Viva Coronia

Und noch einmal wird es keinen Karneval geben, wie man ihn in Köln kennt. Wir haben die Menschen getroffen, die für den Faste­lovend leben — und die sich engagieren im Festkomitee, im Veedel, aber auch in der Gastronomie oder in Altenheimen. Unsere Fotografin Jenni­fer Rumbach hat Jecken ins Bild gesetzt, denen die Pandemie schon zum zweiten Mal die Session zu verderben droht. Sie alle warten, dass das wieder möglich wird, was den Karneval ausmacht: Nähe, Ausgelassenheit, Unbeschwertheit.

 

 »Die Menschen hungern danach«

Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, im Gespräch über die Absage von Sitzungen und Zügen, über Karneval und den Tod und warum man Karneval nicht in den Sommer verschieben darf

Herr Kuckelkorn, die Corona-Pandemie wütet, das Festkomitee hat den Rosenmontagszug, die Schull- und Veedelszöch und die Sitzungen abgesagt. Kann man dennoch Karneval feiern?

Uns ist es ganz wichtig, den Karneval verantwortungsvoll zu den Menschen zu tragen, die ihn als Lichtblick brauchen, etwa in Krankenhäusern oder Seniorenheimen. Sitzungen und Bälle sind abgesagt, deswegen fällt aber nicht die ganze Session aus. Kleine Veranstaltungen werden vielleicht noch möglich sein – leider ohne die Geselligkeit, die uns so sehr fehlt in dieser Zeit. Dass man dicht zusammen steht, sich auch mal in den Arm nimmt — schlimm, dass man sich das aktuell kaum vorstellen kann. Aber die Menschen ziehen auch auf Distanz Kraft aus dem Karneval, das haben wir letztes Jahr gemerkt.

Aber wie kommt der Karneval zu den Jecken?

Tja. An digi­ta­len oder Fernsehformaten kann man sich zumindest ein wenig aufladen. Vielleicht gibt es in einigen Vereinen im Veedel auch noch die Möglichkeit, unter Corona-Bedingun­gen zusammenzukommen und ein wenig das Gefühl zu vermitteln. Und vielleicht geht ja doch noch ein Fenster auf, dass man open air feiern kann.

Die Absagen treffen alle, die vom Karneval leben, hart. Wie hilft das Festkomitee?

Wir haben letztes Jahr mit frühzeitigen Absagen vor allem an die kleinen Vereine gedacht, um wirt­schaftliche Not aufgrund vertraglicher Bindungen abzu­wen­den. Diese ehrenamtlichen Vereine müssen mit immen­sen Summen für Saalmieten und Gagen hantieren. Weil auch vie­le Künstler und Soloselbstständige auf der Strecke zu bleiben drohten, haben wir an Weiberfastnacht spontan noch mal mehr als eine Million Euro gesammelt. Jetzt, im zweiten Jahr, machen wir uns Gedanken, dass die Infrastruk­tur des Karnevals geschädigt werden könnte, darunter Saal­anbieter und Gastronomie. Mit der Landes­regierung haben wir einen Fonds aufgelegt. Vereine, die freiwillig eine Veran­staltung absagen, bekommen 90 Prozent ihrer Kosten erstattet. Das entschädigt dann auch Saalbetreiber, Gastronomen, Künstler. Klar, die Vereine müssen zehn Prozent der Kosten tragen, aber wir erhalten die Infrastruktur. Das ist extrem wichtig.

Man hat Sie kritisiert, weil Sie mit der Absage der Sitzungen und Züge zu lange gezögert hätten.

Wir haben bewusst gewartet, ja. Wir haben in Köln den höchsten Professio­nalisie­rungsgrad beim Karneval. Kleinere Städte sagen schneller ab, weil sie gar keine Kapazitäten haben, um noch Alternativen zu erarbeiten. Aber in Köln sind manche ehrenamt­liche Ver­eine besser organisiert, auch was die personellen Ressourcen betrifft, als manche Komitees in anderen Städten. Wir jong­lieren in Köln mit ganz anderen finanziellen Risiken. Sitz­ungs­programme und Säle werden fast zwei Jahre im Voraus gebucht.

Sie wollten also eine Absage unbedingt verhindern.

Ja, vor der Omikron-Variante hieß es doch auch in der Wissenschaft, Karneval könne stattfinden, wenn auch in kleinerer Form. Das hat sich dann geändert. Uns war es wichtig, dass die wirtschaftlichen Risiken abgefedert sind, erst dann kann man handeln. Wir wollten so lange wie möglich die Tür aufhalten, Veranstaltungen durchzuführen.

