Deutsche Bank und Fledermaus

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 238

Jedes Mal lese ich um die Jahreswende diese Prognosen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Immer kommen drei Dinge vor: dass bald jeder einen 3D-Drucker zu Hause hat, dass wir bald Hightech-Brillen tragen, die mit einem Computer verbunden sind, und dass die Autos bald wie von Geisterhand gelenkt, also »automatisiert«, herumfahren. Dieses Jahr, heißt es, komme wirklich der Durchbruch, die Marktreife, der Hype. Ich glaube das nicht mehr, ich bekomme nichts davon mit. Aber vielleicht bin ich hinsichtlich der Evolution der Dinge auch nur ein Fink auf den Galapagosinseln, der nichts vom Rest der Welt mitbekommt.

Nun mögen vernünftige Argumente für oder gegen Erfindungen, heute sagt man »Neuerungen«, sprechen. Aber diese Argumente — es ist schneller, es ist bequemer, es ist einfach: neu! — haben keinen Einfluss darauf, ob diese Dinge sich verbreiten, »angenommen werden«. Ich meine, dass sich vieles rein zufällig ergibt. Dann dreht jeder einen Zauberwürfel, trägt therapeutische Sandalen oder kauft sich ein Insektenhotel. Die Evolutionstheorie der Gegenstände ist lückenhaft. Was Anklang findet, was verschmäht wird, ist rätselhaft wie das Schnabeltier.

Gesine Stabroth kannte mal eine Yogalehrerin, die hantierte mit Klangschalen, das ist es ja, was Yogalehrerinnen außer Verrenkungen machen. Als Gesine Stabroth eine Klangschale aussuchen wollte (»Nur so zur Deko! Im Winter für Nüsse!«), habe sie — also die Yogalehrerin, nicht die Klangschale — gesagt: Nicht der Mensch sucht sich die Klangschale aus, sondern die Klangschale sucht sich den Menschen aus! — Die Begründung hat Gesine Stabroth vergessen, vielleicht gab es auch keine. Ich finde diese Theorie auch ohne ­Begründung super. Der Gedanke, dass selbst scheinbar leblose Dinge in Wirklichkeit belebt sind, ist ja nicht neu. Es gibt die Rede von der »Tücke des Objekts« — man kann tatsächlich oft den Eindruck gewinnen, dass ein Staubsauger störrisch, ein Laptop faul oder Gesine Stabroths mit alten Nüssen befüllte Klangschale verärgert ist.  

Mich machen Dinge oft wütend. Neulich ertappte ich mich, wie ich einen Wassersprudler — nennt man das Dingsbums so?  — beschimpfte. Ich hatte alles so gemacht, wie es der Wassersprudler wollte, aber die Kü­che sah jetzt aus wie nach einem Starkregen. Ich war außer mir! Der Wassersprudler aber tat, als sei nichts geschehen und schwieg spöt­tisch. Es fehlte nicht viel zu einem Handgemenge. Am schlimms­ten ist der Aufzug bei Oma Porz. Bringe ich Einkäufe vorbei, trage ich viele Tüten. Diese Tüten sind auf eine routinierte Art nett zu mir, wenn ich sie nicht zu sehr befülle. Aber der Aufzug ist böse. Steht man drin und hat den Knopf gedrückt, dauert es endlos, bis er die Türen schließt und die Fahrt beginnt. Trägt man aber die vielen Tüten raus, geht die Schiebetür innerhalb von Sekundenbruchteilen zu, dass es nur so rappelt. Er ignoriert es sogar, wenn ich mit dem Fuß dabei die Lichtschranke unterbreche. Dieser Aufzug hasst Menschen! »Das Ding ist bekloppt«, sagt Oma Porz. Bekloppt und böse, muss man ergänzen.

Alle Erfindungen, heißt es, dien­ten dazu, unser Leben einfacher zu machen. Aber das stimmt gar nicht. Die Erfindungen sorgen bloß dafür, dass unser Leben anders wird. Nicht wir benutzen sie, sondern sie benutzen uns für ihre ­tolldreisten Späße! Jeder der schon mal Leergut in einen Leergutautomaten gesteckt hat, weiß, wovon ich rede.

Es fällt einem wie Schuppen von den Augen, wenn man die Vorstellung zulässt, dass nicht wir den Einkaufswagen schieben, sondern dass der Einkaufswagen uns zieht. Oder der Wassersprudler Späße mit uns treibt. Die Yogalehrerin hat mir die Augen geöffnet. Ich würde nur zu gern wissen, wie sie es anstellt, dass die Klangschalen so freundlich zu ihr sind.