Meet the Girls

Rapperinnen gewinnen den Battle

In meinem Artikel »Wer rappt unsere Hymnen — Das Porträt einer Kölner Rap Szene, die es vielleicht (noch) gar nicht gibt« (Stadtrevue 12/2021) habe ich mich auf die Suche nach Kölns Rap-Szene und ihrem Sound gemacht. Was ich dabei vermisst habe, waren Rapperinnen. Für diese Ausgabe habe ich mich daher mit dem Gründer der bislang einzigen deutschsprachigen female* Battle-Rap-Liga f.r.e.s.h. und drei Rapperinnen aus Köln unterhalten. Los geht‘s.

Für alle, für die Battle-Rap ein blinder Fleck ist — so wie für mich vor diesen Gesprächen — möchte ich den Ablauf einer Battle-Rap-Veranstaltung skizzieren: Es stehen sich in der Regel zwei Gegner:innen gegenüber. Die Battles können written oder als Freestyle stattfinden — meistens a capella. Je nach Liga werden sie online oder live vor Publikum ausgetragen. Die Rapper wissen vorher, wer ihnen als Gegner zugelost wurde und bereiten sich entsprechend vor. Untereinander machen die Battle-Paare ihre Grenzen aus, die zumeist auch ­respektiert werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Ligen, aus denen immer wieder erfolgreiche Rapper hervorgehen.

Zuerst war ich etwas skeptisch. Ein Mann, der eine female Battle-Rap-Liga leitet und sich somit irgendwie an den Rapperinnen bereichert?

Sebastian wartet vor dem Feynsinn am Rathenauplatz an einem für Köln ungewöhnlich sonnigen Tag auf mich. Wir setzen uns auf die Terrasse des Café-Restaurants und bestellen Kaffee und einen Aschenbecher. Bis 2017 war Sebastian selbst als Battle-Rapper aktiv, dabei haben ihn die bei beinahe 100 Prozent liegende Männerquote und das in Battles häufig propagierte Frauenbild genervt. Die Punchlines gehen meist auf Kosten von Frauen, wie der Mutter, Schwester oder Freundin des jeweiligen Gegners.

»Ich dachte mir, das wär cool, das sollte mal jemand machen … ich mach‘s!«. Also veranstaltete er Ende Februar 2020 das erste f.r.e.s.h.-­­ Event mit rund 60 Gästen im La Croque auf der Zülpi — dass dies ein sehr undankbarer Zeitpunkt war, um eine Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen, konnte da noch keiner ahnen. Rapperinnen suchte er im Freundes- und Bekanntenkreis und später auch bei Instagram. Zur Vorbereitung bietet Sebastian den Rapperinnen und solchen, die es werden wollen, Workshops an, in denen er seine eigenen Erfahrungen weitergibt. Gagen kann Sebastian derzeit nicht bieten, da sich die Liga noch nicht selbst finanziert. Umso wichtiger ist ihm, für eine gute Zeit zu sorgen: »Alle sollen sich wohlfühlen und Spaß haben.« Das scheint ihm zu gelingen, denn meine drei Interview­partnerinnen werden f.r.e.s.h. alle als safe space beschreiben. Im Gegensatz zu dieser unterstützenden Atmosphäre finden sich unter den Videos der Battles auf YouTube Kommentare wie:

»Peinlich. Frauen braucht im Battlerap keiner, erst recht nicht auf einem solchen Niveau.« (Battle Dascha vs. Leenjay)

»Ich will Frauen überhaupt nicht battlen sehen. Mega peinlich.« (Battle Alice vs. Liser)

Mich würden solche Kommentare verunsichern. Wie sieht es bei den Rapperinnen aus? Die einen nehmen es wohl mehr, die anderen weniger persönlich, und Sebastian hat in jedem Fall ein offenes Ohr für solche Angelegenheiten.

Nach dem Startschuss im Februar 2020 konnte es eine Weile keine Veranstaltungen geben. Unter den jeweils geltenden Vorschriften konnten die f.r.e.s.h.- Battles 2020 und 2021 aber immer mal wieder stattfinden. Für dieses Jahr wünscht sich Sebastian einen regelmäßigeren Turnus und dass sich der Pool an Rapperinnen und sein Team noch erweitern.  

Ein paar Wochen später mache ich mich an einem grauen Sonntag-Mittag mit der Straßenbahn Linie 1 auf Richtung Kalk. Dort befinden sich die Cologne Custom Studios, in die Liser mich eingeladen hat. Hier arbeitet sie als selbstständige Cutterin, Produktionsleitung und Content Creatorin und ist dabei die einzige Frau in den Cologne Costum Studios. Seit sie dort ist, wird zumindest in ihrer Gegenwart von ihren männlichen Kollegen aufs Gendern geachtet, wie sie mir erzählt.

