Mina: Eine Metapher zieht sich durch ihr Leben

Ballade von der weißen Kuh

Maryam Moghaddams und Behtash Sanaeehas Drama über Todesstrafe im Iran

Am Anfang steht ein rätselhaftes Bild. Man sieht eine weiße Kuh in einem Gefängnishof, an den Wänden sind Menschen aufgereiht. Links Männer, rechts Frauen. Stimmengewirr. Dazu ein Koran-Zitat aus der Sure al-Baqara: »Und denket daran, als Moses zu seinem Volke sprach: ›Allah befiehlt euch, eine Kuh zu schlachten.‹ Da sagten sie: ›Treibst du Spott mit uns?‹« Die Kuh-Metapher wird sich durch den ganzen Film ziehen. »Ballade von der weißen Kuh« erscheint jedoch alles andere als überhöht oder fabulierend, sondern erzählt realistisch, klar und schneidend von einem sehr gegenwärtigen Drama.

Es sind unerträgliche Worte, die Mina (Maryam Moghaddam) hören muss und die ihren Schmerz erneut aufflammen lassen. Die junge Witwe sitzt vor einem Beamten, ihr Mann war vor einem Jahr hingerichtet worden, für eine Tat, die er nicht begangen hat. Ein Justizirrtum, der wahre Täter hat sich inzwischen gestellt. »Es war Gottes Wille«, wird ihr vom Beamten lapidar gesagt, und Mina bricht zusammen. Eine finanzielle ­Entschädigung soll ihr über den Verlust hinweghelfen und das Leben Minas sowie ihrer gehörlosen Tochter, der siebenjährigen Bita (Avin Poor Raoufi), ein wenig erleichtern. 270 Millionen Toman, umgerechnet keine 6000 Euro, ist den staatlichen Behörden die Abfindung für den Tod des Mannes wert. Mina lässt sich nicht unterkriegen, nimmt den Kampf gegen ein System auf, das auf Gehorsam und Unterdrückung basiert und Widerstand nicht ­duldet, schon gar nicht von einer Frau. Als alleinstehende Mutter, die mit ihrer Arbeit in einer Milchfabrik gerade so über die Runden kommt, wird sie bald von allen Seiten gegängelt und in ihrer Freiheit und ihrem Handeln eingeschränkt. Der Bruder des Toten will sie bevormunden, der Schwiegervater gar das Sorgerecht für die kleine Bita erlangen. Schließlich verliert sie ihre Wohnung und muss erkennen, dass sie ohne Mann auf dem iranischen Mietmarkt kaum etwas wert ist. Doch sie kämpft resolut allein gegen die Willkür — um den Schmerz zu ­lindern und die Ehre ihres geliebten Mannes wiederherzustellen.

Da taucht Reza (Alireza Sanifar) auf. Er steht eines Tages vor der Tür und stellt sich als alter Freund ihres Mannes vor. Der habe ihm vor Jahren Geld geliehen, das er nun zurückzahlen wolle. Fortan steht Reza Mina bei, verschafft ihr eine neue Wohnung, kümmert sich um die Formalitäten der Klage. Nach vorsichtigem Zögern nimmt Mina die Hilfe bald dankbar an. Lange ahnt sie nicht, anders als das Publikum, warum Reza sich so gut mit Dingen der Justiz auskennt. Er war der Richter, der das Todesurteil gegen ihren Mann gefällt hat. Nun treibt ihn sein schlechtes Gewissen um, also unterstützt er Mina, um seine Schuld zu sühnen. Nur eine Frage der Zeit, bis sie die wahren Beweggründe seiner Wohltätigkeit erfährt und sie vor eine schwere Prüfung gestellt wird.

Durch das Drama von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam, die auch die Hauptrolle spielt, zieht sich die besagte Metapher von der Kuh zu Beginn über Szenen von Minas Arbeitsplatz bis zu einem ein Glas vergifteter Milch am Ende. Doch das Regie-Duo macht es sich nicht zu einfach. »Ballade von der weißen Kuh« ist ein starker, erschütternder Film über die Todesstrafe, ähnlich wie »Doch das Böse gibt es nicht«, ebenfalls aus dem Iran, mit dem Mohammad Rasoulof vor zwei Jahren den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Und er ist weit mehr als ein Thesenfilm, denn diese »Ballade« fasziniert durch klug komponierte Alltagsbeobachtungen. In kleinen Gesten und Blicken eröffnet sich darin eine Welt, die sonst oft verschlossen bleibt oder nur verklausuliert dargestellt werden kann. Vor allem aber ist der Film das feinfühlige und präzise beobachtete Porträt einer Frau, die sich den Lügen und Demütigungen in einem Land entgegenstellt, in dem eine wie sie nicht vorgesehen ist. Und das wirkt wie ein kleines Wunder.

(Ghasideyeh gave sefid), IRN/F 2020, R: Maryam Moghaddam, Behtash ­Sanaeeha, D: Maryam Moghaddam, ­Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam, 105 Min.