Das sind wirtschaftliche Aspekte. Ist die Absage auch wegen der enormen emotionalen  Bedeutung so schwergefallen?

Ich bin in Köln geboren, der Karneval spielt mein ganzes Leben eine Rolle. Mit acht Jahren hab ich mit den Blauen Funken auf der Bühne gestanden. Karneval war wichtiger als mein Geburtstag oder Weihnachten. Sich zu verkleiden, der Rollentausch, das hat mich fasziniert, darauf habe ich mich immer ein ganzes Jahr vorbereitet. Der Karneval steckt tief in mir drin, und diese Leidenschaft für den Karneval kriegt auch Corona nicht kaputt. Die Menschen hungern danach, den Karneval zu erleben.

Warum verschiebt man den Karneval nicht einfach in den Sommer, wie es Karl Lauterbach vorgeschlagen hat?

Es gibt viele Gründe, die gegen eine Verschiebung sprechen. Zunächst natürlich die Tradition und der festen Rahmen, in den der Karneval eingebunden ist. Es ist das Alpha und Omega: Es beginnt mit dem Elften Elften, dem Martinstag, der ja auch ein Wendefest ist zur früheren Fastenzeit, die es früher vor Weihnachten noch gab und die auch sechs Wochen dauerte. Solange wie auch die Zeit von Aschermittwoch bis Ostern. Nach dem Dreikönigstag gehen wir dann in die Proklamation mit dem Finale vor Aschermittwoch. Und dann ist es auch wirklich vorbei. Ich bin sonst übrigens immer hundert Prozent einverstanden gewesen mit dem, was Herr Lauterbach gesagt hat — aber nicht, als er vorgeschlagen hat, den Karneval zu verlegen. Das war sehr unqualifiziert. Aber es gibt noch andere Gründe.

Welche denn?

Wir sind immaterielles Kulturerbe der Unesco. Auch dafür ist der feste Rahmen entscheidend. Nur durch diesen Status können wir nun auch von Kulturförderung profitieren. Karneval darf nicht beliebig sein, er ist Kulturgut — kein bloßer Event. Leider gibt es viele kommerzielle Interessen, den Karneval in den Sommer zu tragen: »Jeck im Sunnesching«, das Karnevals-Kreuzfahrtschiff eines Reiseunternehmens, aber auch manche Kneipen feiern im Sommer Karneval. Das wollen wir nicht.

Ist Corona die größte Zäsur für den Karneval seit dem Zweiten Weltkrieg?

Auf jeden Fall. Und wir knüpfen sicher auch ähnlich wieder an danach. Vielleicht ist der erste Zoch nach der Pandemie gar nicht so prachtvoll, sondern erinnert eher an die erste ärmliche Kappenfahrt nach dem Krieg. Da haben die Jecken auf Trümmern gestanden, unter denen womöglich noch Verstorbene lagen, die noch nicht geborgen waren. Das kann man sich heute nicht vorstellen. Es zeigt aber auch, welche Kraft der Karneval entwickeln kann.

Also tatsächlich die Krise als Chance zur Erneuerung?

Ja, wir haben das letztes Jahr gesehen. Da haben sich die Vereine auf das Wesentliche besonnen, aber sind auch kreativ geworden. Diese Beschäftigung hat auch zu Erneuerung geführt: Was machen wir alles, und was davon ist wirklich wichtig? Es ist auch die Chance, den Karneval neu zu denken, ohne den Kern des Karnevals aufzugeben. Ich glaube, der Karneval kommt gestärkt zurück. Klar, die Jugendarbeit muss neu entwickelt werden.

Sie sind auch Bestatter, gehen fast täglich mit dem Tod und dem Leid der Hinterbliebenen um.

Tod und Karneval begegnen sich immer. Wenn der Rosenmontagszug über die Severinstraße geht, wissen wir, dass im Klösterchen-Krankenhaus vielleicht gerade jemand stirbt. Es werden aber auch Kinder dort geboren. Durch die Pandemie wird der Tod stärker wahrgenommen, wir sehen die Todeszahlen. Früher hat sich keiner damit auseinandergesetzt, wie viele Menschen jeden Tag in Köln sterben. Jetzt ist das bei allen stärker im Bewusstsein. Wenn wir auf den Stühlen stehen und ausgelassen singen, sind wir beim nächsten Lied zu Tränen gerührt, wenn Kasalla singen »Alle Jläser huh«. Der Tod kommt ständig um die Ecke im Karneval, und wenn der Nubbel verbrannt wird, hat man es auch direkt vor Augen. Der Karneval aber hilft uns auch, den Tod und das Leid zu bewältigen, zu ertragen. 

Interview: Bernd Wilberg

 

Feiern? In Ordnung!

