Viraler Blutrausch

The Sadness

Rob Shabbaz gelingt mit dem Horrorspektakel besonders wertvolles Populärkino

Wir alle wissen mittlerweile, wie das ist. Wenn der Tag entschieden anders endet als er begann, und man plötzlich mit einer Radiodurchsage von Alltag auf Ausnahmezustand umgeschaltet wird. Und wie dann die Ausnahme zur Regel wird. Jeder von uns war mal in der Lage von Jùnzhé und Kaˇitíng, die einen Ausflug planen, zur Arbeit gehen, nur um kurz darauf einander in einer Massenhysterie zu verlieren, die durch einen Virus ausgelöst wurde.

Wir haben also Rob Jabbaz’ »The Sadness«-Szenario in echt durchlebt. Auch wenn das, was dieser Virus namens Alvin mit den Filmfiguren macht, etwas anders aussieht als die Auswirkungen von Covid-19. Alvin verwandelt Menschen nämlich in zombiemäßige Kreaturen, die wiederum die Belanglosigkeit eines ordinären Werktages in ein Schlachthaus umgestalten. Selten ging es in den letzten Jahren derart spektakulär in Richtung Gore wie in diesem Film, der auch noch ziemlich intelligente Beobachtungen zur Gegenwart in Gestalt einer Genre-Allegorie bietet. Überforderte Politiker, geschäftssinnige Industrielle, ein sozial unzuverlässiges Bürgertum, Demagogen allerorten, der Wille, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz zu einem Normalzustand zurückzukehren sowie die Verweigerung von Teilen der Gesellschaft, diese Gefahr als solche anzuerkennen: Ist das nicht die Realität seit dem Frühling 2020? Wobei die Entstehungsgeschichte von »The Sadness« eines zu verstehen gibt: Wäre es nicht Covid-19 gewesen, dann hätte etwas anderes dieselben Erkenntnisse und Verhaltensmuster zutage treten lassen ­­­— Wang I-Fans vor dem Ausbruch von Covid-19 vollendete, grell-gescheite Polit-Farce über Zombies im taiwanesischen Parlament, »Get the Hell Out« (2020), zeigte das schon recht grimmig. Auch »The Sadness« geht als Projekt auf die Zeit vor Covid-19 zurück, wurde aber in der Folge umgearbeitet, da sich die taiwanesische Regierung und Bevölkerung den Anforderungen erstaunlich gewachsen zeigten. Ursprünglich war »The Sadnees« um einiges näher dran an Personen des öffentlichen Lebens von Taiwan, die gnadenlos satirisch was auf die Mütze kriegen sollten — als Reaktion auf das Nicht-Versagen seiner Neulandsleute in der Pandemie, legte der gebürtige Kanadier Shabbaz den Film jedoch abstrakter an, entfernte sich vom lokal Wiedererkennbaren, arbeitete stattdessen Universelles heraus.

Als brutal-schockmassives Horrorspektakel funktioniert »The Sadness« nun perfekt — das steht man nur mit einem starken Nervenkostüm durch. Vor allem aber ist dies sozial verantwortungsbewusstes Populärkino, denn Rob Shabbaz will die Zuschauer*innen anders nach Hause schicken, als sie noch zu Beginn des Films waren.

(Kūbēi) TWN 2021, R: Rob Shabbaz, D: Berant Zhu, Regina Lei, Tzu-Chiang Wang, 99 Min.