Leiterin der Anlaufstelle und selbst Betroffene: Jeanette Berger

Tun, was die Kirche versäumt

In Köln eröffnet eine Anlaufstelle für Menschen, die sexualisierte Gewalt in der Kirche erlebt haben

Das katholische Köln schrumpft. So viele Menschen wollen aus der Kirche austreten, dass das Amtsgericht mit den Terminen nicht hinterherkommt. Inzwischen warnen sogar die Landespolitiker Jochen Ott (SPD) und Ursula Heinen-Esser (CDU) öffentlich vor der Rückkehr Woelkis am Aschermittwoch. Doch selbst, wenn ein anderer Kleriker an der Spitze des Bistums stünde — kaum jemand traut der Kirche noch zu, dass sie den Weg aus der Missbrauchs- und Vertrauenskrise selbst wieder herausfindet. Am schockierendsten dabei ist für viele der Eindruck, die Kirche wolle vor allem sich selbst schützen — und nicht die Betroffenen sexualisierter Gewalt, die Kinder, die Opfer.

Auch Jeanette Berger und ­Oliver Vogt sind im vergangenen Jahr ausgetreten. Nun eröffnen sie im März mit einem Team aus Ehrenamtlichen das »Leuchtzeichen«, eine Art Betroffenencafé und Anlaufstelle für Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche. »Dort können sie erst einmal ankommen, sich austauschen und überlegen, ob sie weitere Schritte gehen und etwa einen Antrag auf Anerkennung des Leids bei der Kirche stellen wollen«, sagt Jeanette Berger. Berger ist Sozialpädagogin, selbst Betroffene und wird die Beratungsstelle leiten. »Ich habe damals eine solche unabhängige Anlaufstelle, bei der ich mich mit anderen Betroffenen austauschen kann, vergeblich gesucht«, so Berger. Auch zwölf Jahre nach den Enthüllungen um den Missbrauch am Canisius-Kolleg in Berlin gibt es eine solche Stelle nicht; das Kölner Projekt soll die Lücke nun füllen.

Auch nach Dutzenden Gutachten und Hunderten individuellen Verfahren sei der Bedarf nach einem solchen Angebot riesig, sagt Jeanette Berger. Immer wieder würden Betroffene, die öffentlich sichtbar für ihre Rechte eintreten, angesprochen — von anderen Betroffenen, die sich zuvor nie offenbart haben, auch aus Angst und Misstrauen gegenüber der ­Kirche. »Für mich wäre es auch nicht infrage gekommen, mich an die Kirche zu wenden, die mich missbraucht und verraten hat.« Mit dem Leuchtzeichen verknüpft sie die Hoffnung, diese Menschen nun endlich zu erreichen.

Zunächst zweimal im Monat soll die Anlaufstelle geöffnet sein, bei Bedarf gebe es zusätzliche individuelle Beratungstermine und eine digitale Sprechstunde. »Bei uns muss sich niemand gleich mit seiner Geschichte offenbaren. Schon gar nicht muss man sich gleich einem Verfahren stellen wie bei der Kirche«, sagt Oliver Vogt. Diese Verfahren kennt kaum jemand so gut wie er selbst. Vogt hat jahrelang in hoher Position für das Erzbistum gearbeitet — erst als Leiter der Präventions-, dann der Interventionsstelle. Dort ging er Verdachtsfällen nach und setzte innerkirchliche Verfahren in Gang, bis er den Posten 2019 kündigte und zwei Jahre später ganz aus der Kirche austrat, weil kein Verantwortlicher bisher die Verantwortung für sein persönliches Handeln und seine Fehler übernommen habe, so Vogt.

Finanziert wird die Anlaufstelle aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen des Vereins »Umsteuern! Robin Sisterhood«, den ehemalige Kirchenmitglieder rund um die Reforminitiative Maria 2.0 im vergangenen Jahr gegründet haben. Mit dem Verein wolle man »tun, was die ­Kirche versäumt«, so Maria Mesrian von Maria 2.0: Sich an die Seite von Betroffenen stellen. Dafür könne man etwa die eingesparte Kirchensteuer verwenden.

Im Team des Leuchtzeichens sind sowohl Ausgetretene als auch Kirchenmitglieder aktiv. Ihre Rolle sei wichtig, sagt Jeanette Berger: »Zu erfahren, dass es Menschen gibt, die zwar nicht selbst betroffen sind, die aber zuhören, Interesse haben, helfen wollen.« Vom Kölner Betroffenencafé erhoffen sich ­Berger und Vogt eine Signalwirkung. Der Verein zur Umwidmung der Kirchensteuer knüpft derzeit Kontakte zu anderen Betroffeneninitiativen in ganz Deutschland. »Sie stehen alle vor dem gleichen Problem: Den Betroffenen fehlt die Möglichkeit, sich unabhängig von der Kirche zu vernetzen.« ­Vielleicht, so die Hoffnung, werden bald weitere Betroffenencafés in München, Osnabrück oder Hamburg eröffnen.