Der Kölner Karneval ist obrigkeitshörig. In der Pandemie ist das Segen und Fluch zugleich.

Es war ein trauriger Anblick am 11.11.2020 an der Deutzer Werft. Rund 150 Menschen aus dem Querdenker-Spektrum hatten sich zu einem »Karneval der Liebe« versammelt. Angemeldet war das als politische Demonstration, die Anwesenden betrachteten sie als Ersatz für die Sessions­eröffnung, die wegen der Pandemie nicht gefeiert wurde. Zwischen Reden, die den Nationalsozialismus relativierten, spielten sie Karnevalslieder ab. Stimmung kam aber nicht auf, was nicht nur daran lag, dass Schunkel- und Tanzversuche schnell von der Polizei unterbunden wurden, sondern auch, weil ein Großteil doch lieber seine kruden ­Botschaften mit ernster Miene vermitteln wollte.  

Weitaus bemerkenswerter als diese klägliche Versammlung war, was sich im Rest der Stadt abspielte: nichts. »Die Stadt ist still«, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker damals und war zufrieden. Das Festkomitee Kölner Karneval hatte aufgerufen, den 11. November zu einem »Tag im Kalender wie jeder andere auch« zu machen. Und die Kölner Jecken sind ihren höchsten Amtsträger*innen gefolgt.

Der 11.11.2021 dagegen war ein Elfter im Elften wie sonst auch. Geimpften und Genesenen könne man nicht verbieten, das »Brauchtum in Köln« zu feiern, erklärte Reker. Und die Geimpften und Genesenen kamen dann auch — auf den Heumarkt, die Zülpicher Straße oder in die vielen geöffneten Kneipen, wo sie unter sich bleiben konnten; zumindest wenn die Einlasskontrolle ihren Job ordent­lich machte. Der Rest — geimpft oder nicht — konnte währenddessen woanders feiern. Ein Kollege aus der Stadt­revue-­Redaktion berichtet etwa von betrunkenen Karnevalisten auf einer gut gefüllten Maastrichter Straße am späten Nachmittag. Carnival as usual.

Trotz der Unterschiede haben beide Sessionseröffnungen eines gemeinsam. Die Mehrheit der Jecken hielt sich an die Vorgaben von Stadt- und Karnevalsspitze. Im Jahr 2020 haben sie nicht gefeiert, ein Jahr später umso mehr. Das sollte niemanden überraschen. Denn auch wenn der organisierte Karneval vermittelt, dass an den tollen Tagen die Ordnung der Welt kurz ein wenig durcheinander gerate, scheint den Rest des Jahres diese Ordnung eigentlich ganz okay zu sein. Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn hat in seinem Disput mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach etwa gegen eine Verlegung des Karnevals argumentiert, weil damit dessen angestammter Platz im christlich geprägten Ablauf der Feiertage gestört wurde. Ob dieser Ablauf in einer Stadt, in der die Mehrheit der Menschen keiner der christlichen Religionsgemeinschaften angehört, überhaupt noch zeitgemäß ist, klammert er aus.

Niemand verkörpert die karnevaleske Dialektik von Ordnung und ihrer Suspendierung aber besser als Jens Singer. Außerhalb der Session sitzt der promovierte Jurist im Bundestag und wacht penibel über die Einhaltung der Parlamentsregularien. In der Bütt spielt er jedoch den »Schofför der Kanzlerin«, der mit Stammtischhumor ein stockkonservatives, apolitisches Weltbild vertritt und Lacher erntet. Ein Widerspruch ist das nicht. Schon der große Theoretiker des Karnevals, der Literaturhistoriker Michail Bachtin, hat darauf hingewiesen, dass sich das Karnevaleske in der Abwesenheit von politischen Ideologien zeige. Vor dem Karnevalsprinzen sind alle gleich, und selbst die Tage des Prinzen sind gezählt. Am Aschermittwoch ist alles vorbei, besonders das Egalitäre.

Diese Art von Obrigkeitshörigkeit ist in Pandemie­zeiten ein Segen. Sie führt dazu, dass die Jecken ihren Karnevalschefs folgen, wenn diese sagen, dass der Sitzungskarneval zum Schutz der Gesundheit ausfallen soll. Aber sie ist auch ein Fluch. Denn 2022 sollte klar sein, dass man all die gesellschaftlichen Probleme, die durch die Pandemie deutlich hervorgetreten sind, nicht einfach weglachen kann. Der Pflegenotstand, beengte Wohnverhältnisse als Pandemietreiber, die Schulen als schlecht belüftete Kinderverwahranstalten — das ist Ausdruck einer schlechten Ordnung, die auch während der tollen Tage keine Pause macht. Darüber lachen können wir, wenn wir sie besser gemacht haben.

