus dem Museum heraus eine mehr­teilige Installation, die lebhaft die Idee einer sich nach außen für alle gesellschaftlichen Gruppen öffnenden Kulturstätte vertritt. Wenn Straßenmusiker und FC-Fußballerinnen in den Museumsräumen auftreten und Hans Haackes »Pralinenmeister« in einer türkischen Bäckerei in der Keupstraße die Brötchentüten ziert, ist das nicht radikal, aber doch augenöffnend.

Museum Ludwig, Di–So 10–18 Uhr, erster Do im Monat 10–22 Uhr, bis 13.2.22