Krise im Blick: Jörg Beste und Peter Berner vom Architektur Forum Rheinland

»Diese Sofalandschaft ­gefährdet das Klima!«

Jörg Beste und Peter Berner über Krisen als Chance für Architektur und Städtebau

Seit Corona haben die Einkaufsstraßen in der City noch stärker mit Leerstand zu kämpfen. Worin sehen Sie da die Chance?

Peter Berner: In einem normalen Haus auf der Schildergasse und Hohe Straße bekam man bislang so viel Geld vom Handel, dass eine Wohnnutzung oben gar nicht wirtschaftlich war. Jetzt werden die Immobilienbesitzer zu vernünftigeren Konzepten gezwungen. Unsere Bebauungspläne müssen es dann aber erlauben, dass man da wohnen darf und es Gastronomie gibt. Vielleicht macht es dann auch sonntags Spaß, in die City zu gehen.

Durch die Pandemie treffen wir uns mehr unter freiem Himmel. Man merkt dann, wie klein der öffentliche Raum eigentlich ist.

Jörg Beste: Ja, die Leute haben sich auf einmal mit 1,5 Meter Abstand und Kaffeebecher in der Hand in den Stadtteilen getroffen. Sie hatten aber keine Sitzgelegenheiten, keinen adäquaten Aufenthaltsraum. Wenn man ihn schafft, tut sich aber auch wieder ein Spannungsfeld auf, wie man kürzlich am Eifelwall gesehen hat und seit langem am Brüsseler Platz sieht. Da ist immer die Frage, wie viel Aneignung von einzelnen Gruppen möglich ist und wie viel Regulierung man braucht, um andere zu schützen. Insgesamt ist mehr Aufenthaltsqualität wichtig.

Vielen ist es in der Pandemie zu eng geworden in der Stadt, sie sind rausgezogen.

Beste: Ja, und wir müssen die Folgen für die Stadt und ihre Segregation diskutieren, aber auch für das Umland, die Speckgürtel. Wie kann man dem adäquat begegnen, ohne Landschaft weiter zu zersiedeln? Und sollte nicht z.B. auch Pulheim sozialen Wohnungsbau und Kinos schaffen, statt die Lasten auf die Kernstadt verteilen und sich mit seinen besserverdienenden Steuerzahlern wie ein Blutegel an Köln zu hängen?

Das Homeoffice hat sich etabliert. Sollte bei Neubauten nicht immer ein Arbeitszimmer mit eingeplant werden, oder Räume für Coworking?

Beste: Veedelsbüros machen die Stadt lebendiger. Die klassischen Siedlungsräume bestehen aus einem Plateau aus Tiefgaragen, darauf die immer gleichen Drei- bis Vierzimmerwohnungskonglomerate mit immer gleich platzierten Steckdosen, damit man weiß, wo das Ehebett hin muss. Da gibt es keine Aufenthaltsräume, maximal Kinderspielflächen, alles andere ist privatisiert. Nach 17 Uhr sind nur noch Menschen mit Hund an der Leine unterwegs. In Freiburg und Tübingen hat man in Neubaugebieten planungsrechtlich erzwungen, Erdgeschosse gewerblich zu nutzen. Dadurch entstehen Läden, Gastronomie, Arbeitsräume! Ähnliches klingt in den Planungen für den Deutzer Hafen an, und wird bei Kreuzfeld mitgedacht. Neubaugebiete be­­kommen sonst Schlafstadtcharakter.

Es wäre auch weniger Verkehr nötig, wenn man in den Stadtteilen mehr Arbeitsmöglichkeiten hätte, besser einkaufen oder ins Kino gehen könnte.

Beste: Das wäre eine gute Strategie, und man müsste sie auch auf die Vorstädte ausdehnen. Das würde auch Wesseling oder Porz helfen.

Sie reden so viel über die Region, dabei ist Köln doch stolz, »Wachsende Stadt« zu sein.

Beste: Köln hat 405 qkm und wächst nicht. Wir können höchstens versuchen, mehr Menschen auf der gleichen Fläche unterzubringen. Für Zündorf-Süd und Kreuzfeld werden nun landwirtschaftliche Flächen in Anspruch genommen. Das ist eine Verdrängung! Das sind gute Böden, die ­ der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Aber auch mit Kreuzfeld wird der Druck auf den Immobilienmarkt nicht beseitigt. Wir müssen uns als Region gemeinsam dieser Aufgabe stellen.

Köln will 6.000 Wohnungen pro Jahr bauen, hat aber auch den ­Klimanotstand ausgerufen. Der Bausektor ist einer der größten CO2-Emittenten. Wie geht das zusammen?

Berner: Wenn ich klimatisch vernünftig vorgehen und Zersiedelung vermeiden will, heißt das verdichten. Das macht die Stadt aber möglicherweise so dicht, dass es zu heiß wird. Darauf gibt es keine ­einfachen Antworten.

Beste: Wenn ich klimaschonend bauen will, ist Bestandsschutz ­deshalb ein wichtiges Thema. Wir können die graue Energie, die im Bestand steckt, sinnvoll einsetzen, indem wir aus alten, nicht mehr passenden Gebäuden neue Strukturen machen: Alte Bürogebäude zu Wohnungen umbauen, etwa.

Würden wir auf weniger Fläche pro Person wohnen, dann müsste gar nicht mehr so viel gebaut werden. Doch von Verzicht redet man nicht gern. Stattdessen soll alles grün werden: Energie, Bauen, Fliegen.

Beste: Den Satz »Ich will mein altes Leben zurück« sollten wir infrage stellen, das gilt für die Pandemie wie für den Klimawandel. Das alte Leben in grün wird es nicht geben können. Aber wenn ich attraktive Aufenthaltsflächen im öffentlichen Raum habe, brauche ich vielleicht nicht unbedingt einen privaten Garten oder so viel Fläche in der Wohnung. Eigentlich müsste unter den großformatigen Anzeigen von Möbelherstellern in Hochglanzzeitschriften ein Warnhinweis stehen: Diese Sofalandschaft gefährdet das Klima! Wenn man etwas weniger Quadratmeter hat, aber dafür eine fußläufige Nahversorgung und ein Arbeitszimmer im gleichen Haus bekommt, dann hat man trotzdem eine höhere Lebensqualität.

Das Architektur Forum Rheinland beschäftigt sich in seinem neuen Jahresprogramm mit dem Thema: Wie weiter planen? Krisen als Motor der Entwicklung