Text: Christian Werthschulte

 

 

»Insgeheim haben wir es befürchtet«

Online-Karneval und Schunkeln auf Abstand? Das geht doch nicht, sagen die »Fidele Jonge« aus Dünnwald und schnüren ihren Mitgliedern ein »Überlebenspaket«

 Eigentlich hätte Hans-Jo Fichna an diesem Mittwoch etwas Besseres zu tun gehabt, als mit der Stadtrevue zu reden. Es sind noch zwei Tage bis zur Prinzenproklamation und eigentlich würde er als Präsident der Großen Dünnwalder Karnevalsgesellschaft »Fidele Jonge« gemeinsam mit anderen Karnevalsmitgliedern die Schützenhalle dekorieren. Denn am folgenden Sonntag stünde die Herrensitzung an. Um 9 Uhr würde sich der Elferrat zum Frühstück treffen, um 10 Uhr würden die Hallentore geöffnet, und pünktlich um 11.11 Uhr würde die Sitzung eröffnet.  Mittwoch darauf wäre dann die Damensitzung in der Mülheimer Stadthalle, bevor dort kurz vor Karnevalsdonnerstag die Kostümsitzung stattfinden würde — eigentlich. Denn Mitte Dezember hat das Festkomitee Kölner Karneval mit dem Land NRW den Sitzungskarneval abgesagt.

»Das ist natürlich schwer für uns«, sagt Hans-Jo Fichna, auch weil bereits im vergangenen Jahr der Sitzungskarneval ausgefallen sei. »Aber insgeheim haben wir es befürchtet.« Die Menschen seien verunsichert gewesen, meint er: »Vielleicht wäre es dieses Jahr eh schwer geworden, alle Karten zu verkaufen.« Schließlich stehe die Gesundheit des Publikums im Vordergrund. Und eine Sitzung, auf der man auf Abstand sitzt und beim Schunkeln nur mit den Fäusten aneinanderstößt? »Das muss nicht sein.«
Nun bleibt Fichna und den Fidele Jonge nichts anderes übrig, als die Absage zu verwalten: Das Geld für gekaufte Karten muss zurückerstattet werden, dazu erhalten alle Kartenbesteller eine Ausgabe des Festheftes. Das kostet Zeit und Porto. »Aber es ist ein Aufwand, der sich positiv niederschlägt«, meint Fichna. »Mehr können wir nicht machen.«

Und dann sind da noch die Rechnungen. Die ersten trudeln allmählich bei der Karnevalsgesellschaft ein: Künstler*innen, Redner*innen, Bühnentechnik — all das muss zusätzlich zur Saalmiete bezahlt werden. Schließlich sind sie lange gebucht. Rund 18 Monate vor der Sitzung werden die ersten Künstler*innen angefragt, sonst gibt es keine Chance, dass Brings oder die Höhner auftreten. Entsprechend früh werden die Verträge unterzeichnet, die nun weiterhin gültig sind. Das Land NRW hat mit dem Festkomitee Kölner Karneval einen Sonderfonds aufgelegt, mit dem  neunzig Prozent der Kosten für die abgesagten Sitzungen übernommen werden sollen. Aber wie genau das ablaufen wird, weiß Hans-Jo Fichna während unseres Gesprächs noch nicht. »Ich gehe davon aus, dass wir die Rechnungen weiterleiten und dann das Geld bekommen, um es weiter zu überweisen«, sagt er. »In Vorleistung werden wir nicht gehen.« Einen niedrigen fünfstelligen Betrag wird die Fidele Jonge die Session trotz der Finanzhilfen kosten, schätzt Fichna. Während das Festkomitee, aber etwa auch die Stunksitzung, Geld für die Ausstrahlung ihrer Sitzungen im Fernsehen erhalten, finanzieren sich die meisten Karnevalsgesellschaften durch Spenden und mit den Eintrittskarten. »Wir werden noch mal mit einem blauen Auge davonkommen«, sagt Fichna. Aber viele kleinere Gesellschaften werden dieses Jahr sehr zu knabbern haben. Die Fidele Jonge sind eine reine Männergesellschaft mit rund 120 Mitgliedern. Das bekannteste dürfte Toni Geller von »Die Blaue Partei« sein. Sein Foto ist zentral im Vereinsheim, dem Hoppeditz-Hüsje, zu sehen. Derzeit macht vor allem Jens Singer auf sich aufmerksam, der in der Session bislang als »Schofför der Kanzlerin« aufgetreten ist. Einmal im Monat treffen sich alle Mitglieder — normalerweise. In der Pandemie war das kaum möglich.

