Die Omikron-Welle rollt, aber ohne Luftfilter: Klassenraum in der Pandemie, Foto: Pixabay, © Pexels Pavel

»Hunger ist ein echtes ­Problem geworden«

Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Stadtteilen trifft die Omikron-Welle besonders hart

 »Viele Kids haben Ängste. Jetzt wissen sie ja, was ein Lockdown bedeutet und wie stark sie von den Einschränkungen betroffen sind«, sagt Phillip Neuhaus, während er auf dem großen Außengelände des Kinder- und Jugendzentrums Glashütte in Porz steht. Hinter ihm ragen die Hochhäuser der Papageiensiedlung auf, die als sozialer Brennpunkt gilt. Derzeit hält die Politik trotz steigender Infektionszahlen an offenen Jugendeinrichtungen und Schulen fest, es mehren sich aber die Sorgen, dass es doch zu Schließungen kommt. »Das wäre eine Katastrophe für unsere Kids«, sagt der Sozialarbeiter, der die meisten der 120 Kinder und Jugendlichen, die die Einrichtung regelmäßig besuchen, seit Jahren kennt. »Ich hoffe, wir können so lange wie möglich offen bleiben, aber nicht um jeden Preis.«

In der Glashütte bekommen die Kinder nicht nur ein kostenloses Mittagessen, sondern auch Unterstützung bei den Hausaufgaben, können an HipHop-Videoprojekten mit Rapper »Tatwaffe« teilnehmen oder im Gartenworkshop lernen, wie man sich gesund ernährt. Einmal die Woche treffen sie sich zum Kinder- und Jugendforum, diskutieren über aktuelle Themen und erfahren, was politische Partizipation bedeutet. »Das sind ja keine Fridays-for-Future-Kids.« Derzeit besprechen sie den Bähner-Prozess (vgl. S. 13) . »Das geht unseren Kids sehr nah«, sagt Neuhaus, der im Prozess einen der Zeugen betreut hat.

Dass Schulschließungen auf Kinder und Jugendliche teilweise gravierende physische und psy­chische Folgen hatten, ist durch verschiedene Studien belegt: Essstörungen, Bewegungsmangel, Spielsucht bis hin zu einem Anstieg von Depressionen, häuslicher Gewalt und Suizidversuchen. Nicht nur Kinderärzte, auch Bildungsforscher schlagen Alarm: Je öfter sich die Schließungen wiederholen, umso gravierender sind die negativen Auswirkungen auf Sozialverhalten und Lebensgefühl, aber auch auf Bildungs- und Berufschancen — vor allem bei Kindern mit prekärem sozioökonomischem Hintergrund.

»Unsere Kids waren größtenteils nicht in der Lage am Distanzlernen teilzunehmen«, fasst Neuhaus zusammen. Die Probleme summierten sich: schlechte Internetverbindung, fehlende Endgeräte, keine fachliche Unterstützung, beengte Wohnverhältnisse. Wie soll Homeschooling funktionieren, wenn noch drei Geschwister im Raum herum springen? »Das mag woanders klappen. Hier sind die Kids aufgeschmissen.« Um sie zu unterstützen, haben sich die Sozialarbeiter während des Lockdowns ins Zeug gelegt: Hausaufgaben-Betreuung im Hof, »Talk am Zaun« des Jugendzentrums, soziale Netzwerke bespielen, Essen verteilen. »Hunger ist ein echtes Problem geworden«, so Neuhaus.

Vor allem die zunehmende Chancenungleichheit macht dem Sozialarbeiter Sorgen. »Ich hätte ein Corona-Schuljahr für alle gut gefunden. Dann hätten unsere Kids ansatzweise die Chance gehabt, mitzukommen. So werden die Lücken und der Frust darüber immer größer.« Was passiert mit »seinen Kids«, wenn es wieder zu Schließungen kommt? »Ich will es mir gar nicht vorstellen«, antwortet Neuhaus. Er warnt vor den langfristigen Folgen. »Auf die Welle der Jugendlichen mit Corona-Knick, die in ein paar Jahren kommt, sind wir als Gesellschaft nicht vorbereitet.«

Jochen Ott, der als schulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion seinem Wahlbezirk Porz verbunden ist, sieht Schulschließungen ebenfalls kritisch: »Alle Kinder leiden. Aber die aus Porz, Chorweiler oder dem Kölnberg könnten wir verlieren!« Seit Monaten fordert er, Schulen zur kritischen Infrastruktur zu zählen, sie mit sicheren und kreativen Konzepten offen zu halten und einen Notfallplan auszuarbeiten. Dass das Schulministerium neuerdings den Begriff als reine Worthülse benutzt, ärgert ihn. »Man muss auch Maßnahmen daraus ableiten und nicht so tun, als ob alles normal wäre!«

So warten die meisten Kölner Schulen noch immer auf die Luftfilter, die die Ansteckungsgefahr in den Klassenräumen reduzieren könnten. Bislang wurden nur 300 Geräte geliefert, beantragt wurden 4700. Im September hatte die Stadt in Eigenregie eine Ausschreibung gestartet, weil nach den strengen Richtlinien der Landesförderung nur 108 Kölner Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet werden konnten. Die Angebote liegen der Stadt seit Oktober vor — eine Entscheidung, wer den Zuschlag erhält, wurde noch nicht getroffen.