Wenig divers und kompromissbereit: Was dem Stadtrat fehlt, soll der Bürgerrat bringen. Foto: Tom Zelger

Pilotprojekt sucht Flughöhe

In Köln soll es bald zufällig ausgeloste Bürgerräte geben. Doch deren ­Umsetzung wird schwierig

Seit dieser Ratsperiode hat das Gremium, in dem Kölner ihre Anliegen an die Politik herantragen können, einen neuen Namen. Aus dem »Ausschuss für Anregungen und Beschwerden« wurde der »Ausschuss für Bürgerbeteiligung, Anregungen und Beschwerden«. »Ich werde oft angesprochen: Du bist doch vom Beschwerdeausschuss. Dann sage ich: Nein, ich bin vom Bürgerbeteiligungsausschuss«, sagt Max Derichsweiler und lacht. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Vorsitzender des Ausschusses, möchte Bürgerbeteiligung nicht nur im Titel des Ausschusses nach vorne rücken. Helfen sollen dabei sogenannte Bürgerräte.

Darin versammeln sich Menschen, die per Los ermittelt werden. Sie geben Empfehlungen zu politischen Fragen ab. Wann und zu welchen Themen und wie verbindliche ihre Ratschläge sind — das ist unterschiedlich. Bürgerräte sind ein Trend. In mehr als 50 deutschen Städten sind sie jüngst eingerichtet worden. In diesem Jahr soll Köln folgen: Grüne, CDU und Volt hatten sich in ihrer Bündnisvereinbarung dafür ausgesprochen. Zudem erklärte der Beirat Öffentlichkeitsbeteiligung, ein Gremium mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft, im Dezember in einem Positionspapier, wie Bürgerräte in Köln ­umgesetzt werden könnten.

»Die Politik ist aufgefordert, sich zum Thema zu positionieren«, sagt Derichsweiler. Das Ratsbündnis wird Ende Januar im Bürgerbeteiligungsausschuss vorschlagen, noch dieses Jahr ein Pilotprojekt durchzuführen. Im städtischen Haushalt sind dafür 50.000 Euro vorgesehen. »Wir brauchen eine breite politische Willensbekundung und die Verwaltung einen klaren Auftrag zur Konzepterstellung.« Die Frage wird nicht sein, ob Bürgerräte in Köln entstehen, sondern wie sie durchgeführt werden. »Eine Herausforderung wird die Flughöhe des jeweiligen Themas «, so Derichsweiler. Ist die zu hoch, könne ein Thema einen Bürgerrat überfordern. Wäre die Flughöhe zu niedrig, werde das Verfahren zu kleinteilig. »Man muss nicht für jede Straßenkreuzung einen Bürgerrat einrichten«, so Derichsweiler. Ein weiterer Punkt ist — das haben Bürgerräte mit allen Formaten der Bürgerbeteiligung gemeinsam — das Erwartungsmanagement: Es müsse von vornherein klar sein, betont der Grünen-Politiker, was mit Ergebnissen eines Bürgerrats passiert. »Bürgerräte treffen nicht die Entscheidung. Die Hoheit der Politik bleibt. Aber Politik muss die Empfehlungen von Bürgerräten ernst nehmen.«

Thomas Leszke und Nicolin Gabrysch vom »Zukunftsrat« befürworten den Vorstoß der ­Politik. Die Initiative setzt sich für die Einrichtung von Bürgerräten in Köln ein. »Bürgerräte weisen eine größere Diversität auf als Gremien in der gewählten Politik«, sagt ­Leszke. Bürger, die ausgelost werden, brächten keine vorgefertigte Agenda mit und seien offener für Kompromisse. »Politik ist ja oft das Aufeinanderprallen vorgefertigter Interessen.« Leszke sieht den Zukunftsrat als kritischen Begleiter. Auf Konfrontation möchte man nicht gehen: »Wir möchten realistische Bürgerrat-Formate, die von Politik und Verwaltung mitgetragen werden«, sagt Leszke. Nur dann seien Bürgerräte überhaupt zielführend.

Nicolin Gabrysch, die auch für die Klima Freunde im Stadtrat sitzt, sagt aber auch: »Es gibt Diskrepanzen zwischen unseren Vorstellungen und dem Positionspapier.« Sie hält etwa einen Top-down-Ansatz bei der Themenfindung für kontraproduktiv: »Dass Politik entscheidet, über was Bürgerräte diskutieren dürfen, wäre das Gegenteil von dem, was man erreichen will.« Leszke spricht sich zudem für das »aufsuchende Losverfahren« aus, bei dem möglichst viele der ausgelosten Menschen, die zunächst nicht reagiert haben, erneut kontaktiert werden. »Wenn zu viele Leute, die eigentlich dabei sein sollten, nicht dabei sind, geht die Diversität verloren.« Wichtiger aber sei zunächst, erklärt ­Leszke, das Vertrauen in Bürgerräte zu stärken. »Das funktioniert nur, indem man ­Bürgerräte einfach mal stattfinden lässt.«

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