Als sie nach ihrem Abi aus Bayern nach Köln kommt, träumt sie von einem Ausbildungsplatz zur Event-Managerin. Es hagelt Absagen, wobei eine sie so sehr trifft, dass sie sich ans Klavier setzt und aus den drei Akkorden, die sie spielen kann, ihren ersten eigenen Song bastelt, um diese Ablehnung zu verarbeiten. Von da an rückte der Traum vom Musikmachen wieder in den Fokus: »Ich wollte schon immer Musik machen.«

Als sie dann ein paar Kumpels rappen hört, dachte sich Liser: »Das ist cool, das kann ich auch!« Einige dieser Freunde haben sie unterstützt und ihr vieles beigebracht übers Beatsbauen und Musikmachen, andere haben sie kleingehalten mit abwertenden Kommentaren, aber »es gab immer wieder jemand, der es gecheckt und mich supportet hat«. Ihre ersten Texte schreibt sie aus der Sicht eines Mannes, aus Mangel an weiblicher Perspektive im Rap. »Ich habe drei Jahre sehr schlechte Songs geschrieben, ab dem vierten wurde es dann besser.«

In der Zwischenzeit konnte Liser sich doch noch den Traum von der Eventmanagement-Ausbildung erfüllen. Die Aussage eines ihrer Dozenten an der Deutschen Pop inspiriert sie zu ihrem auffäl­ligen Signature-Look: dem blau-blonden Split-Hair, welches sie im letzten Jahr noch zu einem Voku­hila schnitt. Sie hätte alles, was sie braucht, außer einen Wiederer­kennungswert, um als Künstlerin erfolgreich zu sein. Zur nächsten Stunde kam sie also mit neuer Frisur, der Dozent war einverstanden. Dieser Wiedererkennungswert hat allerdings auch seine Schattenseiten: »Was für mein Brand-Buildung gut ist, macht mich undatebar« — Seit dem Makeover habe ihr »Tinder-Game« stark nachgelassen.

Einige Male hat Liser sich bei f.r.e.s.h. in den Ring gestellt, letztes Jahr hatte sie ihr Battle-Debüt bei DLTLLY, der aktuell größten deutschsprachigen Battle-Rap Liga. In ihrem letzten Part rappt sie: »Ich bin nur hier für die Vorbildfunk­tion, denn an Frauen und ähnlichem mangelt es schon und das sicher nicht, weil die kein Bock hätten auf Rap, auf Crowd, auf Mikrofon, sondern weil Jokes, die ihr hier ständig spittet für uns nichts anderes sind als Drohungen und um die will ich nicht auch noch bitten, die bekomm ich im Internet sowieso, wenn ich einfach nur mein Gesicht zeige«. Durch die größtenteils männliche Crowd geht ein zustimmendes Raunen, Pfeifen und Jubeln.  

Bevor ich gehe, bekomme ich von Liser eine exklusive Hörprobe einer noch unreleasten Punk-Single. Wann dieser Track erscheinen soll, weiß sie noch nicht. Im Februar kommt erstmal ihr Solo-Projekt »Antikapitalistische Party-Banger« und mit Freundin und Rapper-Kollegin Taby im April dann ein gemeinsames 7-Track starkes Album mit zugehöriger Webserie. Wir können uns auf »eine unironische Jazz-Nummer mit Big Band, 808 Cloud Rap und das deutsche Old Town Road« freuen.

Einen Abend später bin ich mit Dascha zum Zoom-Call verabredet. Ihr Weg führte sie über Poetry-Slam zu Jam-Sessions zum Battle-Rap. Vor ihrem ersten Battle wusste sie nicht, worauf sie sich eingelassen hat. Sie schrieb einen Text und lernte ihn auswendig, wie beim Poetry-Slam. Als ihr Gegner dann begann, sie auf der Bühne zu beleidigen, war sie erstmal verwundert. Trotzdem kam sie wieder: »Ich hab‘ echt übertrieben damals, ich war viermal die Woche auf irgendwelchen Bühnen.« Zum Beispiel im Underground, bei der Veranstaltungsreihe Brennende Tonne. Sie erzählt mir außerdem von einer WhatsApp-Gruppe namens »Rap­flix&Chill« in der sich Rapper:­innen connecten können, um sich zum Freestylen zu treffen.

In den letzten Jahren hat sich Dascha das Produzieren, Mischen und Video schneiden selbst beigebracht. Für das Schreiben und das richtige Betonen war ihr ihre Poetry-Slam Zeit eine gute Schule. Ihre Skills gibt sie, sofern Corona es zulässt, in Workshops in Jugendzentren an Rap- und Poetry Slam-Interessierte Jugendliche weiter.

Sebastian hat sie auf Instagram entdeckt, fand sie cool und hat sie für f.r.e.s.h. angefragt, was sie gerne zugesagt hat. Bei ihrem ersten Battle in der Liga vergisst sie ihren Text und rettet sich ins Freestylen. Das ist in der Szene allerdings als respektlos angesehen, wie sie mir erklärt. Trotzdem ist sie weiter­hin bei f.r.e.s.h. willkommen und nimmt an weiteren Veranstaltungen teil. Auch in der Battle-Rap- Bundesliga hat sie schon performt, fühlte sich aber bei f.r.e.s.h. am wohlsten. Als jemand, der schon so lange in der Szene am Start ist, kann sie mir von einer positiven Entwicklung in den letzten Jahren berichten. Bei ihren ersten Battles war sie meist die einzige Frau »mittlerweile gibt es mehr Frauen im Battle-Rap«. Dascha motiviert andere Rapperinnen zu Battles mitzukommen, denn viele trauen sich allein einfach nicht, erst dann, wenn andere Frauen anwesend sind und sich selbstbewusst hinstellen. Aber wie schafft sie es überhaupt, sich selbstbewusst auf eine Bühne in einer männer­dominierten Szene zu stellen?