»Das tut weh«, sagt Fichna und erzählt vom Elften Elften im vergangenen Jahr: Teilweise hätten sich die Menschen, die sich monatelang nicht gesehen hatten, in den Armen gelegen. »Das Vereinsleben kann man nicht mit Videochat ersetzen.« Ganz aufgegeben hat Hans-Jo Fichna die Session jedoch nicht. Anstelle der Herrensitzung haben die Fidele Jonge im Januar einen Drive-in veranstaltet. Jedes Mitglied konnte sich am Hoppeditz-Hüsje ein »Überlebenspaket« abholen: ein Kölsch, eine Pappnase, etwas Konfetti — und den Karnevalsorden dieser Session. Darauf befindet das Wappen der Fidele Jonge, ein Reiter auf einem Steckenpferd, darunter die zerfließende Uhr von Salvador Dalí und das Motto: »Et es widder Zick für Fastelovend«. Es ist wieder Zeit für Karneval. Aber wohl erst 2023. Die ersten Buchungen sind schon bestätigt.

Text: Christian Werthschulte

 

 

»Karneval ist ein kalkulatorisches Pfund«

Till Riekenbrauk, Sprecher der IG Kölner Gastro, ist optimistisch, dass doch noch Karneval gefeiert werden kann. Die Gastronomie könne es sogar ermöglichen, das Risiko gering zu halten

Herr Riekenbrauk, Ihre Interessengemeinschaft vertritt rund 360 Gastronomen in Köln. Wie ist deren Stimmung angesichts der Absage des Karnevals?

Der Karneval fällt ja nicht aus. Das Festkomitee hat seinen Karneval abgesagt, die Züge und die Sitzungen wird es nicht geben. Aber es gilt ja nach wie vor die Corona-Schutzverordnung. Wie die zu Karneval aussehen wird, wissen wir nicht. Wenn Corona eines gezeigt hat, dann, dass es keinen Planungshorizont geben kann. Aber es besteht die Hoffnung, dass man zumin­dest so feiern kann wie am Elften Elften.

Aber die Bilder, die damals von Köln um die Welt gingen, haben doch für Empörung gesorgt.

Aber das lag nicht an der Gastronomie! Die hat verantwortungsvoll gehandelt. Entweder hat sie  geschlossen oder sie hat 2G-plus gemacht — zu einer Zeit, als das den Gästen noch erklärt werden musste und die Testkapazitäten schon wieder abgebaut worden waren! Es waren ja die städtischen und reinen 2G-Kontrollen auf den Straßen, die offenbar nicht gut geklappt haben. Das lief aus dem Ruder, auf den Straßen war es scheinbar voller als vor Corona!

Trotzdem sorgen sich vor allem Kneipenwirte um ihren Um­satz, oder?

Natürlich, denn Karneval ist ein kalkulato­risches Pfund. Das gilt umso mehr, je kleiner die Kneipe ist. Für die ist Karneval finanziell überlebenswichtig. Das nimmt an Karneval schon mal Dimensionen eines Vierteljahresumsatzes an.

Führt das nicht dazu, dass Corona-Auflagen womöglich unter­laufen werden?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir hatten jetzt schon drei Karnevalstermine, an denen sich die Gastronomie als sehr verantwortungsvoll gezeigt hat: zwei­mal am Elften Elften, dazu die Karnevalstage vergangenes Jahr, als wir kollektiv dem Feiern eine Absage erteilten— noch bevor klar war, dass es einen Shutdown geben wird.

Viele Menschen verlieren allmählich die Geduld, zumal viele nun schon eine Auffrischungsimpfung bekommen haben. Sie wollen sich das Feiern nicht nehmen lassen. Droht Karneval außer Kontrolle zu geraten, wie der Elfte Elfte?

Es wäre naheliegend, dass die Stadt die Straßen vor den Kneipen in den Hochburgen absperrt. Das geschieht ja sonst auch an den Tagen, wenn auch spontan. Warum nicht angesichts der Lage gleich im Vorfeld so planen und großzügig Straßen über­all in der Stadt sperren? Dort könnten dann die Wirte einen Bierwagen vor die Tür stellen und es würde draußen gefeiert — das würde den Straßenkarneval dezentralisieren und in die Hände der Gastronomen legen — immer vorausgesetzt, dass das epidemiologisch verantwortungsvoll erscheint.

Die Gastronomie würde die Lage entschärfen?

