Bedenke, Mensch, dass du Staub bist: Frljić lässt Altarbilder singen. Foto: JU_Schauspiel Köln

My baby’s got a secret

»Projekt über den Dombau«: Oliver Frljić widmet Köln ein Worst-of der katholischen Kirche

»Ein Angriff auf die Tradition, auf die Werte, auf Kultur, auf Polen.« Politiker Jarosław Kaczyński hatte mitbekommen, wie in Oliver Frljićs Fassung von »Fluch« mit der katholischen Kirche abgerechnet wird. Auch ein tschechischer Rechtsstreit blieb lange spannend, nachdem ein Jesus auf der Bühne eine Muslima vergewaltigt hatte und eine Papststatue in Oralsex verwickelt wurde.

Für das Kölner Programmheft interviewt, sagt Frljić: »Wir werden sehen, ob sich mein Verhältnis zu dieser Institution nach dieser Produktion wieder bessern wird.« Der kirchenkritische Impuls des 45-jährigen Kroaten hat ein neues Ventil: Der Dom steht für so viel Glauben und Autorität, dass es ihn gereizt haben muss, ein bisschen in der Geschichte herumzustochern. Natürlich ist das kein klassischer Bühnenstoff. Nach Brecht und Kleist nimmt Frljić vielmehr eine Pause von der Dramaturgie für ein ganz eigenes »Projekt über den Dombau«, überschrieben mit »Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden«.

Gewiss sollte man sich nicht allzu viele Details über Bauarbeiten versprechen. Es geht um historische Personen und deren Motive, beginnend mit Dombaumeister Gerhard, der vom Teufel erpresst wird, ein Bauwerk in Angriff zu nehmen, das er für Gotteslästerung hält. Der vor Macht strotzende Rainald von Dassel schwatzt den hungernden Mailändern die Gebeine der Heiligen Drei Könige ab, um sie nach Köln zu bringen, wo ein neues Gotteshaus entstehen solle. Beide Seiten wissen wohl, dass es nur zusammengefegte Knochen sind.

Warum die Reihenfolge vertauscht wurde, ist unklar. Die Gebeine wurden 1164 zunächst in den alten, ausreichend imposanten Kölner Dom gebracht, als Meister Gerhard noch gar nicht lebte und wohl kaum jemand an einen riesigen Neubau dachte. Und wo ist Barbarossa, der Dassel die Gebeine doch als Geschenk vermachte? Mit den eigennützigen, skrupellosen Gedankengängen des Teufels und von Dassel sowie der Kompromittierung Gerhards, wird der rote Faden des Abends gelegt mit der Unreinheit aller Motive, dem Ausspielen von und Leiden unter Macht.

Napoleon (samt Ehefrau) darf gerade in so einer Parade nicht fehlen; in einer erträumten Begegnung suchen er und ein unterwürfiger Boisserée gemeinsame Nenner in Sachen Kunst, Staat und Kirche. Napoleon schätzt Religion für die öffentliche Ordnung, der seit Jahrhunderten halbfertige Dom sollte dann auch mal beendet werden. Eine dämliche Idee, aber Boisserée, vom Teufel manipuliert und von der Idee einer deutschen Nation besessen, lässt sich dafür gewinnen.

Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst: Viel Tod begegnet uns auf der Reise durch die Geschichte, über den die Kirche zu präsidieren scheint. Periodisch sind Bischöfe und ihre Anhänger beim methodischen Sensenmähen zu sehen. Ob Krieg oder Judenpogrom, die Kirche hatte ihren Anteil. Das Albtraumhafte, abseits historischer Akkuratesse, weicht allerdings mit dem Voranschreiten in besser dokumentierte Jahrhunderte einem gestreckten Mischmasch aus Farce, Vortrag, Musik und Kabarett. So stellen sich die Domglocken in einem Schönheitswettbewerb einzeln vor, bevor zwei von ihnen, die das Kriegsministerium am liebsten eingeschmolzen hätte, schaukelnd an Stahlseilen herabhängend die Bombennacht 1942 erleben. Na schön, aber gibt es nichts Entscheidenderes über das Erzbistum unter Hitler zu sagen?

Inzwischen scheint Frljić endgültig die Zeit, das Geld oder die Lust ausgegangen zu sein, was (auch wegen Corona) nicht unbedingt seine Schuld sein muss. Wenn die sieben jungen Schau­spieler*innen fast beliebig in historische Männer- und Frauenrollen hüpfen, dann manövrieren sie sich nach und nach in die Farce und kommen nicht mehr raus. Bei der Ausstattung muss Frljić sich im Wesentlichen mit einer mehrteiligen Dom-Längsfassade begnügen, mit Glasmalerei und anachronistischen Alugerüsten, die immer ­wieder herumgeschoben werden. Neben stilisierten historischen Kostümen nehmen mit Domarchitektur bedruckte Souvenir-Anzüge schließlich überhand.

Das Theater will nicht mehr, übergibt das Staffelholz an die Realität, als nach über 100 Minuten noch ein gut viertelstündiger Vortrag von Karl Haucke das Vorangegangene verblassen lässt. Hauckes Mut und Engagement sind zu bewundern, wenn er seine Erlebnisse sexuellen Missbrauchs an einem katholischen Ordensinternat schildert und den Unwillen des Erzbistums Köln, in dessen Betroffenenbeirat er gearbeitet hat, derartige Verbrechen korrekt aufzuarbeiten. Doch wenn er selber das Problem der Retraumatisierung anspricht, seit wann gehören Missbrauchsschilderungen, noch dazu als Komponente eines vorgeblichen Abends über den Dombau, vor Theaterpublikum?

Zuvor war eine Metapher für sexuelles Treiben im Klerus kurios isoliert und extrem unskandalös geblieben, als Frljić das Altarbild der Stadtpatrone Madonnas »Secret« singen und dahinter wohldosierte Lust und Nacktheit zum Vorschein kommen ließ. Das ist ein kleiner Kontrapunkt zu Zwang und Gehorsam in der Kirchengeschichte, aber eine wirkliche Lösung für das Stück fehlt.

Schauspiel Köln, 13.2., 18 Uhr