Bald wieder unterwegs: Mike Kremer, Nils Schreiber, Simon Rösler, Max Eumann und Sven Löllgen (von links). Foto: mumpi kuenster monsterpics

Gefeiert wird im Kopf

Miljö begreifen die Karnevalsabsage als Chance

Es ist ein Blick in eine andere Welt: eine Kneipe gerammelt voll mit Leuten, die ausgelassen feiern, kostümiert sind oder auch nicht, die Stimmung ist friedlich, euphorisch. Typisch kölsch — so die Botschaft. Die Szene kann zu Karneval spielen oder an einem beliebigen Wochenende, die Nachbarschaft ist da, und wer gerade angekommen ist, gehört auch schon dazu. »Su lang die Leechter noch brenne« heißt das Lied, zu dem die Leute singen, die Band hat sich unters Publikum gemischt, hier wird das Gemeinsame, die Verwurzelung gefeiert.

Vor sechs Jahren war »Su lang die Leechter noch brenne« der erste große Hit von Miljö, weitere folgten: »Wolkeplatz«, »Kölsch statt Käsch«, »Schöckelpääd«, und im Sommer 2019 wagten die Musiker endgültig den Schritt, ausschließlich auf die Band zu setzen, und kündigten ihre Jobs. Sommer 2019? Gar nicht so lange her, aber gemessen an unseren Erfahrungen seit März 2020: unendlich weit weg.

Wir treffen Max Eumann, Bassist von Miljö, und Nils Schreiber, Gitarrist und Akkordeon-Spieler, in ihrem Proberaum in Dellbrück, freilich nur digital, denn spontane oder kurzfristig geplante Begegnungen sollte man mal wieder vermeiden. Der Rest der Band macht gerade Großputz, die Veröffentlichung eines neuen Videos steht in den nächsten Tagen an, die Vorbereitungen für die Aufnahme ihres neuen Albums, das, komplett in Eigenregie produziert, im Herbst erscheinen wird, laufen. Ansonsten? Ruhe. »Wir haben am 11.11. zehn Auftritte gespielt, auf der Bühne hat es sich ganz normal angefühlt, obwohl es kein normaler Karneval war. Für Januar und Februar waren 170 Auftritte geplant, davon werden nicht viele übrigbleiben.« 170 in zwei Monaten? Ja, bestätigt Nils, »am Wochenende jeweils sechs — mehr geht definitiv nicht. Unter der Woche sind es dann drei bis vier pro Abend, montags ist meistens frei.« Das ist die Ochsentour durch den rheinischen Sitzungskarneval: pro Auftritt 25 Minuten, dann direkt weiter zum nächsten Verein.

Verrückte Frage, aber naheliegend — wie ist denn eigentlich ihr Verhältnis zum Karneval (den sie selber so gut wie gar nicht feiern können)? »Den Stempel Karneval mögen wir als Band eigentlich gar nicht so gerne. Er reduziert unsere Musik bloß auf einen Zeitraum im Jahr. Aber wir spielen ja auch im Frühjahr und Sommer. Wir sind eine Band, bei der das Kölsche im Mittelpunkt steht, das charakterisiert uns. Wir spielen kölsche Lieder, und da geht’s auch um Themen, die nicht viel mit Karneval zu tun haben.« Und Max ergänzt: »Wir sind eine Konzertband. Im Karneval können wir gar nicht unser ganzes Repertoire zeigen. Es sind dann immer die gleichen Lieder, wir haben aber viel mehr geschrieben, spielen unterschiedliche Stile, und das wollen wir auch zeigen.«

So straff die Kopplung Köln/Karneval ist — das kölsche Lebensgefühl, wie es von Bands wie Miljö, aber auch Brings oder Lupo vertreten wird, ist natürlich größer. Daher die ambivalente Haltung der Musiker zu diesem Fest, das sie berühmt macht und ernährt, das immer auch für magische, entgrenzte Momente sorgt, aber die Musiker nun mal kreativ einengt. Miljö sind darüber hinweg: Im Sommer 2020 meldeten sie sich nach Monaten im Lockdown, in denen auch die Band stillstand, mit einem nachdenklichen, melancholischen Song zurück. Von der »Kirmes em Kopp« sang Sänger und Songschreiber Mike Kremer, von Rückzug, Einsamkeit, Sehnsucht nach Kontakt. »Das ist ein Song, der in die Corona-Zeiten passt, aber eigentlich nichts damit zu tun hat«, sagt Nils. »Das sind Themen, die Mike schon vorher beschäftigt haben.« Dennoch — die Töne waren für viele ihrer Fans neu. Zwar hat die Ballade ihren festen Platz im kölschen Liederbogen, aber in diesen Zeiten wiegen Balladen gleich doppelt schwer. Wird ihr neues Album ein Corona-Album? Nein, meint Nils, »uns ist es immer wichtig, lebensbejahend und hoffnungsvoll auf die Zeit zu blicken, sich auf die Zeit zu freuen, die noch kommt. Uns ist klar, dass ein trauriges Album von uns keiner hören will.« Aber die Leute sollen sich in ihrer Musik wiederfinden können: »Viele Texte sind bewusst mehrdeutig«, erzählt Max, »die Hörer können sie auf die Corona-Zeit beziehen, sie handeln aber auch von der Zeit davor und hoffentlich danach. Das ist was Schönes, wenn man Texte schreibt, die von den Leuten unterschiedlich interpretiert werden können, so wie es zu ihrem Leben passt.«

Miljö spielen seit zehn Jahren zusammen, die Musiker kennen sich noch länger, seit ihrer gemeinsamen Schulzeit auf der Gesamtschule Holweide. In ihren Liedern und Videos vertreten sie die Schäl Sick, wo es ein bisschen rauer und wilder zugeht und viele Veedel schon recht dörflich sind. Miljö ist es wichtig, diese Seite von Köln zu zeigen.

Vermutlich standen die Chancen, ihre etwas andere kölsche Heimat zu repräsentieren, noch nie so gut — was paradoxerweise am Karnevalsausfall liegt. Endlich kann man Miljö unbefangen als kölsche Band hören und nicht nur als Stimmungskanonen. »Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mehr Voll-Konzerte gespielt als sonst. Ich weiß, dass die Corona-Zeit für viele Bands sehr belastend ist, aber wir haben mit unseren Konzerten gute Erfahrungen gemacht. Wir haben im Autokino gespielt, in Biergärten, da waren wir die einzige Band, konnten anderthalb, zwei Stunden spielen, und das hat dem Publikum gut gefallen — uns auch«, sagt Max.

Von der ekstatischen Stimmung, von der »Su lang die Leechter noch brenne« erzählt, sind wir noch weit entfernt. Aber Miljö wollen die Unbekümmertheit zurück, wie Nils zum Abschluss erzählt: »Wir haben Melodien im Kopf. Davon gehen die Songs aus, und dann fragen wir uns, was kann man dazu mitsingen? Das ist uns wichtig, die Leute sollen bei Konzerten mitsingen. Was fühlt man, wenn man diese Musik hört?« Hoffentlich eine Feierlaune, die sich bald wieder austoben darf.

Die aktuellen Videos von Miljö sind auf ihrem Youtube-Kanal zu sehen