Die Exzesse und die Gewalt an Karneval hat es doch nie in der Gastronomie gegeben, sondern auf den Straßen. In der Gastronomie gibt es an Karneval Türsteher, und das Personal ist besonders aufmerksam. Das hat ja auch am Elften Elften besser geklappt als an anderen Orten. So leicht wie da Leute in 2G-Bereiche laufen konnten — so fahrlässig würde niemals ein Gastronom agieren. Für unsere Mitglieder würde ich da die Hand für ins Feuer legen. Dass gut kontrolliert wird, ist mittlerweile übrigens auch für die meisten Gäste ein Qualitätsmerkmal der Gastronomie.

Kann man in der Pandemie überhaupt unbeschwert feiern?

Wir halten uns an die Corona-Schutzverordnung. Wenn feiern nicht möglich ist, raten wir unseren Mitgliedern, zu schließen oder aber das normale Tagesgeschäft zu machen. Es geht nicht darum, auf Teufel-komm-raus zu feiern.

Wie sehr sind Sie selbst Karnevalist?

Total! Ich bin kein organisierter Karnevalist, aber ich bin halt Kölner. Ich freue mich so sehr auf Karneval! Wenn es dieses Jahr nicht klappt, dann hoffentlich nächstes Jahr endlich wieder. Wenn das gar nicht stattfinden kann, wäre das emotional der totale Wahnsinn. Karneval ist einfach ein tolles Fest. Ich hab auch den Elften Elften gefeiert, ich hatte einen freien Tag und war dann bei einem vertrauensvollen Kollegen im Laden und hab stundenlang mit 2G-plus gefeiert!

Sollte man Karneval in den Sommer verschieben, weil Feiern dann eher möglich ist?

Nein, das geht nicht. Man kann auch nicht Weihnachten verschieben. Viel­leicht kann der Düsseldorfer das, aber hier geht das nicht. Man könnte im Sommer ein Karnevalsmusikfestival machen, so wie »Jeck im Sunnesching«. Die Karnevalslieder werden ja in ganz Deutschland ohnehin das ganze Jahr gehört. Aber Karneval, nein, Karneval ist das natürlich nicht.

Interview: Bernd Wilberg

 

 

Jungfrau statt Fleder­maus

Renée Vogel, Grundschülerin aus Niehl, freut sich trotz Corona auf den Karneval

Ich finde Karneval cool. Mir macht es Spaß, mich zu ­verkleiden! Am liebsten verkleide ich mich als Fledermaus. Das ist mein Lieblingstier. Ich habe bei meiner Oma mal den Film »Der kleine Vampir« gesehen, den mochte ich gern.

Aber jetzt hab ich ein anderes Kostüm. Denn ich bin die Jungfrau im Kinder-Dreigestirn hier in Niehl. Ich hab ein Kleid, das geht bis zu den Füßen ungefähr, und die Ärmel gehen bis zu den Händen, das Kleid ist rot mit so Steinchen, und ich hab auch noch eine kleine Tasche dazu. Im Nacken hab ich auch noch so einen festen, großen Kragen, aber der ist gar nicht schwer.  

In der Schule wurden wir gefragt, wer Lust hat, mit­zumachen. Da hab ich mich gemeldet. Ich hätte auch was anderes als Jungfrau gemacht, aber der Prinz war schon gewählt und man konnte nur noch Bauer oder Jungfrau sein. Bauer wollte schon meine Klassenkameradin sein, da hab ich mich für Jungfrau gemeldet. Eigentlich ist mir das auch egal. Ich mag es generell, aufzutreten. Das war schon immer so. In der Kita bin ich mal für jemanden ­eingesprungen, der sich nicht getraut hatte, einen Text aufzusagen. Jetzt halte ich bei unseren Auftritten sogar eine Rede — auf Kölsch!

Wir waren auch schon mit dem großen Dreigestirn in ein paar Kneipen. Aber nur ein paar Minütchen, mit Mundschutz, meistens dann draußen. Wir wurden vorgestellt, und jeder von uns Kindern hatte ein Lied, ich hatte »Oh, wie bist Du schön«. Und das große Dreigestirn hat uns dann noch Laternen ausgeliehen, die durften wir halten und dann sind wir mit Fackeln durch die Straßen gegangen. Und wir haben auch kurz mit denen geredet, die waren nett. Aber eigentlich frage ich mich, warum das alles nur Männer sind, auch die Jungfrau. Auch eine Prinzessin statt Prinz fände ich cool.

Doof finde ich, dass wir nicht so viel machen können wie die anderen Kinder früher im Dreigestirn, und dass man wegen Corona eine Maske tragen muss. Aber mir macht das trotzdem Spaß. So was macht man ja nicht jeden Tag!

