Killt Corona die Tanzfläche?

Für und Wider in Zeiten der Ungewissheit. Thomas V. und Lars F. diskutieren, ob die Clubs und ihre sozialen Strukturen zu retten sein werden

 Lars: Sind die Clubs wie wir sie kannten noch zu retten?

Thomas: Nach all dem, was wir seit dem Beginn der Pandemie und über die verschiedenen Lockdowns welt­weit in der Clubkultur gesehen haben, kann die Antwort nur »ja« lauten — aber auch nur weil sich die Clubbetreiber:innen und ihre Teams aus Mitarbeiter:innen und Resident-­Djs so leidenschaftlich und gegen alle Widerstände dafür einsetzen. Viel spannender sind natürlich die Zwischentöne deiner Frage und die Diskussionen, die an ihr dranhängen. Was zum Beispiel bei mir zuletzt zu einer gewissen Distanz zum Milieu gesorgt hast, ist der nicht abreißen wollende Posting­stream aus Party- und Selfie-Mania der Protagonist:innen, als ob es eben keine Pandemie mehr gibt! Ich verstehe ja, dass die Künstler:in­nen überleben müssen und dementsprechend meistens alle Bookings, die ihnen angeboten werden, annehmen, aber kann man nicht auch mal diskret auf Rave-Arbeit gehen? Wie geht es dir damit, Lars?

Lars: Ich sehe generell viel schwärzer. Man erkannte deutlich schon vor Corona, und seit Februar 2020 natürlich noch verschärft, dass diese Subkultur, die so viel von ihrer Solidarität und Offenheit profitiert hat, längst ihre Ideale verloren hat. Das klingt jetzt nach Techno-Hippie-Nostalgie (für die ich beim besten Willen nicht bekannt bin), aber war es früher nicht wirklich meist besser? Dazu gehören jene Auswüchse bei Social Media, die von beiden Seiten des DJ-Pults befeuert werden, also dieses permanente Feuern von Bildern und Videos — da bin ich voll bei dir. Aber das ist ja nur ein Teil der Rockstar-Werdung der DJs. Zusammen wird doch schon lange nicht mehr gefeiert; Klassengesellschaften im Club längst Standard. Oder ravest du noch so frei und gelöst wie früher?

Thomas: Ich kann das gerade nur als Mutmaßung beantworten, da ich zuletzt im Februar 2020 völlig losgelöst geravt habe, also just vor der Pandemie und mit Irakli im Gewölbe. Danach habe ich mich zurück gehalten aus den bekannten Gründen und weil dann, als es gegangen wäre, immer Reisen anstanden und ich es mir nicht leisten konnte, dass doch was schief gegangen wäre. In Los Angeles, wo ich die letzten zwei Monate verbringen konnte, war ich zweimal aus, einmal für eine Party mit Jennifer Cardini und einmal für eine Party mit Axel Boman, beide mal konnte ich mich erstaunlich gut fallen lassen in die Nacht, aber vom endlosen Raven war das sehr weit entfernt. Was mir in Los Angeles übrigens aufgefallen ist, und was mir auch von der dort aktiven Party­veranstalterin und DJ Masha Martinvic (The Dusk Camp Festival, Surround Productions) bestätigt wurde: Es werden derzeit viel mehr lokale DJs gebucht — also eine der Prognosen aus der Frühphase der Pandemie über die Post-Pandemie-Zeit bestätigt. Die andere — dass die Gagen niedriger werden — hat sich jedoch nicht bewahrheitet, im Gegenteil: Zumindest für die etablierten Künstler:innen sind diese sogar noch gestiegen. Nur ein US-Phänomen?

Lars: Ich glaube, dass es durchaus stimmen kann, dass die Locals vermehrt gebucht wurden — die Sample-Size ist mir aber auf Grund der sehr kurzen Öffnungsphase zumindest hierzulande leider zu klein. Wenn ich mir die Line-ups vom Berghain oder auch von den mittelgroßen Festivals angeschaut habe, hatte ich aber den Eindruck, dass man business as usual gemacht hat. Lassen wir uns auf die Mutmaßung aber mal ein; dann glaub ich trotzdem nicht, dass mehr Regionalität automatisch bessere Partys, nachhaltigeres Feiern und langfristig Stärkung der Szene bedeutet. In Berlin konnte man beobachten, dass in der kurzen Phase der Öffnung genau jene Clubs profitierten, die so buchten wie in der Prä-Covid-­Zeit. Kleinere Läden, die voll auf Residents setzten, sahen dagegen dumm aus der Wäsche. Ich be­­fürch­­te, dass je seltener geravet werden kann, desto stärker rückt für viele der Event-Charakter in der Vordergrund. Eine Entwicklung, die uns über die letzten Jahre anerzogen wurde. Nicht im Kölner Maßstab (ich fand, dass sich schon 2019 ordentlich etwas getan hatte, viele interessante örtliche Programme und Formate ausprobiert wurden!), aber im gesamten wurde da früh, noch vor Corona, der Wagen gegen die Wand gefahren.

Thomas: Zugegeben, vielleicht neige ich ein bisschen zur Verklärung, einfach da die Sehnsucht nach Biotopen des musikalischen Austausches und gemeinsamen kultivierten Hedonismus bei mir nach zwei Jahren Pandemie so stark ausgeprägt ist. Worauf ich übrigens auch sehr hoffe — trotz aller hier zum Ausdruck gebrachter Sensibilität für bewusstere Reiseplanungen und lokalere Bookingstrategien —, jedoch nicht ganz so optimistisch bin, dass das schnell passieren wird, ist die Wiederöffnung der asiatischen und ozeanischen Territorien. Das sind derzeit leider Blinde Flecke im internationalen Netzwerk. Wenn man Clubkultur primär als Ort des Kulturaustausches versteht und das im globalen Maßstab, ist das natürlich bitter.