»In meiner Familie sind alle Power-Frauen«, und auch ihr Vater motivierte seine Töchter in männer­dominierte Branchen zu gehen, um selbst für mehr Gleichgewicht zu sorgen.

»Deine Meinung zu mir? Behalts für dich! Man kann so leicht kritisieren, doch ich behalts für mich. Ich mache Kunst aus dem Herzen, jetzt sag mir doch mal was so falsch dran is?« (Dascha mit YAAMANN auf »Behalts für dich«)

Am Abend darauf bin ich mit Leenjay zum Zoom-Call verabredet. Eine gemeinsame gute Freundin hat sie mit Sebastian connected, Leenjay wird eine der ersten Rapperinnen bei f.r.e.s.h. Deutschrap hat sie immer gern gehört, vor allem humorvollen und gleichzeitig klugen Rap, hat früher noch VBT (Video Battle Turnier) auf YouTube geschaut und sich gedacht, dass sie das auch machen will. Und jetzt macht sie genau das. In einer anderen Liga hat sie auch mal gegen einen Rapper gebattlet. Es hat ihr Spaß gemacht, sich an »Männerklischees« abzuarbeiten: »Ich will ja nich meine eigenen Leute dissen«, sie findet: »Ein Typ hat es mehr verdient, mal von ner Frau gedisst zu werden.«

In Vorbereitung auf unser Gespräch, habe ich mir nochmal das Battle von Dascha und Leenjay bei f.r.e.s.h. angeguckt. Ich versuche mir vorzustellen, selbst auf dieser Bühne zu stehen und vor Publikum beleidigt zu werden und dabei cool zu bleiben. Ich komme zu dem Schluss, dass ich dafür vielleicht nicht der Typ bin und es genau das ist, was Battle-Rap für mich in der Vergangenheit eher un­­zugänglich gemacht hat. »Es ist, wie wenn Leute sich im Boxring boxen«, sagt Leenjay. Sportlich und nichts Persönliches also, selbst wenn die Punches gegnerbezogen sind. Das Battle-Rappen stärkt sie in ihrer Kreativität und hat sie, zumindest als Leenjay, selbstbewusster gemacht: »Meine Kunstfigur traut sich mehr Sachen als ich.« Insgesamt unterstützen ihre Familie und Freund:innen sie dabei, belächelt wurde sie zwar auch schon, aber »das sind Leute, die eh keine Ahnung haben«.

»Sie sagen jeder kann was aus sich machen, das Problem ist, dass sie dich nicht lassen. Passt nicht in die Norm wirst abgestempelt, heute wird die Szene umgekrempelt.« (Leenjay auf »Rechnung«)

In ihrem Writing-Prozess fällt ihr auf, dass sie sich manchmal nicht erlaubt, »zu sentimental« zu sein, weil das schnell als »kitschig« abgetan wird und sie nicht diese Klischees bedienen will, dass Rapperinnen sich nur mit emotionalen Themen auseinandersetzen. Dabei ist die Credibility im Rap doch das A und O und glaubwürdig ist ja eben, das zu schreiben und zu ­rappen, was einen beschäftigt — geschlechterunabhängig. Sie wünscht sich, dass sich diese Ab­­grenzung von »female Rap« und Rap — konsequenterweise müsste man sagen »male Rap« — etwas auflöst und »sich noch mehr Mädels trauen«. Mit ihrer Freundin KDY arbeitet sie aktuell an einer EP, auf einem der Songs wird auch Liser dabei sein. Es geht in eine »Dark Pop-Beats Fusion« Richtung.

Es gibt sie also, die Rapperinnen in Köln! Wie auch im letzten Artikel bin ich überrascht, was die letzten Jahre an mir vorbeigegangen ist. Meine Einstellung »Wenn es in Köln eine Rap-Szene gibt, würde ich es wohl mitbekommen« war offensichtlich naiv. Man muss schon ein bisschen genauer hinsehen. Wieder nehme ich aus meinen Gesprächen mit, dass man selbst dafür verant­wortlich ist, wenn man möchte, dass was passiert. So ganz habe ich den Zugang zu Battle-Rap noch immer nicht gefunden, bin aber gespannt, Liser, Dascha, Leenjay und viele andere hoffentlich bald live per­formen zu sehen — ob bei f.r.e.s.h. oder anderswo.

* Anmerkung: Bei f.r.e.s.h. gibt es mittlerweile auch »Mixed Gender Events«.

Instagram: @f.r.e.s.h.battlerap, @ichbinliser, @dascha_reimt, @itsleenjay, @carlahbartels
Vielen, vielen Dank an Liser, Dascha, Leenjay und Sebastian.

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