Gesprächsprotokoll: Bernd Wilberg

 

 

»Man wundert sich, was an Karneval auf einmal möglich ist«

Elisabeth Römisch, Leiterin des AWO-Seniorenzentrums Theo-Burauen-Haus in Neuehrenfeld, über Karneval mit Demenzkranken, tanzende Rollstuhlfahrerinnen und was passiert, wenn der Karneval ausfällt

Normalerweise ist Karneval bei uns eine riesige Fete. Das beginnt am Mittwoch vor Weiberfastnacht, geht weiter an Weiberfastnacht selbst und am Karnevalsdienstag gehen viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner noch zum Veedelszoch. Die Polizei hält uns beim Zoch immer einen Platz vor dem Haus Scholzen an der Venloer Straße frei. Unsere Rollstuhlfahrer haben dann einen guten Platz, um den Zoch zu sehen, und müssen nicht zu früh dort sein.

In unserer Einrichtung leben etwa 85 Prozent Kölnerinnen und Kölner, die meisten aus Ehrenfeld. Für die Menschen spielt Karneval eine große Rolle — auch in ihrer Aktivität. Menschen mit Demenz sind erstaunlich textsicher bei Karnevalsliedern. Die Erinnerungen an Melodien, Liedtexte und Karneval generell halten lange. Wir haben auch immer wieder Menschen, die aus ihrem Rollstuhl aufstehen und tanzen. Als Mitarbeiterin wundert man sich manchmal, was an Karneval auf einmal möglich ist. Aber auch bei uns gibt’s natürlich Menschen, die haben mir Karneval nicht viel am Hut. Die gibt’s ja überall anders auch.

Viel von dem, was wir sonst an den Karnevalstagen machen, wird in diesem Jahr nicht stattfinden können. Eine große Veranstaltung fürs ganze Haus wird nicht ­möglich sein. Wohnbereichsübergreifende Angebote haben derzeit ein großes Risiko: Wenn sich ein Bewohner infiziert, kommen viele andere als Kontaktpersonen in Quarantäne. Die Isolation ist für unsere Bewohner so schlimm — das wollen wir in jedem Fall verhindern. Zu­mal auch die Hy­gienemaßnahmen für die Mitarbeiter sehr anstrengend sind, wenn sich jemand infiziert. Es wird in diesem Jahr auch keine Gruppen draußen geben, kein Kinder-Dreigestirn oder Dreigestirn im Haus. Die Einschnitte sind schon groß.

Wir werden versuchen, ein bisschen Karneval getrennt in den Wohnbereichen stattfinden zu lassen. Was letztlich möglich sein wird, entscheiden wir kurzfristig. Es kann natürlich passieren, dass wir an den jecken Tagen gar nichts machen können. Derzeit haben wir zwar kein Infektionsgeschehen im Haus, aber das kann sich von einem auf den anderen Tag ändern. Trotzdem sagen wir nicht von vornherein, dass Karneval für uns komplett ausfällt. Dass wir ein bisschen Musik spielen und die Mitarbeiter sich verkleiden — zumindest das werden wir versuchen.

Gesprächsprotokoll: Jan Lüke

 

 

»Die Stimmung ist super gedrückt«

Patrick Lück, neuer zweiter Frontmann bei den Höhnern, über seine Corona-­Infektion, Konzerte mit Masken und wegbrechende Einnahmen

 Herr Lück, wegen Corona fällt zum zweiten Mal die Session mehr oder weniger aus. Auch Mitglieder der Höhner waren Mitte November infiziert.

Wir sind sieben Höhner, drei hatten gleichzeitig Corona. Wir mussten wegen der Infektionen einige Konzerte der Weihnachtstour absagen, die Mitte November gestartet wäre. Zuerst hatte es unseren Sänger Henning Krautmacher getroffen. Wir haben uns direkt isoliert und ein paar Tage später getestet. Dann waren leider noch zwei weitere Mitglieder positiv. Innerhalb der Band haben wir natürlich engen Kontakt. Die Gefahr, dass man sich gegenseitig ansteckt, ist groß.

Sie selbst waren auch infiziert. Wie ging es Ihnen?

Das war im Oktober. Ich bin Diabetiker und hatte vorher schon Sorgen, was passiert, wenn es mich erwischt. Ich bin deswegen auch frühzeitig geimpft worden. Zum Glück waren die Symptome dank der Impfung recht mild, also erhöhte Temperatur und vor allem Geschmacksverlust.

Sie treten vor großem Publikum auf. Haben Band und die Crew Sorge, sich anzustecken?

Klar denkt man daran, aber Angst habe ich nicht. Dafür machen die Auftritte zu viel Spaß. Und es ist eben auch unser Beruf. Aber wir sind vorsichtig und achten auf Regeln: Maske auf, und dann direkt durchmarschieren in unseren Bereich. Und so wenig Kontakt mit dem Publikum wie möglich — leider. Mal ein Hallo und vielleicht eine Faust geben.  

