Entrée zur Ausstellung: Siegeszug der Römer, Relief, 1. Jh. (spätere Gipsnachbildung), Foto: Lothar Schnepf

Am Anfang stand die Raubkunst

Titus Triumphbogen: Barbara Hess über das Gipsrelief eines fragwürdigen Denkmals

»Durch alles geht ein Riss«, heißt es in Leonard Cohens Song »Anthem«, »so fällt das Licht herein.« Das Exponat im Foyer der Ausstellung »In die Weite« hat viel mit Cohens Stück zu tun. Es ist ein monumentales Flickwerk, und noch dazu spielt es anfangs mit dem Rücken zum Publikum.

Die Frage, wie man sich »Aspekten jüdischen Lebens in Deutschland« — so der Untertitel der Ausstellung — angemessen nähern kann, stellt sich einer deutschen, römisch-katholisch sozialisierten Besucherin in besonderer Weise. Das Relief vom Titusbogen hat sich bei der Beschäftigung mit dieser Frage als hilfreich erwiesen. Auch, weil es wie ein Hindernis aufgestellt ist. So wird klar, dass diese Annäherung viel eigene Aktivität erfordert.

Die Rückseite des Reliefs, die man beim Betreten des Foyers zuerst sieht, ist ein abstraktes, ­brüchiges Gefüge. Die Schauseite erzählt eine ganz konkrete Geschichte über das Ende des antiken Judentums im Jahr 70: Sie zeigt den Siegeszug der Römer mit den Kultgeräten aus dem Tempel in Jerusalem. Bis heute erinnert die jüdische Hochzeitszeremonie, bei dieser Feier des Glücks ein Glas zu zertreten, an die Zerstörung des Tempels. Das größte Stück Raubkunst, das die Invasoren dem ­Gotteshaus entrissen, war der ­siebenarmige Leuchter. Er soll aus purem Gold bestanden haben. Die Szene auf dem Fries kann auch als Sinnbild für die unzähligen räuberischen Enteignungen späterer Jahrhunderte gelesen werden.

Das Begleitbuch, das man mit dem Erwerb der Eintrittskarte erhält, bietet aufschlussreiche Details des historischen Ereignisses: Eigentlich stand Titus, dem Oberbefehlshaber der Truppen, kein Triumphzug zu. Judäa war schon erobert, als er in Jerusalem einen jüdischen Aufstand niederschlägt und die Stadt samt Tempel dem Erdboden gleichmacht. Doch er setzt durch, dass der Senat ihm im Jahr 71 dieses Privileg gewährt. Das Relief seines Triumphbogens im Kolumba ist die brüchige Gipskopie eines fragwürdigen Denkmals, dessen Original aus Marmor unter den Umwelteinflüssen der Moderne zugrunde gegangen ist. Ein beredter Ausgangspunkt, wie mir scheint, für eine Annäherung an Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland.

»In die Weite — Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland«, Kolumba, Kolumbastr. 4, tägl. außer Di 12–17 Uhr, bis 15.8.22
In der Reihe »Kolumba: Lieblingsding« schreiben unsere Kunstkritiker*innen jeweils über ein Exponat der Jahresausstellung, das sie besonders fasziniert.