Richard Ojijo: Klänge für den Abgrund

Kopfkinosoundcollagen

Seit 20 Jahren vertont der Autodidakt Richard Ojijo die Werke des Videokünstlers Marcel Odenbach. Jetzt erscheint eine Auswahl seiner Soundtracks auf LP

Genozid, Kolonialismus, Vertreibung, religiöse Indoktrination. Mit solch heiteren Themen  befassen sich die Filme, die Richard Ojijo als Komponist und Toningenieur mit dichten Soundtracks versehen hat. Seine andauernde Zusammenarbeit mit dem Kölner Videokünstler Marcel Odenbach zeigt eindrucksvoll, wie die Klänge Filmbilder nicht nur untermalen und deren Wirkung verstärken können, sondern ein Eigenleben entwickeln. Ojijos nun erschienenes Album »MO RO 20«, eine vom Visuellen entkoppelte Werkschau der über 20 Jahre andauernden Zusammenarbeit der beiden Künstler, macht dies besonders deutlich: Durch den thematischen Kontext der Filmvorlagen bedingt, wirkt die musika­lische Stimmung zwar oft düster und bisweilen beunruhigend, doch erinnern die sphärischen Flächen und Soundeffekte auf manchen der Stücke auch an elektronische Spielarten der späten 90er Jahre.

Zur selben Zeit lernten sich nämlich Ojijo und Odenbach im Kölner Nachtleben kennen, als Ojijo mit dem neu erworbenen Sampler und Mischpult ausgestattet gerade die endlosen Weiten elektronischer Musik für sich entdeckte. Mit einem aberwitzigen Set-up aus VHS-Tapes, Midi-Cubase und Synths entstand so 2000 der erste Soundtrack zu Odenbachs Arbeit »Innere Sicherheit«. Die Klangcollage gefiel so gut, dass bald regelmäßig Aufträge folgten, etwa für »In stillen Teichen lauern Krokodile«, eine Videoarbeit über den Genozid in Ruanda, oder »Im Kreise drehen«, das ein Holocaust-Mahnmal in Polen zeigt. Auf »MO RO 20« hören wir stellenweise zwar noch Original-Töne des Videomaterials, doch wirken die Stücke auch ganz für sich genommen.

Zum Erscheinen deines Albums hast du die Arbeiten für die Filme Marcel Odenbachs neu zusammengestellt und neu gemischt. Was hast du an deinen Soundtracks geändert, damit sie auch alleine als Album, ohne das Videomaterial, funktionieren?

Das ist eine Notwendigkeit des Formats. Wer will schon 15 Minuten Atmosphäre oder Stille auf einer Platte hören? Die Stücke haben zwar im­­mer noch den collagenhaften Charakter, und ich verwende hier und da auch mal ein paar Original-Töne. Aber schon allein wegen etwaiger Copyrights der Protagonisten und/oder Komponisten musste ich die Musik auf die Parts zurechtstutzen, die ausschliesslich aus meiner Feder stammen. In den ursprünglichen Arbeiten habe ich nämlich öfters mal meine Musiken mit klassischen Kompositionen kombiniert.

Woher nimmst du die Quellen deiner Soundcollagen?

Das ist ein Sammelsurium an eigenen Field-Recordings, Original-Tonspuren des Filmmaterials und Archivmaterial. Den Anfang bilden meist die Originalsounds, wenn vorhanden. Selbst wenn davon am Ende nichts mehr zu hören ist, dienen sie mir als Referenz-Punkt, an dem ich mich erstmal orientieren kann. Denn 20 Minuten Film zu füllen, scheint mir jedes Mal auf neue fast nicht machbar. Wenn dann aber schon ein bisschen Atmosphäre vorhanden ist, ist es nur noch halb so angsteinflössend.

Unterscheidet sich der Prozess des Vertonens von Bildern somit stark vom Arbeiten mit »herkömmlicher« Musik?

Ich schätze es sehr, dass ich mich an der Dramaturgie der Videoarbeiten entlang hangeln kann. Songstrukturen entsprechen mir nicht. Ich finde es langweilig, ein Stück zu produzieren, das einen klassischen Aufbau hat, also einen Anfang und ein Ende und dazwischen einen Höhepunkt. Deswegen ist das Format Soundtrack so gut, krasse Brüche sind hier unbedingt gefragt.

Seit 20 Jahren machst du nun schon die Soundtracks für Odenbachs Filme. Hast du dabei komplette künstlerische Freiheit?

Ich treffe für diese Vertonungen fast alle Entscheidungen im Alleingang, quasi ohne check and balance. Der gemeinsame Prozess ist von purem Vertrauen gekennzeichnet. Ich vergewissere mich zwar bei Marcel mit dem ein oder anderen Zwischenstand, aber im Prinzip gehe ich einfach nach meinem Gefühl, das ich beim Schauen der Bilder bekomme und beziehe mich auf die Vorgespräche, die es vor jeder Arbeit gibt. Und das, obwohl so ein Soundtrack ja enorm beeinflusst, wie die Leute zu den Bildern fühlen. Ich selbst wäre dafür viel zu sehr Kontrollfreak.Meine Arbeit als Soundengineer mit anderen Künstlern hingegen folgt da einem ganz anderen Narrativ. Zwar bringe ich »meinen« Sound mit ein, verstehe mich aber noch mehr als Dienstleister.

Tonträger: Richard Ojijo, MO RO 20« ist auf Magazine erschienen.
Info: Die Odenbach-Retrospektive »So oder so« im Düsseldorfer K21 zeigt einige Zusammenarbeiten der beiden Künstler und ist noch bis zum 6. Februar 2022 zu sehen.