Sie hatten am 11.11. sechs Auftritte bei den offiziellen ­Veranstaltungen. Bundesweit ins Gedächtnis brannten sich aber die Bilder von der völlig überfüllten Zülpicher Straße.

Wir wissen alle, dass es Menschen gibt, die unter Alkohol­einfluss vergessen, dass wir eine Pandemie haben. Wir haben bei den offiziellen Veranstaltungen erlebt, dass Hygienekonzepte funktionieren. Die Leute haben am Tanzbrunnen und Heumarkt wirklich auf Abstand geachtet. Es ist schön zu sehen, dass es auch
so geht. Dass nur die Zülpicher Straße bundesweit als Beispiel genommen wird für den Kölner Karneval,
ist schade.

Sie sind als Stimmungsband bekannt, bei der die Leute kräftig feiern und mitsingen. Wie läuft derzeit ein Konzert ab?

Die Leute feiern erstaunlich diszipliniert. Grundsätzlich sitzen die Leute mit Maske an ihrem Platz und singen leise mit. Man guckt auf ein Publikum mit Masken und erkennt wenig Emotionen. Das ist für uns schon ungewöhnlich. Klar wird auch mal gerufen, wenn ein Song gefällt, oder ein bisschen sich bewegt. Die Stimmung ist da, aber sehr sittsam. Man kann hier definitiv nicht von Party-Eskalation reden. So könnte Karneval theoretisch jetzt auch funktionieren.

Aber wollen die Menschen nicht am liebsten auf dem Tisch tanzen?

Das hängt von der Disziplin der Leute ab. Bei Karnevalsbällen ist das vielleicht nochmal was anderes, aber bei einer Sitzung mit festem Sitzplatz kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es trotz Corona funktioniert. Die Gesell­schaften haben ja zwei 2G-plus-Konzepte. Um Infizierte direkt zu erkennen, bieten manche Veranstalter sogar eigene Teststationen am Einlass an. An den Tischen werden Abstände eingehalten und Maske getragen. Dann unterscheidet sich eine Karnevalssitzung eigentlich kaum von einem unserer Weihnachtskonzerte. Außer, dass wir ein bisschen mehr Stimmungsmusik spielen.

Die Session müsste also nicht ausfallen?

Das ist ein Dilemma: Einerseits muss die Gesellschaft geschützt und das Gesund­heitssystem darf nicht überlastet werden. Auf der anderen Seite muss man den wirtschaftlichen Faktor einbeziehen: Die Menschen müssen weiterhin ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Wenn alle Events ausfallen, muss es einen finanziellen Ausgleich geben. Da hakt es im Moment. Noch ist unklar, wer Anspruch auf den Hilfsfonds hat. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass, wenn der Sitzungskarneval ausfällt, die Leute in die Kneipen und Bars stürmen. Da gibt es wenige Möglichkeiten, das geordnet durchzuführen, etwa mit festen Sitzplätzen und Masken.

Kleine Vereine sorgen sich, dass sie nach dem zweiten Corona-Jahr vor dem Ruin stehen. Das ist ein riesiges Pro­blem. Mit Sicherheit gibt es viele, die fragen: Wie soll ich diesen Antrag stellen?

Die eben keinen Anwalt einschalten können, der ihnen die Rechte erstreitet. Derzeit herrscht große Unsicherheit: Was ist, wenn Veranstalter freiwillig absagen? Es muss klar geregelt werden: Wer freiwillig absagt, um die Pandemie einzudämmen, muss auch berechtigt sein, den Fonds anzuzapfen.

Sie sind eine der bekanntesten Karnevalsbands. Was bedeutet es für die Höhner, wenn die Session wieder ins Wasser fällt?

Die Stimmung ist super gedrückt. Für mich ist es sehr traurig, weil es meine erste Session bei den Höhnern ist. Das ist marketingtechnisch eine Katastrophe: Man kommt neu in eine Band, soll vorgestellt werden, und das fällt jetzt weg. Wir haben vor Weihnachten die Möglichkeit gehabt, uns zumindest ein bisschen zu präsentieren. Aber eigentlich konzentriert sich alles vom November bis Februar: Karneval ist unser Nährboden. Wenn die zweite Session bis auf vereinzelte Auftritte oder Streaming-Angebote ausfällt, trifft uns das hart: emotional, ideell und finanziell. Karnevals-Gagen sind unsere wichtigsten Einnahmequellen. Je größer die Band, desto mehr Manpower und Kosten, die weiterlaufen und reingespielt werden müssen.

Interview: Anja Albert